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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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des Thierstoffes und der Anerkennung des Thiergeistes ist. Wir neh¬
men Act von der philosophischen Seite seines Bekenntnisses und lassen
die theologische auf sich beruhen. Ich behandle also meinen Omar
als Geist. Ich ignorire seine niedere Natur und wirke auf seine
höhere. Ich wecke seine schlummernde und gebundene Sittlichkeit. Ich
begegne ihm mit Achtung und werde dadurch seine Selbstachtung an¬
regen. Kurz, ich verfahre mit ihm, wie man mit jenem Wilde ver¬
fährt, welches Wurzeln gräbt, Gras ißt, Vögel und Ratten jagt, un¬
artikulirte Laute ausstößt, behaarten und zottigen Leibes ist, und wel¬
ches man doch nicht im Stalle, sondern im Boudoir erzieht, weil es
nach Familien-Erinnerungen und Kirchenbüchern sich als eine Baronesse
ausweist. Sie werden sagen, dem Thier fehlt die Sprache. Dieser
Eine Mangel stehe seiner Perfectibilität entscheidend im Wege. Aber
fehlt die Sprache den Taubstummen nicht auch? In der That, Sir,
sobald ich meinen Omar nur so weit gebracht habe, daß das Persön¬
lichkeitsgefühl in ihm wach ist, so will ich es auch mit der Zeichen¬
sprache versuchen. Man hat zu Boston ein vortreffliches Taubstummen-
Institut. Omar soll hin, denn ich zweifle nicht, daß der Director
ein vorurtheilsfreier Mann sein wird.

Hier schwieg der Engländer. Moorfeld hatte diese ganze Demon¬
stration mit jener Bewunderung angehört, die ihr nicht wohl zu ver¬
sagen war. Er sann im Stillen darauf, wie er sich der Einführung
durch einen Mann entziehen könne, der nach dieser Probe offenbar die
bete noire der Salons sein mußte. Aber schon hatte unser Paar
Whitehall-Street quer durchstrichen und das Schmuckkästchen Neuyorks,
die Battery, that ihre Pracht und Herrlichkeit auf. Die olympische
Luft, die durch diese Park-Anlagen, durch diese Palast-Enfiladen voll
geschäftsloser Ruhe und vornehmer Verschlossenheit wehte, goß alsbald
ihren berauschenden Duft um die dichterischen Sinne unsers Freundes.
Hier ist Mr. Bennet, sagte der Lord auf ein Haus deutend, das schönste
des ganzen Quartiers, eine wahre Blume von Bauschönheit. Moor¬
feld erschrack mächtig, wie kopfhängerisch-trüb er sonst hier promenirt
haben müßte, daß ihm diese Perle nicht längst in die Augen geleuchtet.
Eine Begierde, eine Art leidenschaftliche Genußsucht hier einzutreten,
ergriff ihn sogleich, die ihm über alles Andere hinweghalf. Er dachte
von dem Engländer jetzt mit einer gewissen Liberalität, seine vorigen

des Thierſtoffes und der Anerkennung des Thiergeiſtes iſt. Wir neh¬
men Act von der philoſophiſchen Seite ſeines Bekenntniſſes und laſſen
die theologiſche auf ſich beruhen. Ich behandle alſo meinen Omar
als Geiſt. Ich ignorire ſeine niedere Natur und wirke auf ſeine
höhere. Ich wecke ſeine ſchlummernde und gebundene Sittlichkeit. Ich
begegne ihm mit Achtung und werde dadurch ſeine Selbſtachtung an¬
regen. Kurz, ich verfahre mit ihm, wie man mit jenem Wilde ver¬
fährt, welches Wurzeln gräbt, Gras ißt, Vögel und Ratten jagt, un¬
artikulirte Laute ausſtößt, behaarten und zottigen Leibes iſt, und wel¬
ches man doch nicht im Stalle, ſondern im Boudoir erzieht, weil es
nach Familien-Erinnerungen und Kirchenbüchern ſich als eine Baroneſſe
ausweist. Sie werden ſagen, dem Thier fehlt die Sprache. Dieſer
Eine Mangel ſtehe ſeiner Perfectibilität entſcheidend im Wege. Aber
fehlt die Sprache den Taubſtummen nicht auch? In der That, Sir,
ſobald ich meinen Omar nur ſo weit gebracht habe, daß das Perſön¬
lichkeitsgefühl in ihm wach iſt, ſo will ich es auch mit der Zeichen¬
ſprache verſuchen. Man hat zu Boſton ein vortreffliches Taubſtummen-
Inſtitut. Omar ſoll hin, denn ich zweifle nicht, daß der Director
ein vorurtheilsfreier Mann ſein wird.

