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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Wüste, in einen Leichenanger voll gebleichter Gebeine verwandelt haben
-- We are in a free country! bebte es unwillkürlich von Moor¬
feld's Lippen; der Virginier aber sagte blaß lächelnd: er vertraue der
göttlichen Vorsehung. Mr. Livingstone schwieg.

Die beängstigende Pause unterbrach der barocke Lord Ormond, der
wie die lustige Person nach der Tragödie sich jetzt zu unsrer Gruppe
fand. Er mußte dem Gespräche aus der Nähe gefolgt sein, denn er
redete Mr. Livingstone an: Erlauben Sie, mein Herr, daß ich auf
meinem Standpunkte Ihrer Philosophie mich anschließe. Sie haben
die Bemerkung ausgesprochen, daß die amerikanischen Nigger um vieles
höher stünden, als ihre afrikanischen Stammgenossen. Diese Bemerkung
ist so fruchtbar an Folgerungen, daß sie noch weit über Ihr gegen¬
wärtiges Ziel hinausführt. Sie haben die Perfectibilität der Neger¬
race ausgesprochen; -- bei dem Worte "Perfectibilität" wußte Moor¬
feld sogleich, wohin der edle Lord ziele. Er sah sich nach einem pas¬
senden Rückzuge um, der Engländer aber nahm ihn freundlich bei der
Hand und hielt ihn fest. Moorfeld seufzte. Der Engländer fuhr
fort: -- und doch ist diese Perfectibilität seit dem Anbeginn der
Schöpfung in Afrika latent geblieben. Wäre sie in Amerika nicht
zum Vorscheine gekommen, man hätte sie ganz und gar geleugnet.
Das ist wichtig. Denn nun werden wir mit Recht weiter gehen und
fragen dürfen: Hat sich der Bozal durch den Umgang mit einer ge¬
bildeten Race veredelt, müßte sich eine Art von erschaffenen Wesen,
die zunächst unter den Bozals stünden, im Verkehre mit diesen nicht
gleichfalls vermenschlichen? Ja, dürfen wir diese Frage auf jeder
nächst tieferen Stufe der beseelten Schöpfung nicht stets von Neuem
wiederholen? Gewiß dürfen wir das. Damit ist aber eine Continuität
der intellectuellen Welt gewonnen, welche die unlogischen Grenzen
zwischen Mensch und Thier aufhebt. Sie sprechen von der Emanci¬
pation der Neger, -- ich spreche von der Emancipation der Thiere
selbst. Ich wünschte nichts so sehr -- denn noch ist es nicht allen
Menschen verliehen, einen Syllogismus wie eine Thatsache auf sich
wirken zu lassen, -- ich wünschte nichts so sehr, als daß es neueren
Entdeckungsreisenden gelingen möchte, den Gorilla-Affen wieder auf¬
zufinden, dessen Gattung der karthaginiensische See-Forscher Hanno ge¬
sehen hat und dessen Menschenähnlichkeit in dem "Periplus" so

D. B. Vlll. Der Amerika-Müde. 14

Wüſte, in einen Leichenanger voll gebleichter Gebeine verwandelt haben
We are in a free country! bebte es unwillkürlich von Moor¬
feld's Lippen; der Virginier aber ſagte blaß lächelnd: er vertraue der
göttlichen Vorſehung. Mr. Livingſtone ſchwieg.

