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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Ich hatte eine gute Ladung Cognac im Kopf, und diese Wetten machten
mich vollends des Teufels. Beim Old Nick! schrie ich außer mir,
nun wett' ich auch, ich! Jungens, wenn ihr die grüne Erbsensuppe
schlucken müßt, verschwor ich mich meinem Steuermann-Buben und
seinen vier Matrosen -- denn das war unsere ganze Bemannung --
wenn's euer Leben gilt, so halt' ich mit, ich jage mir ein Loth Blei
in den Kopf. Dabei rief ich Umstehende, Fremde und Freunde zu
Zeugen an, und nur ein alter Geistlicher verhinderte mich den Notar
zu rufen. Enfin, die Buben lavirten sich durch, auf halber Fahrt
schlug der Wind um, wir hatten den Concurrenz-Vorsprung, und mach¬
ten enormen Gewinn. Das aber ist gewiß, kam's anders, so war ich
Mann genug mein Wort zu halten. Rathen Sie nun, was ich jener
Wagethat an die Seite setze? die That als ich zwanzig Jahre später
-- den Walzer hier einführte. Ja, Herr, das war mein zweites va
banque
! Man hatte bis dahin nur langweilig-sittsame Quadrillen und
Ecossaisen gekannt; daß man im Tanze die Taille eines Weibes be¬
rühren könne, ging über all unsre Vorstellungen. War ja noch vor
meiner grande route ein Pariser Ballet nach Newyork herüber ge¬
kommen -- es ist schlechterdings mit Worten nicht wiederzugeben, wel¬
ches Aufsehen seine Vorstellungen erregten. Ich war bei der ersten
zugegen. Schon der bloße Anblick der kurzen Balletröcke brachte eine
Bewegung im Hause hervor, die dem Ausbruch eines Volksaufstandes
nicht unähnlich war. Als aber die erste Pirouette gemacht wurde, be¬
sagte Röcke rundum flogen und die Beine eine horizontale Richtung
nahmen -- da schrieen die weiblichen Zuschauerinnen laut auf, und
die nicht auf eigenen Füßen hinausstürzten, die wurden ohnmächtig
fortgetragen. Die Männer aber erhoben ein Gelächter -- kein wohl¬
gefälliges, bewahre, ein satyrisches, ein Hohngelächter, nur lächerlich
schien ihnen diese Kunst; die Sprache der Grazie verstanden sie nicht
darin, in ganz Newyork war keine Ahnung darüber aufzutreiben. So
sah das Land aus, in welches ich bei meiner Rückkehr von Europa den
Walzer verpflanzen wollte. Lassen Sie mich sagen, mein Herr, neue
Städte gründen ist etwas, aber neue Sitten gründen, mehr. Noch
habe ich die Geige im Glasschrank stehen, womit der deutsche Tanz¬
meister meinen Töchtern den Senfsaamenwalzer einstudirte, -- Gott
weiß es, ich vergesse diese Klänge nie wieder. Der Ballabend brach

Ich hatte eine gute Ladung Cognac im Kopf, und dieſe Wetten machten
mich vollends des Teufels. Beim Old Nick! ſchrie ich außer mir,
nun wett' ich auch, ich! Jungens, wenn ihr die grüne Erbſenſuppe
ſchlucken müßt, verſchwor ich mich meinem Steuermann-Buben und
ſeinen vier Matroſen — denn das war unſere ganze Bemannung —
wenn's euer Leben gilt, ſo halt' ich mit, ich jage mir ein Loth Blei
in den Kopf. Dabei rief ich Umſtehende, Fremde und Freunde zu
Zeugen an, und nur ein alter Geiſtlicher verhinderte mich den Notar
zu rufen. Enfin, die Buben lavirten ſich durch, auf halber Fahrt
ſchlug der Wind um, wir hatten den Concurrenz-Vorſprung, und mach¬
ten enormen Gewinn. Das aber iſt gewiß, kam's anders, ſo war ich
Mann genug mein Wort zu halten. Rathen Sie nun, was ich jener
Wagethat an die Seite ſetze? die That als ich zwanzig Jahre ſpäter
— den Walzer hier einführte. Ja, Herr, das war mein zweites va
banque
! Man hatte bis dahin nur langweilig-ſittſame Quadrillen und
Ecoſſaiſen gekannt; daß man im Tanze die Taille eines Weibes be¬
rühren könne, ging über all unſre Vorſtellungen. War ja noch vor
meiner grande route ein Pariſer Ballet nach Newyork herüber ge¬
kommen — es iſt ſchlechterdings mit Worten nicht wiederzugeben, wel¬
ches Aufſehen ſeine Vorſtellungen erregten. Ich war bei der erſten
zugegen. Schon der bloße Anblick der kurzen Balletröcke brachte eine
Bewegung im Hauſe hervor, die dem Ausbruch eines Volksaufſtandes
nicht unähnlich war. Als aber die erſte Pirouette gemacht wurde, be¬
ſagte Röcke rundum flogen und die Beine eine horizontale Richtung
nahmen — da ſchrieen die weiblichen Zuſchauerinnen laut auf, und
die nicht auf eigenen Füßen hinausſtürzten, die wurden ohnmächtig
fortgetragen. Die Männer aber erhoben ein Gelächter — kein wohl¬
gefälliges, bewahre, ein ſatyriſches, ein Hohngelächter, nur lächerlich
ſchien ihnen dieſe Kunſt; die Sprache der Grazie verſtanden ſie nicht
darin, in ganz Newyork war keine Ahnung darüber aufzutreiben. So
ſah das Land aus, in welches ich bei meiner Rückkehr von Europa den
Walzer verpflanzen wollte. Laſſen Sie mich ſagen, mein Herr, neue
Städte gründen iſt etwas, aber neue Sitten gründen, mehr. Noch
habe ich die Geige im Glasſchrank ſtehen, womit der deutſche Tanz¬
meiſter meinen Töchtern den Senfſaamenwalzer einſtudirte, — Gott
weiß es, ich vergeſſe dieſe Klänge nie wieder. Der Ballabend brach

