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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mich um, ich wähle, ich kaufe. Ich mache aus meinen Gedanken eine
fertige Thatsache. Diese fertige Thatsache lege ich Ihnen vor, Sie
werden Ihr Verhältniß zu ihr dann selbst finden. Sind wir aber so
weit -- ein Wort für Alle, liebster Herr, Sie lassen mich nicht
sitzen! Sie bleiben selbst nicht sitzen in Kleindeutschland! Sie bringen
mir die Besten Ihres Volkes mit und den ersten rücken spätere nach
und, den wenigen mehrere und eine Stadt zimmern wir uns auf,
darin sind Sie Pastor primarius, Rector magnificus, Redacteur en
Chef, Kaufmann en gros und en Detail, kurz, was ein Amerikaner
in einer jungen Ansiedlung ist: eine indische Gottheit mit hundert
Händen und Füßen. Ich aber verkaufe meine Acres um das Hundert¬
fache und werde Millionär. Mit dieser passiven Rolle begnüge ich
mich neben ihrer activen. Darauf ziel' ich; daß ich es nur gestehe!
ein freiwilliges Geständniß ist immer ein mildernder Umstand. Das
sind meine Tendenzen. Freilich sollt' ich sie nicht am Theetisch ent¬
hüllen. Eine "Loretto-Kapelle" ist keine Börse. Was werden unsre
verehrungswürdigen Damen denken! Ein Dichter ist angemeldet und
ein Landspeculant kommt. Welch ein Abfall von gestern und heute!
Sehen Sie, so schnell entartet die europäische Race in Amerika. Es ist
Zeit, daß ich abbreche und von ganzem Herzen um Verzeihung bitte.

Damit erledigte Moorfeld seinen Antrag für's Erste. Und wie
nach solchem Thema nicht wohl ein leichterer Ton wieder anzuschlagen
war, so erinnerte er sich jetzt rechtzeitig an Benthal's zuvor verspro¬
chenen Aufsatz. Er zweifelte nicht, daß derselbe jenes Element ent¬
halten werde, dessen die Situation jetzt bedurfte: irgend ein gedanken¬
reiches Etwas, fähig, die Stimmung, ohne ihr Zwang anzuthun, an
ein neues Interesse zu fesseln. Er wiederholte daher seine Bitte.
Aber Benthal war jetzt noch zurückhaltender, als er sich gleich zuerst
gezeigt hatte. Man sah ihm eine große Verlegenheit an. Er suchte
Ausflüchte, er behauptete, kein Augenblick ließe sich ungünstiger, als
der gegenwärtige wählen, die Lectüre sei ganz und gar nicht an ihrem
Platze jetzt. Auf Moorfeld's Befremden verrieth er endlich so viel:
es sei in jenem Schriftchen von Amerika etwas heterodox gesprochen;
eine günstigere Meinung müsse sich nothwendig davon verletzt fühlen;
eine solche Dissonanz getraue er sich aber nicht zu verantworten, am
wenigsten in gegenwärtigem Augenblicke.

mich um, ich wähle, ich kaufe. Ich mache aus meinen Gedanken eine
fertige Thatſache. Dieſe fertige Thatſache lege ich Ihnen vor, Sie
werden Ihr Verhältniß zu ihr dann ſelbſt finden. Sind wir aber ſo
weit — ein Wort für Alle, liebſter Herr, Sie laſſen mich nicht
ſitzen! Sie bleiben ſelbſt nicht ſitzen in Kleindeutſchland! Sie bringen
mir die Beſten Ihres Volkes mit und den erſten rücken ſpätere nach
und, den wenigen mehrere und eine Stadt zimmern wir uns auf,
darin ſind Sie Paſtor primarius, Rector magnificus, Redacteur en
Chef, Kaufmann en gros und en Detail, kurz, was ein Amerikaner
in einer jungen Anſiedlung iſt: eine indiſche Gottheit mit hundert
Händen und Füßen. Ich aber verkaufe meine Acres um das Hundert¬
fache und werde Millionär. Mit dieſer paſſiven Rolle begnüge ich
mich neben ihrer activen. Darauf ziel' ich; daß ich es nur geſtehe!
ein freiwilliges Geſtändniß iſt immer ein mildernder Umſtand. Das
ſind meine Tendenzen. Freilich ſollt' ich ſie nicht am Theetiſch ent¬
hüllen. Eine „Loretto-Kapelle“ iſt keine Börſe. Was werden unſre
verehrungswürdigen Damen denken! Ein Dichter iſt angemeldet und
ein Landſpeculant kommt. Welch ein Abfall von geſtern und heute!
Sehen Sie, ſo ſchnell entartet die europäiſche Race in Amerika. Es iſt
Zeit, daß ich abbreche und von ganzem Herzen um Verzeihung bitte.

