Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

an. Meine Töchter konnten damals noch für unmündig gelten, meine
Frau ließ ich auf's Land gehen, -- ich wollte die Verantwortung allein
tragen. So ging ich in die Schlacht. Die Quadrillen und Ecossaisen
schickt' ich natürlich voran. Als aber das Orchester den ersten Bogen¬
strich vom Senfsaamenwalzer machte, als ich meine Cöleste an die Hand
nahm, in die Mitte des Saales trat, und nun anfing unsern freien
und aufgeklärten Bürgern das böse Beispiel eines Walzers zu geben
-- sehen Sie, Sir, da lief mein unversicherter Eindecker von Neuem
gegen den Wind aus. Meine bürgerliche Existenz stand zum zweiten¬
male auf dem Spiele. Mit dem Angstschweiß auf der Stirne erwar¬
tete ich die Wirkung. Mein Gott, ich durfte nicht lange warten! Da
war die Miß Arabella Comonach, früher Fabriksmädchen in Lowell,
jetzt eine Fregatte von Würde und Anstand, die fiel in eine pomp¬
hafte Ohnmacht und schrie um ein Riechfläschchen. Da war die Miß
Lydia Hundington, die Frau des Hauptpastors an der Trinity-Church,
die schoß wie eine Brandrakette zum Saale hinaus, und grollte mir
wüthend zu, sie glaube in Singsang zu sein, d. h. im Zuchthaus.
Da war aber auch der Colonel Burr -- erinnern Sie sich gefälligst
an diesen großen, jetzt verschollenen Namen. Sie wissen, dieser Satan
war nahe daran, König von Amerika zu werden. Seine Verschwörung,
-- ein unsterbliches Meisterwerk von menschlicher Weisheit und Frech¬
heit, mißglückte zwar, aber so stark war der Anhang dieses Catilina,
daß kein Gerichtshof ihn zu verurtheilen wagte, aus Furcht vor seinen
Dolchen. Entlassen mit einem "Nichtschuldig", aber gescheucht und
gemieden von aller Welt, lebte er seitdem vereinsamt in Newyork, mein
Salon allein war's, der dieser unheimlichen Existenz noch offen stand.
Ich verehrte das Genie in ihm; ich hatte Herz für sein Familien¬
unglück. Denn seine Tochter ist heutiges Tags noch nicht wieder¬
gefunden, da sie sich in der flagrantesten Krisis der Verschwörung
auf eine Landreise von tausend Meilen aufgemacht hatte, um sich
mit ihrem verfolgten Vater zu vereinigen. Kein Mensch weiß
was aus ihr geworden; eine Beute der Räuber, der wilden Thiere
und der Novellendichter verschwand sie in unsern ungeheuren Wild¬
nissen. Nun, dieser Colonel Burr kommt auf mich zu, -- es
war das Letztemal, daß ich diesen kleinen muskulösen Raubvögel¬
körper, diesen Alligatorenblick, diese Jupitersstirn sah, und mit

an. Meine Töchter konnten damals noch für unmündig gelten, meine
Frau ließ ich auf's Land gehen, — ich wollte die Verantwortung allein
tragen. So ging ich in die Schlacht. Die Quadrillen und Ecoſſaiſen
ſchickt' ich natürlich voran. Als aber das Orcheſter den erſten Bogen¬
ſtrich vom Senfſaamenwalzer machte, als ich meine Cöleſte an die Hand
nahm, in die Mitte des Saales trat, und nun anfing unſern freien
und aufgeklärten Bürgern das böſe Beiſpiel eines Walzers zu geben
— ſehen Sie, Sir, da lief mein unverſicherter Eindecker von Neuem
gegen den Wind aus. Meine bürgerliche Exiſtenz ſtand zum zweiten¬
male auf dem Spiele. Mit dem Angſtſchweiß auf der Stirne erwar¬
tete ich die Wirkung. Mein Gott, ich durfte nicht lange warten! Da
war die Miß Arabella Comonach, früher Fabriksmädchen in Lowell,
jetzt eine Fregatte von Würde und Anſtand, die fiel in eine pomp¬
hafte Ohnmacht und ſchrie um ein Riechfläſchchen. Da war die Miß
Lydia Hundington, die Frau des Hauptpaſtors an der Trinity-Church,
die ſchoß wie eine Brandrakette zum Saale hinaus, und grollte mir
wüthend zu, ſie glaube in Singſang zu ſein, d. h. im Zuchthaus.
