Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Neid und Verzweiflung. Das Kind allein ist weder todte, objective
Natur, noch bewußte und überbewußte Menschheit: es hat zwischen
beiden den rechten Moment, diesen Moment lieb ich. Neben dem
Gespenst, das den Menschen draußen abstößt und dem Gespenst das
ihn innen zerfleischt, steht es in der Mitte, -- ein anziehendes und
versöhnendes Gespenstchen. -- Verlassen Sie sich drauf, ich werde
meine kleine Eroberung nicht vergessen. -- Mit diesen Worten hän¬
digte Moorfeld auch seine Karte aus.

Die jungen Männer hatten sich eben getrennt, als Benthal, eh'
er die empfangene Karte einsteckte, beim Lampenschein einen Blick
darauf warf. Er rief den Hinweggehenden sogleich zurück und stellte
ihm die Karte mit den Worten zurück: Um Verzeihung; ich habe
hier keinen Dr. Moorfeld, sondern einen Herrn von --

Moorfeld ergriff hastig das dargereichte Blättchen und erröthete.
Eine Verwechslung mit irgend einer fremden Karte, sagte Benthal. --
Sie irren, antwortete Moorfeld, oder scheinen zu irren. Es war mein
eigener Name in Europa. Nach diesem Geständniß folgte eine Pause
zwischen beiden Männern. Von Benthal's Bescheidenheit war nicht
zu erwarten, daß er um Aufklärung bitten würde, obwohl ihn aller¬
dings eine gewisse Empfindlichkeit anwandeln mochte -- nicht über
dieses Incognito, als vielmehr über die ungenirte Weise, womit es
sich eingestand. -- Moorfeld nahm endlich gegen Benthal das Wort:
Sagen Sie, wie ward Ihnen zu Muthe, als Ihr Name zum ersten¬
male von amerikanischen Lippen ausgesprochen wurde? Vielleicht wie
einem Badenden, dem seine Kleider gestohlen sind. Es war ein heil¬
loses Gefühl, wie? In Europa unter bekannten Verhältnissen bezeich¬
nete Ihr Name einen gewissen Werth, wie die Ziffer auf einem
Münzstücke: hier waren Sie eine Ziffer ohne das Münzstück -- Sie
hätten eben so gut No. 20 heißen können. Ist es so?

Ich kann Sie vollkommen verstehen, antwortete Benthal. Die alte
sociale und ideele Bedeutung hat man am andern Ufer abgelegt, und
doch bringt man noch den Träger derselben, den Namen, herüber.
Da ist's nun ganz eigen, den Namen zu hören und zu wissen, daß
dabei nicht mehr gedacht wird, was sonst gedacht wurde.

Sehen Sie! So trag' ich denn lieber einen angenommenen Na¬
men für Amerika. Man kann ein- und denselben Namen nicht zugleich

Neid und Verzweiflung. Das Kind allein iſt weder todte, objective
Natur, noch bewußte und überbewußte Menſchheit: es hat zwiſchen
beiden den rechten Moment, dieſen Moment lieb ich. Neben dem
Geſpenſt, das den Menſchen draußen abſtößt und dem Geſpenſt das
ihn innen zerfleiſcht, ſteht es in der Mitte, — ein anziehendes und
verſöhnendes Geſpenſtchen. — Verlaſſen Sie ſich drauf, ich werde
meine kleine Eroberung nicht vergeſſen. — Mit dieſen Worten hän¬
digte Moorfeld auch ſeine Karte aus.

Die jungen Männer hatten ſich eben getrennt, als Benthal, eh'
er die empfangene Karte einſteckte, beim Lampenſchein einen Blick
darauf warf. Er rief den Hinweggehenden ſogleich zurück und ſtellte
ihm die Karte mit den Worten zurück: Um Verzeihung; ich habe
hier keinen Dr. Moorfeld, ſondern einen Herrn von —

