sonificationen darstellt -- Ihr Goethe liebte das -- so stellen wir den Carlos, den Antonio, den Mephisto, wenn Sie wollen, und unsre Sclaven das instinktivere Wesen des Clavigo, des Tasso, des Faust dar. Aber nicht die Vernunft allein, auch die Liebe lassen wir ihr göttliches Amt erfüllen in unsrer Obergewalt über den schwarzen Bruder. Wir betrachten unsre Neger als Glieder unsrer Familie; ihre Kinder sind die Gespielen unsrer Kinder, wir nehmen wechselsei¬ tigen Antheil an den freudigen und traurigen Ereignissen, womit das Schicksal in der Colonnade des Herrn wie in dem log cabin des Sclaven einkehrt. Wir haben unsern Negern Schulen errichtet, Spi¬ täler und Versorgungshäuser, wir unterrichten sie im Christenthume. Kurz, Sie erblickten in unsern Sclaven einen glücklichen und zufriedenen Bauernstand, und würden lächelnd inne, wie seltsam-kindisch das Spiel ist, das die Menschen mit Worten treiben. Was noch von Resten alter, romantischer Schauer in Ihnen zurückbliebe, verschwände vollends, wenn Sie, da ich jetzt nur von der schwarzen Race sprach, Ihren Blick auf die weiße Race eines Sclavenstaates richteten. Bei uns erfüllt die weiße Race den Sinn des allgemeinen Gesetzes, daß die Mehrheit für die Minderheit arbeitet, durch wirkliche Cultur und nicht blos durch äußerlich-scheinbare. Die Arbeit unsrer Sclaven ge¬ währt uns die Muße, den höheren Functionen der Menschheit obzu¬ liegen. Wir lieben Künste und Wissenschaften, pflegen die Literatur, verfeinern die gesellige Sitte, bilden uns für den Staat und die schwere Erfüllung unsrer patriotischen Pflichten. Wir liefern dem Congreß die hervorragendsten Mitglieder, der Republick die besten Präsidenten, Washington selbst war ein Sclavenhalter. Von all diesen Vorzügen ist im "freien" Norden nicht die Rede. Der Fabriksarbeiter lebt that¬ sächlich schlechter, als unser wohlverpflegter und sorgenfreier Sclave, der Fabriksherr selbst aber kommt über den Unruhen seines bürger¬ lichen Erwerbes und als unfreies Glied in der Kette eines Credit- und Concurrenzsystems, das ihn willenlos fortreißt, eben so wenig zur Veredlung seines menschlichen, noch weniger zur Ausbildung seines großen staatsbürgerischen Daseins. Wenn Amerika seine Freiheit ver¬ lieren kann, so wird die erste Gefahr von dort ausgehen, bei uns werden die unerschöpflichen Hilfsmittel eines wahrhaft republikanischen
ſonificationen darſtellt — Ihr Goethe liebte das — ſo ſtellen wir den Carlos, den Antonio, den Mephiſto, wenn Sie wollen, und unſre Sclaven das inſtinktivere Weſen des Clavigo, des Taſſo, des Fauſt dar. Aber nicht die Vernunft allein, auch die Liebe laſſen wir ihr göttliches Amt erfüllen in unſrer Obergewalt über den ſchwarzen Bruder. Wir betrachten unſre Neger als Glieder unſrer Familie; ihre Kinder ſind die Geſpielen unſrer Kinder, wir nehmen wechſelſei¬ tigen Antheil an den freudigen und traurigen Ereigniſſen, womit das Schickſal in der Colonnade des Herrn wie in dem log cabin des Sclaven einkehrt. Wir haben unſern Negern Schulen errichtet, Spi¬ täler und Verſorgungshäuſer, wir unterrichten ſie im Chriſtenthume. Kurz, Sie erblickten in unſern Sclaven einen glücklichen und zufriedenen Bauernſtand, und würden lächelnd inne, wie ſeltſam-kindiſch das Spiel iſt, das die Menſchen mit Worten treiben. Was noch von Reſten