Hier ſchwieg der Engländer. Moorfeld hatte dieſe ganze Demon¬
ſtration mit jener Bewunderung angehört, die ihr nicht wohl zu ver¬
ſagen war. Er ſann im Stillen darauf, wie er ſich der Einführung
durch einen Mann entziehen könne, der nach dieſer Probe offenbar die
bête noire der Salons ſein mußte. Aber ſchon hatte unſer Paar
Whitehall-Street quer durchſtrichen und das Schmuckkäſtchen Neuyorks,
die Battery, that ihre Pracht und Herrlichkeit auf. Die olympiſche
Luft, die durch dieſe Park-Anlagen, durch dieſe Palaſt-Enfiladen voll
geſchäftsloſer Ruhe und vornehmer Verſchloſſenheit wehte, goß alsbald
ihren berauſchenden Duft um die dichteriſchen Sinne unſers Freundes.
Hier iſt Mr. Bennet, ſagte der Lord auf ein Haus deutend, das ſchönſte
des ganzen Quartiers, eine wahre Blume von Bauſchönheit. Moor¬
feld erſchrack mächtig, wie kopfhängeriſch-trüb er ſonſt hier promenirt
haben müßte, daß ihm dieſe Perle nicht längſt in die Augen geleuchtet.
Eine Begierde, eine Art leidenſchaftliche Genußſucht hier einzutreten,
ergriff ihn ſogleich, die ihm über alles Andere hinweghalf. Er dachte
von dem Engländer jetzt mit einer gewiſſen Liberalität, ſeine vorigen

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[181/0199] des Thierſtoffes und der Anerkennung des Thiergeiſtes iſt. Wir neh¬ men Act von der philoſophiſchen Seite ſeines Bekenntniſſes und laſſen die theologiſche auf ſich beruhen. Ich behandle alſo meinen Omar als Geiſt. Ich ignorire ſeine niedere Natur und wirke auf ſeine höhere. Ich wecke ſeine ſchlummernde und gebundene Sittlichkeit. Ich begegne ihm mit Achtung und werde dadurch ſeine Selbſtachtung an¬ regen. Kurz, ich verfahre mit ihm, wie man mit jenem Wilde ver¬ fährt, welches Wurzeln gräbt, Gras ißt, Vögel und Ratten jagt, un¬ artikulirte Laute ausſtößt, behaarten und zottigen Leibes iſt, und wel¬ ches man doch nicht im Stalle, ſondern im Boudoir erzieht, weil es nach Familien-Erinnerungen und Kirchenbüchern ſich als eine Baroneſſe ausweist. Sie werden ſagen, dem Thier fehlt die Sprache. Dieſer Eine Mangel ſtehe ſeiner Perfectibilität entſcheidend im Wege. Aber fehlt die Sprache den Taubſtummen nicht auch? In der That, Sir, ſobald ich meinen Omar nur ſo weit gebracht habe, daß das Perſön¬ lichkeitsgefühl in ihm wach iſt, ſo will ich es auch mit der Zeichen¬ ſprache verſuchen. Man hat zu Boſton ein vortreffliches Taubſtummen- Inſtitut. Omar ſoll hin, denn ich zweifle nicht, daß der Director ein vorurtheilsfreier Mann ſein wird. Hier ſchwieg der Engländer. Moorfeld hatte dieſe ganze Demon¬ ſtration mit jener Bewunderung angehört, die ihr nicht wohl zu ver¬ ſagen war. Er ſann im Stillen darauf, wie er ſich der Einführung durch einen Mann entziehen könne, der nach dieſer Probe offenbar die bête noire der Salons ſein mußte. Aber ſchon hatte unſer Paar Whitehall-Street quer durchſtrichen und das Schmuckkäſtchen Neuyorks, die Battery, that ihre Pracht und Herrlichkeit auf. Die olympiſche Luft, die durch dieſe Park-Anlagen, durch dieſe Palaſt-Enfiladen voll geſchäftsloſer Ruhe und vornehmer Verſchloſſenheit wehte, goß alsbald ihren berauſchenden Duft um die dichteriſchen Sinne unſers Freundes. Hier iſt Mr. Bennet, ſagte der Lord auf ein Haus deutend, das ſchönſte des ganzen Quartiers, eine wahre Blume von Bauſchönheit. Moor¬ feld erſchrack mächtig, wie kopfhängeriſch-trüb er ſonſt hier promenirt haben müßte, daß ihm dieſe Perle nicht längſt in die Augen geleuchtet. Eine Begierde, eine Art leidenſchaftliche Genußſucht hier einzutreten, ergriff ihn ſogleich, die ihm über alles Andere hinweghalf. Er dachte von dem Engländer jetzt mit einer gewiſſen Liberalität, ſeine vorigen

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/199>, abgerufen am 28.04.2024.