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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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ihren koketten Uniformen dasaßen, und keines Einfalls, keiner Erwie¬
derung fähig waren, um deretwillen sie den Mund hätten öffnen
können.

Die Niederlage, sah man, war vollständig auf ihrer Seite.

Endlich erhob doch Mr. Wood, der Bergschotte, seinen Blick von
dem silberplattirten Korkpfropfen, mit dem er bisher gedankenlos ge¬
spielt, und sagte kleinlaut:

Aber unsre Erziehung, Doctor! unsre Schulen!

Und sogleich stimmten Schwiegersohn und Schwager des Herrn
Wood mit sichtlich erleichterten Herzen ein:

Ja, ja, unsre Schulen! das ist's. Welche Nation der Welt thut
so viel für sie wie wir? Unsre Schulen mehren sich täglich, und mit
ihnen wächst stündlich die Hoffnung --

Unsre Schulen mehren sich täglich, antwortete Doctor Channing
gelassen, aber mehrt sich der Geist, den unsre Schulen zu überliefern
haben? Wie wird der junge Amerikaner erzogen? fragen wir uns
vor Allem das, meine Herren. Der Geist unsrer Pädagogik ist nicht
der, Menschen zu bilden, sondern Rechenmaschinen zu machen. Der
Amerikaner soll baldmöglichst ein Dollar erzeugendes Automat werden,
das allein ist's, wofür die Schule zu sorgen hat. Für sein warmes,
aufquellendes Menschenherz kümmert sich kein gemietheter Lehrer, der ja
selbst nur Dollars erzeugt aus dem menschlichen Rohstoff seines Schülers.
Eine zartere Vorsorge findet der Amerikaner eigentlich nur in seiner
frühesten Kindheit; da aber allerdings mehr als bei jedem andern Volke. Die
Mühe und Sorgfalt, die auf die Wartung und Ausschmückung unsrer Kinder
verwendet wird, ist in der That groß genug, den reichsten Mann arm zu
machen, wenn ihm der Himmel der Nachkommen Viele beschert. Die
weichlichste Pflege entkräftet frühzeitig den Körper, die Fütterung mit
süßen und starkgewürzten Sachen verdirbt den natürlichen Geschmack,
die Stubenerziehung und Verhätschelung erstickt den derben Kern der
Gesundheit. Freilich sind unsre Kinder dafür wahre Modells von
Engeln, und ich gebe gerne zu, es sei kein holderer Anblick in der
Welt als ein amerikanisches Baby. Trauriger Ruhm, daß wir die
schönsten Puppen erziehen, zu unschönen Menschen. Denn kaum ver¬
mag nun das Kleine Händchen und Füßchen zu regen, so läßt man

ihren koketten Uniformen daſaßen, und keines Einfalls, keiner Erwie¬
derung fähig waren, um deretwillen ſie den Mund hätten öffnen
können.

Die Niederlage, ſah man, war vollſtändig auf ihrer Seite.

Endlich erhob doch Mr. Wood, der Bergſchotte, ſeinen Blick von
dem ſilberplattirten Korkpfropfen, mit dem er bisher gedankenlos ge¬
ſpielt, und ſagte kleinlaut:

Aber unſre Erziehung, Doctor! unſre Schulen!

Und ſogleich ſtimmten Schwiegerſohn und Schwager des Herrn
Wood mit ſichtlich erleichterten Herzen ein:

Ja, ja, unſre Schulen! das iſt's. Welche Nation der Welt thut
ſo viel für ſie wie wir? Unſre Schulen mehren ſich täglich, und mit
ihnen wächſt ſtündlich die Hoffnung —