alter, romantiſcher Schauer in Ihnen zurückbliebe, verſchwände vollends, wenn Sie, da ich jetzt nur von der ſchwarzen Race ſprach, Ihren Blick auf die weiße Race eines Sclavenſtaates richteten. Bei uns erfüllt die weiße Race den Sinn des allgemeinen Geſetzes, daß die Mehrheit für die Minderheit arbeitet, durch wirkliche Cultur und nicht blos durch äußerlich-ſcheinbare. Die Arbeit unſrer Sclaven ge¬ währt uns die Muße, den höheren Functionen der Menſchheit obzu¬ liegen. Wir lieben Künſte und Wiſſenſchaften, pflegen die Literatur, verfeinern die geſellige Sitte, bilden uns für den Staat und die ſchwere Erfüllung unſrer patriotiſchen Pflichten. Wir liefern dem Congreß die hervorragendſten Mitglieder, der Republick die beſten Präſidenten, Waſhington ſelbſt war ein Sclavenhalter. Von all dieſen Vorzügen iſt im „freien“ Norden nicht die Rede. Der Fabriksarbeiter lebt that¬ ſächlich ſchlechter, als unſer wohlverpflegter und ſorgenfreier Sclave, der Fabriksherr ſelbſt aber kommt über den Unruhen ſeines bürger¬ lichen Erwerbes und als unfreies Glied in der Kette eines Credit- und Concurrenzſyſtems, das ihn willenlos fortreißt, eben ſo wenig zur Veredlung ſeines menſchlichen, noch weniger zur Ausbildung ſeines großen ſtaatsbürgeriſchen Daſeins. Wenn Amerika ſeine Freiheit ver¬ lieren kann, ſo wird die erſte Gefahr von dort ausgehen, bei uns werden die unerſchöpflichen Hilfsmittel eines wahrhaft republikaniſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0222"n="204"/>ſonificationen darſtellt — Ihr Goethe liebte das —ſo ſtellen wir<lb/>
den Carlos, den Antonio, den Mephiſto, wenn Sie wollen, und unſre<lb/>
Sclaven das inſtinktivere Weſen des Clavigo, des Taſſo, des Fauſt<lb/>
dar. Aber nicht die Vernunft allein, auch die Liebe laſſen wir ihr<lb/>
göttliches Amt erfüllen in unſrer Obergewalt über den ſchwarzen<lb/>
Bruder. Wir betrachten unſre Neger als Glieder unſrer Familie;<lb/>
ihre Kinder ſind die Geſpielen unſrer Kinder, wir nehmen wechſelſei¬<lb/>
tigen Antheil an den freudigen und traurigen Ereigniſſen, womit das<lb/>
Schickſal in der Colonnade des Herrn wie in dem <hirendition="#aq">log cabin</hi> des<lb/>
Sclaven einkehrt. Wir haben unſern Negern Schulen errichtet, Spi¬<lb/>
täler und Verſorgungshäuſer, wir unterrichten ſie im Chriſtenthume.<lb/>
Kurz, Sie erblickten in unſern Sclaven einen glücklichen und zufriedenen<lb/><hirendition="#g">Bauern</hi>ſ<hirendition="#g">tand</hi>, und würden lächelnd inne, wie ſeltſam-kindiſch das<lb/>
Spiel iſt, das die Menſchen mit Worten treiben. Was noch von<lb/>
Reſten alter, romantiſcher Schauer in Ihnen zurückbliebe, verſchwände<lb/>
vollends, wenn Sie, da ich jetzt nur von der ſchwarzen Race ſprach,<lb/>
Ihren Blick auf die weiße Race eines Sclavenſtaates richteten. Bei<lb/>
uns erfüllt die weiße Race den Sinn des allgemeinen Geſetzes, daß<lb/>
die Mehrheit für die Minderheit arbeitet, durch wirkliche Cultur und<lb/>
nicht blos durch äußerlich-ſcheinbare. Die Arbeit unſrer Sclaven ge¬<lb/>
währt uns die Muße, den höheren Functionen der Menſchheit obzu¬<lb/>
liegen. Wir lieben Künſte und Wiſſenſchaften, pflegen die Literatur,<lb/>
verfeinern die geſellige Sitte, bilden uns für den Staat und die ſchwere<lb/>
Erfüllung unſrer patriotiſchen Pflichten. Wir liefern dem Congreß<lb/>