Moorfeld ergriff haſtig das dargereichte Blättchen und erröthete.
Eine Verwechslung mit irgend einer fremden Karte, ſagte Benthal. —
Sie irren, antwortete Moorfeld, oder ſcheinen zu irren. Es war mein
eigener Name in Europa. Nach dieſem Geſtändniß folgte eine Pauſe
zwiſchen beiden Männern. Von Benthal's Beſcheidenheit war nicht
zu erwarten, daß er um Aufklärung bitten würde, obwohl ihn aller¬
dings eine gewiſſe Empfindlichkeit anwandeln mochte — nicht über
dieſes Incognito, als vielmehr über die ungenirte Weiſe, womit es
ſich eingeſtand. — Moorfeld nahm endlich gegen Benthal das Wort:
Sagen Sie, wie ward Ihnen zu Muthe, als Ihr Name zum erſten¬
male von amerikaniſchen Lippen ausgeſprochen wurde? Vielleicht wie
einem Badenden, dem ſeine Kleider geſtohlen ſind. Es war ein heil¬
loſes Gefühl, wie? In Europa unter bekannten Verhältniſſen bezeich¬
nete Ihr Name einen gewiſſen Werth, wie die Ziffer auf einem
Münzſtücke: hier waren Sie eine Ziffer ohne das Münzſtück — Sie
hätten eben ſo gut No. 20 heißen können. Iſt es ſo?

Ich kann Sie vollkommen verſtehen, antwortete Benthal. Die alte
ſociale und ideele Bedeutung hat man am andern Ufer abgelegt, und
doch bringt man noch den Träger derſelben, den Namen, herüber.
Da iſt's nun ganz eigen, den Namen zu hören und zu wiſſen, daß
dabei nicht mehr gedacht wird, was ſonſt gedacht wurde.

