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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Mondlicht! Wollen wir sie nicht fortspinnen? Ich werde dringender,
seit ich weiß, daß ich Sie verlieren kann. Bitte, sprechen Sie von
sich selbst, wenn ich so viel eintauschen darf für ein Gespräch von
Paulinen.

Pfui! rief Moorfeld, man sollte die Geliebte selbst nicht im
Scherze nachsetzen. Von ihr zu hören, machte uns beiden Freude;
aber mein Verhältniß zu Europa und Amerika? Freilich ist's auch
eine Dame, es ist eine Sphinx! Die sagt mir nicht, in welchen Längen
ich segle -- sie gibt mir selbst Fragen und Räthseln auf. Schlimm
wenn ich sie nicht löse, und schlimm wenn ich sie löse -- ein König
Oedipus! Doch Sie haben Recht. Profitiren wir von dem späten
Mondbesuch, es plaudert sich ganz hübsch zwischen Mond und fahren¬
dem Poeten, es klingt so en famille! Gebt dem Dämmer was des
Dämmers ist!

Die beiden Freunde faßten sich von Neuem unter dem Arm und
gingen in den Lindenalleen des Parks auf und nieder. Moorfeld be¬
gann: Als ich vor einigen Jahren anfing, meinen Dichterberuf zu
fühlen, überkam mich eine unermeßliche Unruhe. Ich sah um mich
her und fand, daß unsre gesammte poetische Literatur das nicht aus¬
drückte, was sie ausdrücken wollte und sollte.

Benthal machte eine überraschte Gebärde.

Das fand ich, wiederholte Moorfeld. Ich fand mich in einen Hexen¬
sabbath geworfen, in einen Maskenball, die ganze Poesie kam mir
vor, wie eine verabredete Vermummung, eine Verrätherei, eine Ver¬
schwörung, und auf mich war's gemünzt. Ich fühlte einen starken
und eigenen Inhalt in mir, und die Masken huschten in antiken und
romantischen Lügengewändern um mich her, und wie das munkelte,
zischelte, flüsterte, so ward mir nicht anders, als sie wollten mich ver¬
leiten, zu horchen, damit ich meine eigene Stimme überhörte. Es
war ein unnennbares Gefühl. Ich bin verlegen, es Ihnen ganz deut¬
lich zu machen. Denken Sie sich einen Musiker, der mitten in einem
rauschenden Concert einen eigenen Einfall bekommt. Von dem Au¬
genblicke an spielt ihm das Orchester in gräulichen Disharmonien.
Mit größter Anstrengung hält er den eigenen Gedanken fest, es ge¬
lingt nicht, die äußeren Sinne überwältigen ihn, der Gedanke sinkt, er
geht unter, schon vernimmt er ihn nicht mehr, da ergreift ihn die

Mondlicht! Wollen wir ſie nicht fortſpinnen? Ich werde dringender,
ſeit ich weiß, daß ich Sie verlieren kann. Bitte, ſprechen Sie von
ſich ſelbſt, wenn ich ſo viel eintauſchen darf für ein Geſpräch von
Paulinen.

Pfui! rief Moorfeld, man ſollte die Geliebte ſelbſt nicht im
Scherze nachſetzen. Von ihr zu hören, machte uns beiden Freude;
aber mein Verhältniß zu Europa und Amerika? Freilich iſt's auch
eine Dame, es iſt eine Sphinx! Die ſagt mir nicht, in welchen Längen
ich ſegle — ſie gibt mir ſelbſt Fragen und Räthſeln auf. Schlimm
wenn ich ſie nicht löſe, und ſchlimm wenn ich ſie löſe — ein König
Oedipus! Doch Sie haben Recht. Profitiren wir von dem ſpäten
Mondbeſuch, es plaudert ſich ganz hübſch zwiſchen Mond und fahren¬
dem Poeten, es klingt ſo en famille! Gebt dem Dämmer was des
Dämmers iſt!

Die beiden Freunde faßten ſich von Neuem unter dem Arm und
gingen in den Lindenalleen des Parks auf und nieder. Moorfeld be¬
gann: Als ich vor einigen Jahren anfing, meinen Dichterberuf zu
fühlen, überkam mich eine unermeßliche Unruhe. Ich ſah um mich
her und fand, daß unſre geſammte poetiſche Literatur das nicht aus¬
drückte, was ſie ausdrücken wollte und ſollte.