Unſre Schulen mehren ſich täglich, antwortete Doctor Channing
gelaſſen, aber mehrt ſich der Geiſt, den unſre Schulen zu überliefern
haben? Wie wird der junge Amerikaner erzogen? fragen wir uns
vor Allem das, meine Herren. Der Geiſt unſrer Pädagogik iſt nicht
der, Menſchen zu bilden, ſondern Rechenmaſchinen zu machen. Der
Amerikaner ſoll baldmöglichſt ein Dollar erzeugendes Automat werden,
das allein iſt's, wofür die Schule zu ſorgen hat. Für ſein warmes,
aufquellendes Menſchenherz kümmert ſich kein gemietheter Lehrer, der ja
ſelbſt nur Dollars erzeugt aus dem menſchlichen Rohſtoff ſeines Schülers.
Eine zartere Vorſorge findet der Amerikaner eigentlich nur in ſeiner
früheſten Kindheit; da aber allerdings mehr als bei jedem andern Volke. Die
Mühe und Sorgfalt, die auf die Wartung und Ausſchmückung unſrer Kinder
verwendet wird, iſt in der That groß genug, den reichſten Mann arm zu
machen, wenn ihm der Himmel der Nachkommen Viele beſchert. Die
weichlichſte Pflege entkräftet frühzeitig den Körper, die Fütterung mit
ſüßen und ſtarkgewürzten Sachen verdirbt den natürlichen Geſchmack,
die Stubenerziehung und Verhätſchelung erſtickt den derben Kern der
Geſundheit. Freilich ſind unſre Kinder dafür wahre Modells von
Engeln, und ich gebe gerne zu, es ſei kein holderer Anblick in der
Welt als ein amerikaniſches Baby. Trauriger Ruhm, daß wir die
ſchönſten Puppen erziehen, zu unſchönen Menſchen. Denn kaum ver¬
mag nun das Kleine Händchen und Füßchen zu regen, ſo läßt man

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[215/0233] ihren koketten Uniformen daſaßen, und keines Einfalls, keiner Erwie¬ derung fähig waren, um deretwillen ſie den Mund hätten öffnen können. Die Niederlage, ſah man, war vollſtändig auf ihrer Seite. Endlich erhob doch Mr. Wood, der Bergſchotte, ſeinen Blick von dem ſilberplattirten Korkpfropfen, mit dem er bisher gedankenlos ge¬ ſpielt, und ſagte kleinlaut: Aber unſre Erziehung, Doctor! unſre Schulen! Und ſogleich ſtimmten Schwiegerſohn und Schwager des Herrn Wood mit ſichtlich erleichterten Herzen ein: Ja, ja, unſre Schulen! das iſt's. Welche Nation der Welt thut ſo viel für ſie wie wir? Unſre Schulen mehren ſich täglich, und mit ihnen wächſt ſtündlich die Hoffnung — Unſre Schulen mehren ſich täglich, antwortete Doctor Channing gelaſſen, aber mehrt ſich der Geiſt, den unſre Schulen zu überliefern haben? Wie wird der junge Amerikaner erzogen? fragen wir uns vor Allem das, meine Herren. Der Geiſt unſrer Pädagogik iſt nicht der, Menſchen zu bilden, ſondern Rechenmaſchinen zu machen. Der Amerikaner ſoll baldmöglichſt ein Dollar erzeugendes Automat werden, das allein iſt's, wofür die Schule zu ſorgen hat. Für ſein warmes, aufquellendes Menſchenherz kümmert ſich kein gemietheter Lehrer, der ja ſelbſt nur Dollars erzeugt aus dem menſchlichen Rohſtoff ſeines Schülers. Eine zartere Vorſorge findet der Amerikaner eigentlich nur in ſeiner früheſten Kindheit; da aber allerdings mehr als bei jedem andern Volke. Die Mühe und Sorgfalt, die auf die Wartung und Ausſchmückung unſrer Kinder verwendet wird, iſt in der That groß genug, den reichſten Mann arm zu machen, wenn ihm der Himmel der Nachkommen Viele beſchert. Die weichlichſte Pflege entkräftet frühzeitig den Körper, die Fütterung mit ſüßen und ſtarkgewürzten Sachen verdirbt den natürlichen Geſchmack, die Stubenerziehung und Verhätſchelung erſtickt den derben Kern der Geſundheit. Freilich ſind unſre Kinder dafür wahre Modells von Engeln, und ich gebe gerne zu, es ſei kein holderer Anblick in der Welt als ein amerikaniſches Baby. Trauriger Ruhm, daß wir die ſchönſten Puppen erziehen, zu unſchönen Menſchen. Denn kaum ver¬ mag nun das Kleine Händchen und Füßchen zu regen, ſo läßt man

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/233>, abgerufen am 22.11.2024.