Sehen Sie! So trag' ich denn lieber einen angenommenen Na¬
men für Amerika. Man kann ein- und denſelben Namen nicht zugleich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="144"/>
Neid und Verzweiflung. Das Kind allein i&#x017F;t weder todte, objective<lb/>
Natur, noch bewußte und überbewußte Men&#x017F;chheit: es hat zwi&#x017F;chen<lb/>
beiden den rechten Moment, die&#x017F;en Moment lieb ich. Neben dem<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;t, das den Men&#x017F;chen draußen ab&#x017F;tößt und dem Ge&#x017F;pen&#x017F;t das<lb/>
ihn innen zerflei&#x017F;cht, &#x017F;teht es in der Mitte, &#x2014; ein anziehendes und<lb/>
ver&#x017F;öhnendes Ge&#x017F;pen&#x017F;tchen. &#x2014; Verla&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich drauf, ich werde<lb/>
meine kleine Eroberung nicht verge&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Mit die&#x017F;en Worten hän¬<lb/>
digte Moorfeld auch &#x017F;eine Karte aus.</p><lb/>
          <p>Die jungen Männer hatten &#x017F;ich eben getrennt, als Benthal, eh'<lb/>
er die empfangene Karte ein&#x017F;teckte, beim Lampen&#x017F;chein einen Blick<lb/>
darauf warf. Er rief den Hinweggehenden &#x017F;ogleich zurück und &#x017F;tellte<lb/>
ihm die Karte mit den Worten zurück: Um Verzeihung; ich habe<lb/>
hier keinen Dr. Moorfeld, &#x017F;ondern einen Herrn von &#x2014;</p><lb/>
          <p>Moorfeld ergriff ha&#x017F;tig das dargereichte Blättchen und erröthete.<lb/>
Eine Verwechslung mit irgend einer fremden Karte, &#x017F;agte Benthal. &#x2014;<lb/>
Sie irren, antwortete Moorfeld, oder &#x017F;cheinen zu irren. Es war mein<lb/>
eigener Name in Europa. Nach die&#x017F;em Ge&#x017F;tändniß folgte eine Pau&#x017F;e<lb/>
zwi&#x017F;chen beiden Männern. Von Benthal's Be&#x017F;cheidenheit war nicht<lb/>
zu erwarten, daß er um Aufklärung bitten würde, obwohl ihn aller¬<lb/>
dings eine gewi&#x017F;&#x017F;e Empfindlichkeit anwandeln mochte &#x2014; nicht über<lb/>
die&#x017F;es Incognito, als vielmehr über die ungenirte Wei&#x017F;e, womit es<lb/>
&#x017F;ich einge&#x017F;tand. &#x2014; Moorfeld nahm endlich gegen Benthal das Wort:<lb/>
Sagen Sie, wie ward Ihnen zu Muthe, als Ihr Name zum er&#x017F;ten¬<lb/>
male von amerikani&#x017F;chen Lippen ausge&#x017F;prochen wurde? Vielleicht wie<lb/>
einem Badenden, dem &#x017F;eine Kleider ge&#x017F;tohlen &#x017F;ind. Es war ein heil¬<lb/>
lo&#x017F;es Gefühl, wie? In Europa unter bekannten Verhältni&#x017F;&#x017F;en bezeich¬<lb/>
nete Ihr Name einen gewi&#x017F;&#x017F;en Werth, wie die Ziffer auf einem<lb/>
Münz&#x017F;tücke: hier waren Sie eine Ziffer ohne das Münz&#x017F;tück &#x2014; Sie<lb/>
hätten eben &#x017F;o gut No. 20 heißen können. I&#x017F;t es &#x017F;o?</p><lb/>
          <p>Ich kann Sie vollkommen ver&#x017F;tehen, antwortete Benthal. Die alte<lb/>
&#x017F;ociale und ideele Bedeutung hat man am andern Ufer abgelegt, und<lb/>
doch bringt man noch den Träger der&#x017F;elben, den Namen, herüber.<lb/>
Da i&#x017F;t's nun ganz eigen, den Namen zu hören und zu wi&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
dabei nicht mehr gedacht wird, was &#x017F;on&#x017F;t gedacht wurde.</p><lb/>
          <p>Sehen Sie! So trag' ich denn lieber einen angenommenen Na¬<lb/>
men für Amerika. Man kann ein- und den&#x017F;elben Namen nicht zugleich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0162] Neid und Verzweiflung. Das Kind allein iſt weder todte, objective Natur, noch bewußte und überbewußte Menſchheit: es hat zwiſchen beiden den rechten Moment, dieſen Moment lieb ich. Neben dem Geſpenſt, das den Menſchen draußen abſtößt und dem Geſpenſt das ihn innen zerfleiſcht, ſteht es in der Mitte, — ein anziehendes und verſöhnendes Geſpenſtchen. — Verlaſſen Sie ſich drauf, ich werde meine kleine Eroberung nicht vergeſſen. — Mit dieſen Worten hän¬ digte Moorfeld auch ſeine Karte aus. Die jungen Männer hatten ſich eben getrennt, als Benthal, eh' er die empfangene Karte einſteckte, beim Lampenſchein einen Blick darauf warf. Er rief den Hinweggehenden ſogleich zurück und ſtellte ihm die Karte mit den Worten zurück: Um Verzeihung; ich habe hier keinen Dr. Moorfeld, ſondern einen Herrn von — Moorfeld ergriff haſtig das dargereichte Blättchen und erröthete. Eine Verwechslung mit irgend einer fremden Karte, ſagte Benthal. — Sie irren, antwortete Moorfeld, oder ſcheinen zu irren. Es war mein eigener Name in Europa. Nach dieſem Geſtändniß folgte eine Pauſe zwiſchen beiden Männern. Von Benthal's Beſcheidenheit war nicht zu erwarten, daß er um Aufklärung bitten würde, obwohl ihn aller¬ dings eine gewiſſe Empfindlichkeit anwandeln mochte — nicht über dieſes Incognito, als vielmehr über die ungenirte Weiſe, womit es ſich eingeſtand. — Moorfeld nahm endlich gegen Benthal das Wort: Sagen Sie, wie ward Ihnen zu Muthe, als Ihr Name zum erſten¬ male von amerikaniſchen Lippen ausgeſprochen wurde? Vielleicht wie einem Badenden, dem ſeine Kleider geſtohlen ſind. Es war ein heil¬ loſes Gefühl, wie? In Europa unter bekannten Verhältniſſen bezeich¬ nete Ihr Name einen gewiſſen Werth, wie die Ziffer auf einem Münzſtücke: hier waren Sie eine Ziffer ohne das Münzſtück — Sie hätten eben ſo gut No. 20 heißen können. Iſt es ſo? Ich kann Sie vollkommen verſtehen, antwortete Benthal. Die alte ſociale und ideele Bedeutung hat man am andern Ufer abgelegt, und doch bringt man noch den Träger derſelben, den Namen, herüber. Da iſt's nun ganz eigen, den Namen zu hören und zu wiſſen, daß dabei nicht mehr gedacht wird, was ſonſt gedacht wurde. Sehen Sie! So trag' ich denn lieber einen angenommenen Na¬ men für Amerika. Man kann ein- und denſelben Namen nicht zugleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/162
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/162>, abgerufen am 22.11.2024.