Benthal machte eine überraſchte Gebärde.

Das fand ich, wiederholte Moorfeld. Ich fand mich in einen Hexen¬
ſabbath geworfen, in einen Maskenball, die ganze Poeſie kam mir
vor, wie eine verabredete Vermummung, eine Verrätherei, eine Ver¬
ſchwörung, und auf mich war's gemünzt. Ich fühlte einen ſtarken
und eigenen Inhalt in mir, und die Masken huſchten in antiken und
romantiſchen Lügengewändern um mich her, und wie das munkelte,
ziſchelte, flüſterte, ſo ward mir nicht anders, als ſie wollten mich ver¬
leiten, zu horchen, damit ich meine eigene Stimme überhörte. Es
war ein unnennbares Gefühl. Ich bin verlegen, es Ihnen ganz deut¬
lich zu machen. Denken Sie ſich einen Muſiker, der mitten in einem
rauſchenden Concert einen eigenen Einfall bekommt. Von dem Au¬
genblicke an ſpielt ihm das Orcheſter in gräulichen Disharmonien.
Mit größter Anſtrengung hält er den eigenen Gedanken feſt, es ge¬
lingt nicht, die äußeren Sinne überwältigen ihn, der Gedanke ſinkt, er
geht unter, ſchon vernimmt er ihn nicht mehr, da ergreift ihn die

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[146/0164] Mondlicht! Wollen wir ſie nicht fortſpinnen? Ich werde dringender, ſeit ich weiß, daß ich Sie verlieren kann. Bitte, ſprechen Sie von ſich ſelbſt, wenn ich ſo viel eintauſchen darf für ein Geſpräch von Paulinen. Pfui! rief Moorfeld, man ſollte die Geliebte ſelbſt nicht im Scherze nachſetzen. Von ihr zu hören, machte uns beiden Freude; aber mein Verhältniß zu Europa und Amerika? Freilich iſt's auch eine Dame, es iſt eine Sphinx! Die ſagt mir nicht, in welchen Längen ich ſegle — ſie gibt mir ſelbſt Fragen und Räthſeln auf. Schlimm wenn ich ſie nicht löſe, und ſchlimm wenn ich ſie löſe — ein König Oedipus! Doch Sie haben Recht. Profitiren wir von dem ſpäten Mondbeſuch, es plaudert ſich ganz hübſch zwiſchen Mond und fahren¬ dem Poeten, es klingt ſo en famille! Gebt dem Dämmer was des Dämmers iſt! Die beiden Freunde faßten ſich von Neuem unter dem Arm und gingen in den Lindenalleen des Parks auf und nieder. Moorfeld be¬ gann: Als ich vor einigen Jahren anfing, meinen Dichterberuf zu fühlen, überkam mich eine unermeßliche Unruhe. Ich ſah um mich her und fand, daß unſre geſammte poetiſche Literatur das nicht aus¬ drückte, was ſie ausdrücken wollte und ſollte. Benthal machte eine überraſchte Gebärde. Das fand ich, wiederholte Moorfeld. Ich fand mich in einen Hexen¬ ſabbath geworfen, in einen Maskenball, die ganze Poeſie kam mir vor, wie eine verabredete Vermummung, eine Verrätherei, eine Ver¬ ſchwörung, und auf mich war's gemünzt. Ich fühlte einen ſtarken und eigenen Inhalt in mir, und die Masken huſchten in antiken und romantiſchen Lügengewändern um mich her, und wie das munkelte, ziſchelte, flüſterte, ſo ward mir nicht anders, als ſie wollten mich ver¬ leiten, zu horchen, damit ich meine eigene Stimme überhörte. Es war ein unnennbares Gefühl. Ich bin verlegen, es Ihnen ganz deut¬ lich zu machen. Denken Sie ſich einen Muſiker, der mitten in einem rauſchenden Concert einen eigenen Einfall bekommt. Von dem Au¬ genblicke an ſpielt ihm das Orcheſter in gräulichen Disharmonien. Mit größter Anſtrengung hält er den eigenen Gedanken feſt, es ge¬ lingt nicht, die äußeren Sinne überwältigen ihn, der Gedanke ſinkt, er geht unter, ſchon vernimmt er ihn nicht mehr, da ergreift ihn die

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/164>, abgerufen am 22.11.2024.