die hervorragendſten Mitglieder, der Republick die beſten Präſidenten,<lb/>
Waſhington ſelbſt war ein Sclavenhalter. Von all dieſen Vorzügen<lb/>
iſt im „freien“ Norden nicht die Rede. Der Fabriksarbeiter lebt that¬<lb/>ſächlich ſchlechter, als unſer wohlverpflegter und ſorgenfreier Sclave,<lb/>
der Fabriksherr ſelbſt aber kommt über den Unruhen ſeines bürger¬<lb/>
lichen Erwerbes und als unfreies Glied in der Kette eines Credit-<lb/>
und Concurrenzſyſtems, das ihn willenlos fortreißt, eben ſo wenig zur<lb/>
Veredlung ſeines menſchlichen, noch weniger zur Ausbildung ſeines<lb/>
großen ſtaatsbürgeriſchen Daſeins. Wenn Amerika ſeine Freiheit ver¬<lb/>
lieren kann, ſo wird die erſte Gefahr von dort ausgehen, bei uns<lb/>
werden die unerſchöpflichen Hilfsmittel eines wahrhaft republikaniſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[204/0222]
ſonificationen darſtellt — Ihr Goethe liebte das — ſo ſtellen wir
den Carlos, den Antonio, den Mephiſto, wenn Sie wollen, und unſre
Sclaven das inſtinktivere Weſen des Clavigo, des Taſſo, des Fauſt
dar. Aber nicht die Vernunft allein, auch die Liebe laſſen wir ihr
göttliches Amt erfüllen in unſrer Obergewalt über den ſchwarzen
Bruder. Wir betrachten unſre Neger als Glieder unſrer Familie;
ihre Kinder ſind die Geſpielen unſrer Kinder, wir nehmen wechſelſei¬
tigen Antheil an den freudigen und traurigen Ereigniſſen, womit das
Schickſal in der Colonnade des Herrn wie in dem log cabin des
Sclaven einkehrt. Wir haben unſern Negern Schulen errichtet, Spi¬
täler und Verſorgungshäuſer, wir unterrichten ſie im Chriſtenthume.
Kurz, Sie erblickten in unſern Sclaven einen glücklichen und zufriedenen
Bauernſtand, und würden lächelnd inne, wie ſeltſam-kindiſch das
Spiel iſt, das die Menſchen mit Worten treiben. Was noch von
Reſten alter, romantiſcher Schauer in Ihnen zurückbliebe, verſchwände
vollends, wenn Sie, da ich jetzt nur von der ſchwarzen Race ſprach,
Ihren Blick auf die weiße Race eines Sclavenſtaates richteten. Bei
uns erfüllt die weiße Race den Sinn des allgemeinen Geſetzes, daß
die Mehrheit für die Minderheit arbeitet, durch wirkliche Cultur und
nicht blos durch äußerlich-ſcheinbare. Die Arbeit unſrer Sclaven ge¬
währt uns die Muße, den höheren Functionen der Menſchheit obzu¬
liegen. Wir lieben Künſte und Wiſſenſchaften, pflegen die Literatur,
verfeinern die geſellige Sitte, bilden uns für den Staat und die ſchwere
Erfüllung unſrer patriotiſchen Pflichten. Wir liefern dem Congreß
die hervorragendſten Mitglieder, der Republick die beſten Präſidenten,
Waſhington ſelbſt war ein Sclavenhalter. Von all dieſen Vorzügen
iſt im „freien“ Norden nicht die Rede. Der Fabriksarbeiter lebt that¬
ſächlich ſchlechter, als unſer wohlverpflegter und ſorgenfreier Sclave,
der Fabriksherr ſelbſt aber kommt über den Unruhen ſeines bürger¬
lichen Erwerbes und als unfreies Glied in der Kette eines Credit-
und Concurrenzſyſtems, das ihn willenlos fortreißt, eben ſo wenig zur
Veredlung ſeines menſchlichen, noch weniger zur Ausbildung ſeines
großen ſtaatsbürgeriſchen Daſeins. Wenn Amerika ſeine Freiheit ver¬
lieren kann, ſo wird die erſte Gefahr von dort ausgehen, bei uns
werden die unerſchöpflichen Hilfsmittel eines wahrhaft republikaniſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/222>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.