Da war aber auch der Colonel Burr — erinnern Sie ſich gefälligſt
an dieſen großen, jetzt verſchollenen Namen. Sie wiſſen, dieſer Satan
war nahe daran, König von Amerika zu werden. Seine Verſchwörung,
— ein unſterbliches Meiſterwerk von menſchlicher Weisheit und Frech¬
heit, mißglückte zwar, aber ſo ſtark war der Anhang dieſes Catilina,
daß kein Gerichtshof ihn zu verurtheilen wagte, aus Furcht vor ſeinen
Dolchen. Entlaſſen mit einem „Nichtſchuldig“, aber geſcheucht und
gemieden von aller Welt, lebte er ſeitdem vereinſamt in Newyork, mein
Salon allein war's, der dieſer unheimlichen Exiſtenz noch offen ſtand.
Ich verehrte das Genie in ihm; ich hatte Herz für ſein Familien¬
unglück. Denn ſeine Tochter iſt heutiges Tags noch nicht wieder¬
gefunden, da ſie ſich in der flagranteſten Kriſis der Verſchwörung
auf eine Landreiſe von tauſend Meilen aufgemacht hatte, um ſich
mit ihrem verfolgten Vater zu vereinigen. Kein Menſch weiß
was aus ihr geworden; eine Beute der Räuber, der wilden Thiere
und der Novellendichter verſchwand ſie in unſern ungeheuren Wild¬
niſſen. Nun, dieſer Colonel Burr kommt auf mich zu, — es
war das Letztemal, daß ich dieſen kleinen muskulöſen Raubvögel¬
körper, dieſen Alligatorenblick, dieſe Jupitersſtirn ſah, und mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0207" n="189"/>
an. Meine Töchter konnten damals noch für unmündig gelten, meine<lb/>
Frau ließ ich auf's Land gehen, &#x2014; ich wollte die Verantwortung allein<lb/>
tragen. So ging ich in die Schlacht. Die Quadrillen und Eco&#x017F;&#x017F;ai&#x017F;en<lb/>
&#x017F;chickt' ich natürlich voran. Als aber das Orche&#x017F;ter den er&#x017F;ten Bogen¬<lb/>
&#x017F;trich vom Senf&#x017F;aamenwalzer machte, als ich meine Cöle&#x017F;te an die Hand<lb/>
nahm, in die Mitte des Saales trat, und nun anfing un&#x017F;ern freien<lb/>
und aufgeklärten Bürgern das bö&#x017F;e Bei&#x017F;piel eines Walzers zu geben<lb/>
&#x2014; &#x017F;ehen Sie, Sir, da lief mein unver&#x017F;icherter Eindecker von Neuem<lb/>
gegen den Wind aus. Meine bürgerliche Exi&#x017F;tenz &#x017F;tand zum zweiten¬<lb/>
male auf dem Spiele. Mit dem Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß auf der Stirne erwar¬<lb/>
tete ich die Wirkung. Mein Gott, ich durfte nicht lange warten! Da<lb/>
war die Miß Arabella Comonach, früher Fabriksmädchen in Lowell,<lb/>
jetzt eine Fregatte von Würde und An&#x017F;tand, die fiel in eine pomp¬<lb/>
hafte Ohnmacht und &#x017F;chrie um ein Riechflä&#x017F;chchen. Da war die Miß<lb/>
Lydia Hundington, die Frau des Hauptpa&#x017F;tors an der Trinity-Church,<lb/>
die &#x017F;choß wie eine Brandrakette zum Saale hinaus, und grollte mir<lb/>
wüthend zu, &#x017F;ie glaube in Sing&#x017F;ang zu &#x017F;ein, d. h. im Zuchthaus.<lb/>
Da war aber auch der Colonel Burr &#x2014; erinnern Sie &#x017F;ich gefällig&#x017F;t<lb/>
an die&#x017F;en großen, jetzt ver&#x017F;chollenen Namen. Sie wi&#x017F;&#x017F;en, die&#x017F;er Satan<lb/>
war nahe daran, König von Amerika zu werden. Seine Ver&#x017F;chwörung,<lb/>
&#x2014; ein un&#x017F;terbliches Mei&#x017F;terwerk von men&#x017F;chlicher Weisheit und Frech¬<lb/>
heit, mißglückte zwar, aber &#x017F;o &#x017F;tark war der Anhang die&#x017F;es Catilina,<lb/>
daß kein Gerichtshof ihn zu verurtheilen wagte, aus Furcht vor &#x017F;einen<lb/>
Dolchen. Entla&#x017F;&#x017F;en mit einem &#x201E;Nicht&#x017F;chuldig&#x201C;, aber ge&#x017F;cheucht und<lb/>
gemieden von aller Welt, lebte er &#x017F;eitdem verein&#x017F;amt in Newyork, mein<lb/>
