Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.lich erst das Brett auf sein Zimmer bringen zu können, forteilen mußte. Als er eine Stunde nachher nach beendigtem Geschäfte zurückkehrte, fand er den Saal leer; die Uebrigen waren schon mit ihren Reißbrettern fortgegangen, nur das seinige lag noch da. Obgleich es schon begann dunkel zu werden, wollte er doch das Versäumte nachholen und entblößte die Zeichnung. Aber man stelle sich sein Erschrecken vor, als er diese an mehreren Stellen auf eine scheinbar gewaltsame Weise verwischt fand. Er stand wie vernichtet. Nicht allein die Mühe mehrerer Wochen, sondern die schönste Hoffnung, welche er auf die dadurch zu gewinnenden Zahlen gegründet hatte, lag zerstört vor ihm. Zahlen sage ich, denn der Erfolg der Prüfung beruht dort auf einer gewissen Summe von Zahlen, welche den gelösten Aufgaben ihrem Werthe nach beigelegt werden, und das von allen zusammengelegte Facit bestimmt den Hauptcharakter. Doch bald wich der jugendlichen Heftigkeit sein stummes Erschrecken. Die Gefährten wurden herbeigerufen. Ihr lautes Erstaunen zog die Lehrer nach. Selbst der Chef trat herein. Der Vorgang wurde auf das Genaueste untersucht. Es war freilich nicht leicht zu bestimmen, ob diese Zerstörung das Werk des Zufalls, oder einer wissentlichen Bosheit wäre; um so mehr da Holger erklärte, daß es sehr möglich, ja selbst wahrscheinlich sei, daß die Zeichnung stellenweise nicht ganz trocken gewesen, als er sie überdeckte, weil er kurz zu- lich erst das Brett auf sein Zimmer bringen zu können, forteilen mußte. Als er eine Stunde nachher nach beendigtem Geschäfte zurückkehrte, fand er den Saal leer; die Uebrigen waren schon mit ihren Reißbrettern fortgegangen, nur das seinige lag noch da. Obgleich es schon begann dunkel zu werden, wollte er doch das Versäumte nachholen und entblößte die Zeichnung. Aber man stelle sich sein Erschrecken vor, als er diese an mehreren Stellen auf eine scheinbar gewaltsame Weise verwischt fand. Er stand wie vernichtet. Nicht allein die Mühe mehrerer Wochen, sondern die schönste Hoffnung, welche er auf die dadurch zu gewinnenden Zahlen gegründet hatte, lag zerstört vor ihm. Zahlen sage ich, denn der Erfolg der Prüfung beruht dort auf einer gewissen Summe von Zahlen, welche den gelösten Aufgaben ihrem Werthe nach beigelegt werden, und das von allen zusammengelegte Facit bestimmt den Hauptcharakter. Doch bald wich der jugendlichen Heftigkeit sein stummes Erschrecken. Die Gefährten wurden herbeigerufen. Ihr lautes Erstaunen zog die Lehrer nach. Selbst der Chef trat herein. Der Vorgang wurde auf das Genaueste untersucht. Es war freilich nicht leicht zu bestimmen, ob diese Zerstörung das Werk des Zufalls, oder einer wissentlichen Bosheit wäre; um so mehr da Holger erklärte, daß es sehr möglich, ja selbst wahrscheinlich sei, daß die Zeichnung stellenweise nicht ganz trocken gewesen, als er sie überdeckte, weil er kurz zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> lich erst das Brett auf sein Zimmer bringen zu können, forteilen mußte. Als er eine Stunde nachher nach beendigtem Geschäfte zurückkehrte, fand er den Saal leer; die Uebrigen waren schon mit ihren Reißbrettern fortgegangen, nur das seinige lag noch da. Obgleich es schon begann dunkel zu werden, wollte er doch das Versäumte nachholen und entblößte die Zeichnung. Aber man stelle sich sein Erschrecken vor, als er diese an mehreren Stellen auf eine scheinbar gewaltsame Weise verwischt fand. Er stand wie vernichtet. Nicht allein die Mühe mehrerer Wochen, sondern die schönste Hoffnung, welche er auf die dadurch zu gewinnenden Zahlen gegründet hatte, lag zerstört vor ihm. Zahlen sage ich, denn der Erfolg der Prüfung beruht dort auf einer gewissen Summe von Zahlen, welche den gelösten Aufgaben ihrem Werthe nach beigelegt werden, und das von allen zusammengelegte Facit bestimmt den Hauptcharakter.</p><lb/> <p>Doch bald wich der jugendlichen Heftigkeit sein stummes Erschrecken. Die Gefährten wurden herbeigerufen. Ihr lautes Erstaunen zog die Lehrer nach. Selbst der Chef trat herein. Der Vorgang wurde auf das Genaueste untersucht. Es war freilich nicht leicht zu bestimmen, ob diese Zerstörung das Werk des Zufalls, oder einer wissentlichen Bosheit wäre; um so mehr da Holger erklärte, daß es sehr möglich, ja selbst wahrscheinlich sei, daß die Zeichnung stellenweise nicht ganz trocken gewesen, als er sie überdeckte, weil er kurz zu-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
lich erst das Brett auf sein Zimmer bringen zu können, forteilen mußte. Als er eine Stunde nachher nach beendigtem Geschäfte zurückkehrte, fand er den Saal leer; die Uebrigen waren schon mit ihren Reißbrettern fortgegangen, nur das seinige lag noch da. Obgleich es schon begann dunkel zu werden, wollte er doch das Versäumte nachholen und entblößte die Zeichnung. Aber man stelle sich sein Erschrecken vor, als er diese an mehreren Stellen auf eine scheinbar gewaltsame Weise verwischt fand. Er stand wie vernichtet. Nicht allein die Mühe mehrerer Wochen, sondern die schönste Hoffnung, welche er auf die dadurch zu gewinnenden Zahlen gegründet hatte, lag zerstört vor ihm. Zahlen sage ich, denn der Erfolg der Prüfung beruht dort auf einer gewissen Summe von Zahlen, welche den gelösten Aufgaben ihrem Werthe nach beigelegt werden, und das von allen zusammengelegte Facit bestimmt den Hauptcharakter.
Doch bald wich der jugendlichen Heftigkeit sein stummes Erschrecken. Die Gefährten wurden herbeigerufen. Ihr lautes Erstaunen zog die Lehrer nach. Selbst der Chef trat herein. Der Vorgang wurde auf das Genaueste untersucht. Es war freilich nicht leicht zu bestimmen, ob diese Zerstörung das Werk des Zufalls, oder einer wissentlichen Bosheit wäre; um so mehr da Holger erklärte, daß es sehr möglich, ja selbst wahrscheinlich sei, daß die Zeichnung stellenweise nicht ganz trocken gewesen, als er sie überdeckte, weil er kurz zu-
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Zitationshilfe: | Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/14>, abgerufen am 16.07.2024. |