Die beängſtigende Pauſe unterbrach der barocke Lord Ormond, der
wie die luſtige Perſon nach der Tragödie ſich jetzt zu unſrer Gruppe
fand. Er mußte dem Geſpräche aus der Nähe gefolgt ſein, denn er
redete Mr. Livingſtone an: Erlauben Sie, mein Herr, daß ich auf
meinem Standpunkte Ihrer Philoſophie mich anſchließe. Sie haben
die Bemerkung ausgeſprochen, daß die amerikaniſchen Nigger um vieles
höher ſtünden, als ihre afrikaniſchen Stammgenoſſen. Dieſe Bemerkung
iſt ſo fruchtbar an Folgerungen, daß ſie noch weit über Ihr gegen¬
wärtiges Ziel hinausführt. Sie haben die Perfectibilität der Neger¬
race ausgeſprochen; — bei dem Worte „Perfectibilität“ wußte Moor¬
feld ſogleich, wohin der edle Lord ziele. Er ſah ſich nach einem paſ¬
ſenden Rückzuge um, der Engländer aber nahm ihn freundlich bei der
Hand und hielt ihn feſt. Moorfeld ſeufzte. Der Engländer fuhr
fort: — und doch iſt dieſe Perfectibilität ſeit dem Anbeginn der
Schöpfung in Afrika latent geblieben. Wäre ſie in Amerika nicht
zum Vorſcheine gekommen, man hätte ſie ganz und gar geleugnet.
Das iſt wichtig. Denn nun werden wir mit Recht weiter gehen und
fragen dürfen: Hat ſich der Bozal durch den Umgang mit einer ge¬
bildeten Race veredelt, müßte ſich eine Art von erſchaffenen Weſen,
die zunächſt unter den Bozals ſtünden, im Verkehre mit dieſen nicht
gleichfalls vermenſchlichen? Ja, dürfen wir dieſe Frage auf jeder
nächſt tieferen Stufe der beſeelten Schöpfung nicht ſtets von Neuem
wiederholen? Gewiß dürfen wir das. Damit iſt aber eine Continuität
der intellectuellen Welt gewonnen, welche die unlogiſchen Grenzen
zwiſchen Menſch und Thier aufhebt. Sie ſprechen von der Emanci¬
pation der Neger, — ich ſpreche von der Emancipation der Thiere
ſelbſt. Ich wünſchte nichts ſo ſehr — denn noch iſt es nicht allen
Menſchen verliehen, einen Syllogismus wie eine Thatſache auf ſich
wirken zu laſſen, — ich wünſchte nichts ſo ſehr, als daß es neueren
Entdeckungsreiſenden gelingen möchte, den Gorilla-Affen wieder auf¬
zufinden, deſſen Gattung der karthaginienſiſche See-Forſcher Hanno ge¬
ſehen hat und deſſen Menſchenähnlichkeit in dem „Periplus“ ſo

D. B. Vlll. Der Amerika-Müde. 14
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[209/0227] Wüſte, in einen Leichenanger voll gebleichter Gebeine verwandelt haben — We are in a free country! bebte es unwillkürlich von Moor¬ feld's Lippen; der Virginier aber ſagte blaß lächelnd: er vertraue der göttlichen Vorſehung. Mr. Livingſtone ſchwieg. Die beängſtigende Pauſe unterbrach der barocke Lord Ormond, der wie die luſtige Perſon nach der Tragödie ſich jetzt zu unſrer Gruppe fand. Er mußte dem Geſpräche aus der Nähe gefolgt ſein, denn er redete Mr. Livingſtone an: Erlauben Sie, mein Herr, daß ich auf meinem Standpunkte Ihrer Philoſophie mich anſchließe. Sie haben die Bemerkung ausgeſprochen, daß die amerikaniſchen Nigger um vieles höher ſtünden, als ihre afrikaniſchen Stammgenoſſen. Dieſe Bemerkung iſt ſo fruchtbar an Folgerungen, daß ſie noch weit über Ihr gegen¬ wärtiges Ziel hinausführt. Sie haben die Perfectibilität der Neger¬ race ausgeſprochen; — bei dem Worte „Perfectibilität“ wußte Moor¬ feld ſogleich, wohin der edle Lord ziele. Er ſah ſich nach einem paſ¬ ſenden Rückzuge um, der Engländer aber nahm ihn freundlich bei der Hand und hielt ihn feſt. Moorfeld ſeufzte. Der Engländer fuhr fort: — und doch iſt dieſe Perfectibilität ſeit dem Anbeginn der Schöpfung in Afrika latent geblieben. Wäre ſie in Amerika nicht zum Vorſcheine gekommen, man hätte ſie ganz und gar geleugnet. Das iſt wichtig. Denn nun werden wir mit Recht weiter gehen und fragen dürfen: Hat ſich der Bozal durch den Umgang mit einer ge¬ bildeten Race veredelt, müßte ſich eine Art von erſchaffenen Weſen, die zunächſt unter den Bozals ſtünden, im Verkehre mit dieſen nicht gleichfalls vermenſchlichen? Ja, dürfen wir dieſe Frage auf jeder nächſt tieferen Stufe der beſeelten Schöpfung nicht ſtets von Neuem wiederholen? Gewiß dürfen wir das. Damit iſt aber eine Continuität der intellectuellen Welt gewonnen, welche die unlogiſchen Grenzen zwiſchen Menſch und Thier aufhebt. Sie ſprechen von der Emanci¬ pation der Neger, — ich ſpreche von der Emancipation der Thiere ſelbſt. Ich wünſchte nichts ſo ſehr — denn noch iſt es nicht allen Menſchen verliehen, einen Syllogismus wie eine Thatſache auf ſich wirken zu laſſen, — ich wünſchte nichts ſo ſehr, als daß es neueren Entdeckungsreiſenden gelingen möchte, den Gorilla-Affen wieder auf¬ zufinden, deſſen Gattung der karthaginienſiſche See-Forſcher Hanno ge¬ ſehen hat und deſſen Menſchenähnlichkeit in dem „Periplus“ ſo D. B. Vlll. Der Amerika-Müde. 14

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/227>, abgerufen am 24.11.2024.