los: Wohin mit unsern Freigelassenen? Gerne wären wir bereit unser überflüssiges Capital an sich selbst zu verschenken, aber wohin damit? Liberia hat sich als ein Puppenspiel erwiesen, die weißen Staaten wehren und erschweren den Eintritt von Niggers auf jede denk¬ bare Weise -- wie abolitioniren wir das Uebel? Und in der Ver¬ legenheit wissen sie sich nicht andern Rath, als das Uebel fort und fort einander sich zuzuwälzen, jeden neu der Union zuwachsenden Staat mit allen bösen Künsten der Partei-Politik für den Fluch ihres Sclaven¬ systems zu werben, wie kürzlich wieder Missouri, und athmen hoch auf, wenn die Geisel eine Secunde lang ruht, blos darum weil ein neuer Riemen hineingeflochten wird. Denen schrieb ich: ist's möglich, daß wir bei dem guten Willen für Liberia nicht längst schon einen näher liegenden Gedanken gefunden haben? Räumen wir unsern Niggers ein Territorium in der Union ein! Machen wir sie zu einem Stern unsers Sternbanners, gönnen wir ihnen ihr eigenes Staatsleben in einem unsrer eigenen Staaten. Ein Liberia jenseits des Oceans hat sich als unpraktisch ausgewiesen, ein Liberia jenseits des Mississippi wird praktisch sein. Aber sie wollen wieder nicht. Sie wollen nichts. Sie wollen nichts was sie können, sie können nichts was sie wollen. So läßt man den Ernst des Augenblicks heran¬ kommen, man zittert der englischen Abstimmung entgegen, man erkennt die Solidarität der Sclavensache in ihrer ganzen fürchterlichen Wahr¬ heit, und doch scheut man die Solidarität mit der Klugheit und dem Muthe der englischen Emancipations-Politik. Unser Sprichwort sagt: die Engländer prügeln die ganze Welt, aber die Amerikaner prügeln die Engländer. Wollte Gott, wir thäten's den Engländer auch dies¬ mal nicht zuvor, sondern nur nach', und nur zu Hälfte nach. Das erstemal, daß wir uns hier auf einer Lüge ertappen lassen, kann uns verderben für immer. In Wahrheit, meine Correspondenten im Süden sind darauf gefaßt, daß mit der ersten Nachricht von der Freiheit der englischen Sclaven der Sclavenaufstand in Amerika ausbrechen wird. Entsetzliches Angstgestöhn liegt in meinem Pulte. Alle die weißen Hände, die heute noch an mich schreiben, haben das Vorgefühl, sie können binnen Jahr und Tag von der Erde verschwunden sein. Ja, meine Herren, die größere Hälfte der Union, durch Sclavenarbeit ein Paradies, kann schauderhafte Sclavenarbeit bald in eine ausgebrannte
los: Wohin mit unſern Freigelaſſenen? Gerne wären wir bereit unſer überflüſſiges Capital an ſich ſelbſt zu verſchenken, aber wohin damit? Liberia hat ſich als ein Puppenſpiel erwieſen, die weißen Staaten wehren und erſchweren den Eintritt von Niggers auf jede denk¬ bare Weiſe — wie abolitioniren wir das Uebel? Und in der Ver¬ legenheit wiſſen ſie ſich nicht andern Rath, als das Uebel fort und fort einander ſich zuzuwälzen, jeden neu der Union zuwachſenden Staat mit allen böſen Künſten der Partei-Politik für den Fluch ihres Sclaven¬ ſyſtems zu werben, wie kürzlich wieder Miſſouri, und athmen hoch auf, wenn die Geiſel eine Secunde lang ruht, blos darum weil ein neuer Riemen hineingeflochten wird. Denen ſchrieb ich: iſt’s möglich, daß wir bei dem guten Willen für Liberia nicht längſt ſchon einen näher liegenden Gedanken gefunden haben? Räumen wir unſern Niggers ein Territorium in der Union ein! Machen wir ſie zu einem Stern