Damit erledigte Moorfeld ſeinen Antrag für's Erſte. Und wie
nach ſolchem Thema nicht wohl ein leichterer Ton wieder anzuſchlagen
war, ſo erinnerte er ſich jetzt rechtzeitig an Benthal's zuvor verſpro¬
chenen Aufſatz. Er zweifelte nicht, daß derſelbe jenes Element ent¬
halten werde, deſſen die Situation jetzt bedurfte: irgend ein gedanken¬
reiches Etwas, fähig, die Stimmung, ohne ihr Zwang anzuthun, an
ein neues Intereſſe zu feſſeln. Er wiederholte daher ſeine Bitte.
Aber Benthal war jetzt noch zurückhaltender, als er ſich gleich zuerſt
gezeigt hatte. Man ſah ihm eine große Verlegenheit an. Er ſuchte
Ausflüchte, er behauptete, kein Augenblick ließe ſich ungünſtiger, als
der gegenwärtige wählen, die Lectüre ſei ganz und gar nicht an ihrem
Platze jetzt. Auf Moorfeld's Befremden verrieth er endlich ſo viel:
es ſei in jenem Schriftchen von Amerika etwas heterodox geſprochen;
eine günſtigere Meinung müſſe ſich nothwendig davon verletzt fühlen;
eine ſolche Diſſonanz getraue er ſich aber nicht zu verantworten, am
wenigſten in gegenwärtigem Augenblicke.

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[164/0182] mich um, ich wähle, ich kaufe. Ich mache aus meinen Gedanken eine fertige Thatſache. Dieſe fertige Thatſache lege ich Ihnen vor, Sie werden Ihr Verhältniß zu ihr dann ſelbſt finden. Sind wir aber ſo weit — ein Wort für Alle, liebſter Herr, Sie laſſen mich nicht ſitzen! Sie bleiben ſelbſt nicht ſitzen in Kleindeutſchland! Sie bringen mir die Beſten Ihres Volkes mit und den erſten rücken ſpätere nach und, den wenigen mehrere und eine Stadt zimmern wir uns auf, darin ſind Sie Paſtor primarius, Rector magnificus, Redacteur en Chef, Kaufmann en gros und en Detail, kurz, was ein Amerikaner in einer jungen Anſiedlung iſt: eine indiſche Gottheit mit hundert Händen und Füßen. Ich aber verkaufe meine Acres um das Hundert¬ fache und werde Millionär. Mit dieſer paſſiven Rolle begnüge ich mich neben ihrer activen. Darauf ziel' ich; daß ich es nur geſtehe! ein freiwilliges Geſtändniß iſt immer ein mildernder Umſtand. Das ſind meine Tendenzen. Freilich ſollt' ich ſie nicht am Theetiſch ent¬ hüllen. Eine „Loretto-Kapelle“ iſt keine Börſe. Was werden unſre verehrungswürdigen Damen denken! Ein Dichter iſt angemeldet und ein Landſpeculant kommt. Welch ein Abfall von geſtern und heute! Sehen Sie, ſo ſchnell entartet die europäiſche Race in Amerika. Es iſt Zeit, daß ich abbreche und von ganzem Herzen um Verzeihung bitte. Damit erledigte Moorfeld ſeinen Antrag für's Erſte. Und wie nach ſolchem Thema nicht wohl ein leichterer Ton wieder anzuſchlagen war, ſo erinnerte er ſich jetzt rechtzeitig an Benthal's zuvor verſpro¬ chenen Aufſatz. Er zweifelte nicht, daß derſelbe jenes Element ent¬ halten werde, deſſen die Situation jetzt bedurfte: irgend ein gedanken¬ reiches Etwas, fähig, die Stimmung, ohne ihr Zwang anzuthun, an ein neues Intereſſe zu feſſeln. Er wiederholte daher ſeine Bitte. Aber Benthal war jetzt noch zurückhaltender, als er ſich gleich zuerſt gezeigt hatte. Man ſah ihm eine große Verlegenheit an. Er ſuchte Ausflüchte, er behauptete, kein Augenblick ließe ſich ungünſtiger, als der gegenwärtige wählen, die Lectüre ſei ganz und gar nicht an ihrem Platze jetzt. Auf Moorfeld's Befremden verrieth er endlich ſo viel: es ſei in jenem Schriftchen von Amerika etwas heterodox geſprochen; eine günſtigere Meinung müſſe ſich nothwendig davon verletzt fühlen; eine ſolche Diſſonanz getraue er ſich aber nicht zu verantworten, am wenigſten in gegenwärtigem Augenblicke.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/182>, abgerufen am 28.04.2024.