Salon allein war's, der die&#x017F;er unheimlichen Exi&#x017F;tenz noch offen &#x017F;tand.<lb/>
Ich verehrte das Genie in ihm; ich hatte Herz für &#x017F;ein Familien¬<lb/>
unglück. Denn &#x017F;eine Tochter i&#x017F;t heutiges Tags noch nicht wieder¬<lb/>
gefunden, da &#x017F;ie &#x017F;ich in der flagrante&#x017F;ten Kri&#x017F;is der Ver&#x017F;chwörung<lb/>
auf eine Landrei&#x017F;e von tau&#x017F;end Meilen aufgemacht hatte, um &#x017F;ich<lb/>
mit ihrem verfolgten Vater zu vereinigen. Kein Men&#x017F;ch weiß<lb/>
was aus ihr geworden; eine Beute der Räuber, der wilden Thiere<lb/>
und der Novellendichter ver&#x017F;chwand &#x017F;ie in un&#x017F;ern ungeheuren Wild¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en. Nun, die&#x017F;er Colonel Burr kommt auf mich zu, &#x2014; es<lb/>
war das Letztemal, daß ich die&#x017F;en kleinen muskulö&#x017F;en Raubvögel¬<lb/>
körper, die&#x017F;en Alligatorenblick, die&#x017F;e Jupiters&#x017F;tirn &#x017F;ah, und mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0207] an. Meine Töchter konnten damals noch für unmündig gelten, meine Frau ließ ich auf's Land gehen, — ich wollte die Verantwortung allein tragen. So ging ich in die Schlacht. Die Quadrillen und Ecoſſaiſen ſchickt' ich natürlich voran. Als aber das Orcheſter den erſten Bogen¬ ſtrich vom Senfſaamenwalzer machte, als ich meine Cöleſte an die Hand nahm, in die Mitte des Saales trat, und nun anfing unſern freien und aufgeklärten Bürgern das böſe Beiſpiel eines Walzers zu geben — ſehen Sie, Sir, da lief mein unverſicherter Eindecker von Neuem gegen den Wind aus. Meine bürgerliche Exiſtenz ſtand zum zweiten¬ male auf dem Spiele. Mit dem Angſtſchweiß auf der Stirne erwar¬ tete ich die Wirkung. Mein Gott, ich durfte nicht lange warten! Da war die Miß Arabella Comonach, früher Fabriksmädchen in Lowell, jetzt eine Fregatte von Würde und Anſtand, die fiel in eine pomp¬ hafte Ohnmacht und ſchrie um ein Riechfläſchchen. Da war die Miß Lydia Hundington, die Frau des Hauptpaſtors an der Trinity-Church, die ſchoß wie eine Brandrakette zum Saale hinaus, und grollte mir wüthend zu, ſie glaube in Singſang zu ſein, d. h. im Zuchthaus. Da war aber auch der Colonel Burr — erinnern Sie ſich gefälligſt an dieſen großen, jetzt verſchollenen Namen. Sie wiſſen, dieſer Satan war nahe daran, König von Amerika zu werden. Seine Verſchwörung, — ein unſterbliches Meiſterwerk von menſchlicher Weisheit und Frech¬ heit, mißglückte zwar, aber ſo ſtark war der Anhang dieſes Catilina, daß kein Gerichtshof ihn zu verurtheilen wagte, aus Furcht vor ſeinen Dolchen. Entlaſſen mit einem „Nichtſchuldig“, aber geſcheucht und gemieden von aller Welt, lebte er ſeitdem vereinſamt in Newyork, mein Salon allein war's, der dieſer unheimlichen Exiſtenz noch offen ſtand. Ich verehrte das Genie in ihm; ich hatte Herz für ſein Familien¬ unglück. Denn ſeine Tochter iſt heutiges Tags noch nicht wieder¬ gefunden, da ſie ſich in der flagranteſten Kriſis der Verſchwörung auf eine Landreiſe von tauſend Meilen aufgemacht hatte, um ſich mit ihrem verfolgten Vater zu vereinigen. Kein Menſch weiß was aus ihr geworden; eine Beute der Räuber, der wilden Thiere und der Novellendichter verſchwand ſie in unſern ungeheuren Wild¬ niſſen. Nun, dieſer Colonel Burr kommt auf mich zu, — es war das Letztemal, daß ich dieſen kleinen muskulöſen Raubvögel¬ körper, dieſen Alligatorenblick, dieſe Jupitersſtirn ſah, und mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/207
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/207>, abgerufen am 25.11.2024.