unſers Sternbanners, gönnen wir ihnen ihr eigenes Staatsleben in einem unſrer eigenen Staaten. Ein Liberia jenſeits des Oceans hat ſich als unpraktiſch ausgewieſen, ein Liberia jenſeits des Miſſiſſippi wird praktiſch ſein. Aber ſie wollen wieder nicht. Sie wollen nichts. Sie wollen nichts was ſie können, ſie können nichts was ſie wollen. So läßt man den Ernſt des Augenblicks heran¬ kommen, man zittert der engliſchen Abſtimmung entgegen, man erkennt die Solidarität der Sclavenſache in ihrer ganzen fürchterlichen Wahr¬ heit, und doch ſcheut man die Solidarität mit der Klugheit und dem Muthe der engliſchen Emancipations-Politik. Unſer Sprichwort ſagt: die Engländer prügeln die ganze Welt, aber die Amerikaner prügeln die Engländer. Wollte Gott, wir thäten's den Engländer auch dies¬ mal nicht zuvor, ſondern nur nach', und nur zu Hälfte nach. Das erſtemal, daß wir uns hier auf einer Lüge ertappen laſſen, kann uns verderben für immer. In Wahrheit, meine Correſpondenten im Süden ſind darauf gefaßt, daß mit der erſten Nachricht von der Freiheit der engliſchen Sclaven der Sclavenaufſtand in Amerika ausbrechen wird. Entſetzliches Angſtgeſtöhn liegt in meinem Pulte. Alle die weißen Hände, die heute noch an mich ſchreiben, haben das Vorgefühl, ſie können binnen Jahr und Tag von der Erde verſchwunden ſein. Ja, meine Herren, die größere Hälfte der Union, durch Sclavenarbeit ein Paradies, kann ſchauderhafte Sclavenarbeit bald in eine ausgebrannte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0226"n="208"/>
los: Wohin mit unſern Freigelaſſenen? Gerne wären wir bereit unſer<lb/>
überflüſſiges Capital an ſich ſelbſt zu verſchenken, aber wohin damit?<lb/>
Liberia hat ſich als ein Puppenſpiel erwieſen, die weißen Staaten<lb/>
wehren und erſchweren den Eintritt von Niggers auf jede denk¬<lb/>
bare Weiſe — wie abolitioniren wir das Uebel? Und in der Ver¬<lb/>
legenheit wiſſen ſie ſich nicht andern Rath, als das Uebel fort und<lb/>
fort einander ſich zuzuwälzen, jeden neu der Union zuwachſenden Staat<lb/>
mit allen böſen Künſten der Partei-Politik für den Fluch ihres Sclaven¬<lb/>ſyſtems zu werben, wie kürzlich wieder Miſſouri, und athmen hoch<lb/>
auf, wenn die Geiſel eine Secunde lang ruht, blos darum weil ein<lb/>
neuer Riemen hineingeflochten wird. Denen ſchrieb ich: iſt’s möglich,<lb/>
daß wir bei dem guten Willen für Liberia nicht längſt ſchon einen<lb/>
näher liegenden Gedanken gefunden haben? Räumen wir unſern<lb/>
Niggers ein Territorium in der Union ein! Machen wir ſie zu<lb/>
einem Stern unſers Sternbanners, gönnen wir ihnen ihr eigenes<lb/>
Staatsleben in einem unſrer eigenen Staaten. Ein Liberia jenſeits<lb/>
des Oceans hat ſich als unpraktiſch ausgewieſen, ein Liberia jenſeits<lb/>
des Miſſiſſippi wird praktiſch ſein. Aber ſie wollen wieder nicht.<lb/>
Sie wollen nichts. Sie wollen nichts was ſie können, ſie können<lb/>
nichts was ſie wollen. So läßt man den Ernſt des Augenblicks heran¬<lb/>
kommen, man zittert der engliſchen Abſtimmung entgegen, man erkennt<lb/>
die Solidarität der Sclavenſache in ihrer ganzen fürchterlichen Wahr¬<lb/>
heit, und doch ſcheut man die Solidarität mit der Klugheit und dem<lb/>
Muthe der engliſchen Emancipations-Politik. Unſer Sprichwort ſagt:<lb/>
die Engländer prügeln die ganze Welt, aber die Amerikaner prügeln<lb/>