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[188/0206] Ich hatte eine gute Ladung Cognac im Kopf, und dieſe Wetten machten mich vollends des Teufels. Beim Old Nick! ſchrie ich außer mir, nun wett' ich auch, ich! Jungens, wenn ihr die grüne Erbſenſuppe ſchlucken müßt, verſchwor ich mich meinem Steuermann-Buben und ſeinen vier Matroſen — denn das war unſere ganze Bemannung — wenn's euer Leben gilt, ſo halt' ich mit, ich jage mir ein Loth Blei in den Kopf. Dabei rief ich Umſtehende, Fremde und Freunde zu Zeugen an, und nur ein alter Geiſtlicher verhinderte mich den Notar zu rufen. Enfin, die Buben lavirten ſich durch, auf halber Fahrt ſchlug der Wind um, wir hatten den Concurrenz-Vorſprung, und mach¬ ten enormen Gewinn. Das aber iſt gewiß, kam's anders, ſo war ich Mann genug mein Wort zu halten. Rathen Sie nun, was ich jener Wagethat an die Seite ſetze? die That als ich zwanzig Jahre ſpäter — den Walzer hier einführte. Ja, Herr, das war mein zweites va banque! Man hatte bis dahin nur langweilig-ſittſame Quadrillen und Ecoſſaiſen gekannt; daß man im Tanze die Taille eines Weibes be¬ rühren könne, ging über all unſre Vorſtellungen. War ja noch vor meiner grande route ein Pariſer Ballet nach Newyork herüber ge¬ kommen — es iſt ſchlechterdings mit Worten nicht wiederzugeben, wel¬ ches Aufſehen ſeine Vorſtellungen erregten. Ich war bei der erſten zugegen. Schon der bloße Anblick der kurzen Balletröcke brachte eine Bewegung im Hauſe hervor, die dem Ausbruch eines Volksaufſtandes nicht unähnlich war. Als aber die erſte Pirouette gemacht wurde, be¬ ſagte Röcke rundum flogen und die Beine eine horizontale Richtung nahmen — da ſchrieen die weiblichen Zuſchauerinnen laut auf, und die nicht auf eigenen Füßen hinausſtürzten, die wurden ohnmächtig fortgetragen. Die Männer aber erhoben ein Gelächter — kein wohl¬ gefälliges, bewahre, ein ſatyriſches, ein Hohngelächter, nur lächerlich ſchien ihnen dieſe Kunſt; die Sprache der Grazie verſtanden ſie nicht darin, in ganz Newyork war keine Ahnung darüber aufzutreiben. So ſah das Land aus, in welches ich bei meiner Rückkehr von Europa den Walzer verpflanzen wollte. Laſſen Sie mich ſagen, mein Herr, neue Städte gründen iſt etwas, aber neue Sitten gründen, mehr. Noch habe ich die Geige im Glasſchrank ſtehen, womit der deutſche Tanz¬ meiſter meinen Töchtern den Senfſaamenwalzer einſtudirte, — Gott weiß es, ich vergeſſe dieſe Klänge nie wieder. Der Ballabend brach

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/206>, abgerufen am 22.11.2024.