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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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keit. Die Frau mußte für ihn eintreten, mußte an seiner Stelle
die Erziehung der Kinder leiten. Dabei wurden die Verhält-
nisse, in denen die Familien lebten, in die sie ihre Kinder hin-
ausschickten, immer verwickelter. Der Konkurrenzkampf wurde
härter, die Anforderungen an Wissen, an Charakterfestigkeit
der ins Leben hinaustretenden Kinder wuchsen. Das alles
mußte die Mutter berücksichtigen. Sie mußte in vielen Fällen
auch pekuniär für ihre Kinder mit eintreten. Wo sie es
nicht tat, weil man sie unfähig zur Lösung solcher Aufgaben
ins Leben entlassen hatte, da war die Not groß. Daß Frauen
es waren, die diese Not am ersten empfanden, daß Frauen zur
Selbsthilfe griffen, von vereinzelten, einsichtigen Männern warm
unterstützt, war natürlich. So entstand und organisierte sich
die Frauenbewegung.

Zum ersten Rufer im Streit ward der Allgemeine Deutsche
Frauenverein
, dessen erste programmatische Kundgebung ich
bereits oben erwähnte. Leipzig ward der Ausgangspunkt und
blieb lange Jahre hindurch der Mittelpunkt der deutschen
Frauenbewegung. Abwechselnd in den verschiedensten Städten
hielt der Verein - längere Zeit gemeinsam mit den unter Lei-
tung des Lettevereins stehenden Frauen-Erwerbsvereinen -
Frauentage und Versammlungen ab, gründete Ortsgruppen
und Mitgliedsvereine und wurde durch diese im großen Stile
betriebene Propaganda und ebenso durch sein Vereinsorgan
"Neue Bahnen", das seit 1866 ununterbrochen erscheint, der
Bahnbrecher für die deutsche Frauenbewegung. Wir werden
auf die Tätigkeit dieses Vereins noch wiederholt zurückzukom-
men haben.

Der erste, der dann die Frage der Berufsschulung
der Mädchen praktisch in Angriff nahm, war Präsident Lette.
Angesichts der trostlosen Zustände aus dem Gebiete weiblicher

keit. Die Frau mußte für ihn eintreten, mußte an seiner Stelle
die Erziehung der Kinder leiten. Dabei wurden die Verhält-
nisse, in denen die Familien lebten, in die sie ihre Kinder hin-
ausschickten, immer verwickelter. Der Konkurrenzkampf wurde
härter, die Anforderungen an Wissen, an Charakterfestigkeit
der ins Leben hinaustretenden Kinder wuchsen. Das alles
mußte die Mutter berücksichtigen. Sie mußte in vielen Fällen
auch pekuniär für ihre Kinder mit eintreten. Wo sie es
nicht tat, weil man sie unfähig zur Lösung solcher Aufgaben
ins Leben entlassen hatte, da war die Not groß. Daß Frauen
es waren, die diese Not am ersten empfanden, daß Frauen zur
Selbsthilfe griffen, von vereinzelten, einsichtigen Männern warm
unterstützt, war natürlich. So entstand und organisierte sich
die Frauenbewegung.

Zum ersten Rufer im Streit ward der Allgemeine Deutsche
Frauenverein
, dessen erste programmatische Kundgebung ich
bereits oben erwähnte. Leipzig ward der Ausgangspunkt und
blieb lange Jahre hindurch der Mittelpunkt der deutschen
Frauenbewegung. Abwechselnd in den verschiedensten Städten
hielt der Verein – längere Zeit gemeinsam mit den unter Lei-
tung des Lettevereins stehenden Frauen-Erwerbsvereinen –
Frauentage und Versammlungen ab, gründete Ortsgruppen
und Mitgliedsvereine und wurde durch diese im großen Stile
betriebene Propaganda und ebenso durch sein Vereinsorgan
„Neue Bahnen“, das seit 1866 ununterbrochen erscheint, der
Bahnbrecher für die deutsche Frauenbewegung. Wir werden
auf die Tätigkeit dieses Vereins noch wiederholt zurückzukom-
men haben.

Der erste, der dann die Frage der Berufsschulung
der Mädchen praktisch in Angriff nahm, war Präsident Lette.
Angesichts der trostlosen Zustände aus dem Gebiete weiblicher

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[32/0042] keit. Die Frau mußte für ihn eintreten, mußte an seiner Stelle die Erziehung der Kinder leiten. Dabei wurden die Verhält- nisse, in denen die Familien lebten, in die sie ihre Kinder hin- ausschickten, immer verwickelter. Der Konkurrenzkampf wurde härter, die Anforderungen an Wissen, an Charakterfestigkeit der ins Leben hinaustretenden Kinder wuchsen. Das alles mußte die Mutter berücksichtigen. Sie mußte in vielen Fällen auch pekuniär für ihre Kinder mit eintreten. Wo sie es nicht tat, weil man sie unfähig zur Lösung solcher Aufgaben ins Leben entlassen hatte, da war die Not groß. Daß Frauen es waren, die diese Not am ersten empfanden, daß Frauen zur Selbsthilfe griffen, von vereinzelten, einsichtigen Männern warm unterstützt, war natürlich. So entstand und organisierte sich die Frauenbewegung. Zum ersten Rufer im Streit ward der Allgemeine Deutsche Frauenverein, dessen erste programmatische Kundgebung ich bereits oben erwähnte. Leipzig ward der Ausgangspunkt und blieb lange Jahre hindurch der Mittelpunkt der deutschen Frauenbewegung. Abwechselnd in den verschiedensten Städten hielt der Verein – längere Zeit gemeinsam mit den unter Lei- tung des Lettevereins stehenden Frauen-Erwerbsvereinen – Frauentage und Versammlungen ab, gründete Ortsgruppen und Mitgliedsvereine und wurde durch diese im großen Stile betriebene Propaganda und ebenso durch sein Vereinsorgan „Neue Bahnen“, das seit 1866 ununterbrochen erscheint, der Bahnbrecher für die deutsche Frauenbewegung. Wir werden auf die Tätigkeit dieses Vereins noch wiederholt zurückzukom- men haben. Der erste, der dann die Frage der Berufsschulung der Mädchen praktisch in Angriff nahm, war Präsident Lette. Angesichts der trostlosen Zustände aus dem Gebiete weiblicher

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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/42>, abgerufen am 25.04.2024.