die Engländer. Wollte Gott, wir thäten's den Engländer auch dies¬<lb/>
mal nicht zuvor, ſondern nur nach', und nur zu Hälfte nach. Das<lb/>
erſtemal, daß wir uns hier auf einer Lüge ertappen laſſen, kann uns<lb/>
verderben für immer. In Wahrheit, meine Correſpondenten im Süden<lb/>ſind darauf gefaßt, daß mit der erſten Nachricht von der Freiheit der<lb/>
engliſchen Sclaven der Sclavenaufſtand in Amerika ausbrechen wird.<lb/>
Entſetzliches Angſtgeſtöhn liegt in meinem Pulte. Alle die weißen<lb/>
Hände, die heute noch an mich ſchreiben, haben das Vorgefühl, ſie<lb/>
können binnen Jahr und Tag von der Erde verſchwunden ſein. Ja,<lb/>
meine Herren, die größere Hälfte der Union, durch Sclavenarbeit ein<lb/>
Paradies, kann ſchauderhafte Sclavenarbeit bald in eine ausgebrannte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0226]
los: Wohin mit unſern Freigelaſſenen? Gerne wären wir bereit unſer
überflüſſiges Capital an ſich ſelbſt zu verſchenken, aber wohin damit?
Liberia hat ſich als ein Puppenſpiel erwieſen, die weißen Staaten
wehren und erſchweren den Eintritt von Niggers auf jede denk¬
bare Weiſe — wie abolitioniren wir das Uebel? Und in der Ver¬
legenheit wiſſen ſie ſich nicht andern Rath, als das Uebel fort und
fort einander ſich zuzuwälzen, jeden neu der Union zuwachſenden Staat
mit allen böſen Künſten der Partei-Politik für den Fluch ihres Sclaven¬
ſyſtems zu werben, wie kürzlich wieder Miſſouri, und athmen hoch
auf, wenn die Geiſel eine Secunde lang ruht, blos darum weil ein
neuer Riemen hineingeflochten wird. Denen ſchrieb ich: iſt’s möglich,
daß wir bei dem guten Willen für Liberia nicht längſt ſchon einen
näher liegenden Gedanken gefunden haben? Räumen wir unſern
Niggers ein Territorium in der Union ein! Machen wir ſie zu
einem Stern unſers Sternbanners, gönnen wir ihnen ihr eigenes
Staatsleben in einem unſrer eigenen Staaten. Ein Liberia jenſeits
des Oceans hat ſich als unpraktiſch ausgewieſen, ein Liberia jenſeits
des Miſſiſſippi wird praktiſch ſein. Aber ſie wollen wieder nicht.
Sie wollen nichts. Sie wollen nichts was ſie können, ſie können
nichts was ſie wollen. So läßt man den Ernſt des Augenblicks heran¬
kommen, man zittert der engliſchen Abſtimmung entgegen, man erkennt
die Solidarität der Sclavenſache in ihrer ganzen fürchterlichen Wahr¬
heit, und doch ſcheut man die Solidarität mit der Klugheit und dem
Muthe der engliſchen Emancipations-Politik. Unſer Sprichwort ſagt:
die Engländer prügeln die ganze Welt, aber die Amerikaner prügeln
die Engländer. Wollte Gott, wir thäten's den Engländer auch dies¬
mal nicht zuvor, ſondern nur nach', und nur zu Hälfte nach. Das
erſtemal, daß wir uns hier auf einer Lüge ertappen laſſen, kann uns
verderben für immer. In Wahrheit, meine Correſpondenten im Süden
ſind darauf gefaßt, daß mit der erſten Nachricht von der Freiheit der
engliſchen Sclaven der Sclavenaufſtand in Amerika ausbrechen wird.
Entſetzliches Angſtgeſtöhn liegt in meinem Pulte. Alle die weißen
Hände, die heute noch an mich ſchreiben, haben das Vorgefühl, ſie
können binnen Jahr und Tag von der Erde verſchwunden ſein. Ja,
meine Herren, die größere Hälfte der Union, durch Sclavenarbeit ein
Paradies, kann ſchauderhafte Sclavenarbeit bald in eine ausgebrannte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/226>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.