Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

und mag diese noch so leer und nichtssagend sein. Den Mann
entschuldigt die Arbeit. Bei der Frau aber erwartet man,
daß sie immer und für alle Zeit habe, auch wenn sie voll im
Beruf steht. Und sie weiß, daß man es von ihr erwartet.
Sie leidet darunter, nicht allem gerecht werden zu können.
Gar manche Frau zersplittert sich deswegen, reibt sich auf,
wird angesichts der Unmöglichkeit alles auf einmal zu be-
rücksichtigen unbefriedigt, nervös.

Die berufstätige Frau muß ihrer Arbeit leben,
an erster Stelle
. Oder sie wird immer minderwertig
bleiben, frühzeitig verbraucht sein. Sie muß daneben
ihrer Erholung leben
, braucht also durchaus nicht
für die Welt abzusterben. Aber sich erholen, bedeutet etwas
anderes als ständig Rücksichten üben, in jeder freien Bewe-
gung gehemmt sein. Besonders schwer empfindet man solch
ständiges Gehemmtwerden, wenn man nicht nach freier eigener
Wahl die Umgebung sich selbst hat gestalten dürfen, sondern,
ohne nach Herzensneigungen gefragt zu sein, einfach wei-
terleben soll in dem Kreis, in den man von klein auf gestellt
wurde.

Damit soll die Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwi-
schen Brüdern und Schwestern nicht als etwas Minderzuwer-
tendes hingestellt werden. Es gibt kein festeres, treueres Ver-
hältnis als das unter Geschwistern, unter Eltern und Kindern.
Jn guten wie in schweren Tagen ist man dort warmer Teil-
nahme gewiß. Jm Alltagsleben aber, da reibt sich leicht einer
am anderen. Das freimütige Kritisieren, das den Verkehr
zwischen Geschwistern so erzieherisch wirksam macht, ermüdet
die vom Beruf heimkehrende Frau. Nicht immer kann sie die
aufmerksame, liebevolle Tochter sein, wie man von ihr er-
wartet. Jn anderen Familien, wo offene Aussprache nicht

und mag diese noch so leer und nichtssagend sein. Den Mann
entschuldigt die Arbeit. Bei der Frau aber erwartet man,
daß sie immer und für alle Zeit habe, auch wenn sie voll im
Beruf steht. Und sie weiß, daß man es von ihr erwartet.
Sie leidet darunter, nicht allem gerecht werden zu können.
Gar manche Frau zersplittert sich deswegen, reibt sich auf,
wird angesichts der Unmöglichkeit alles auf einmal zu be-
rücksichtigen unbefriedigt, nervös.

Die berufstätige Frau muß ihrer Arbeit leben,
an erster Stelle
. Oder sie wird immer minderwertig
bleiben, frühzeitig verbraucht sein. Sie muß daneben
ihrer Erholung leben
, braucht also durchaus nicht
für die Welt abzusterben. Aber sich erholen, bedeutet etwas
anderes als ständig Rücksichten üben, in jeder freien Bewe-
gung gehemmt sein. Besonders schwer empfindet man solch
ständiges Gehemmtwerden, wenn man nicht nach freier eigener
Wahl die Umgebung sich selbst hat gestalten dürfen, sondern,
ohne nach Herzensneigungen gefragt zu sein, einfach wei-
terleben soll in dem Kreis, in den man von klein auf gestellt
wurde.

Damit soll die Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwi-
schen Brüdern und Schwestern nicht als etwas Minderzuwer-
tendes hingestellt werden. Es gibt kein festeres, treueres Ver-
hältnis als das unter Geschwistern, unter Eltern und Kindern.
Jn guten wie in schweren Tagen ist man dort warmer Teil-
nahme gewiß. Jm Alltagsleben aber, da reibt sich leicht einer
am anderen. Das freimütige Kritisieren, das den Verkehr
zwischen Geschwistern so erzieherisch wirksam macht, ermüdet
die vom Beruf heimkehrende Frau. Nicht immer kann sie die
aufmerksame, liebevolle Tochter sein, wie man von ihr er-
wartet. Jn anderen Familien, wo offene Aussprache nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="233"/>
und mag diese noch so leer und nichtssagend sein. Den Mann<lb/>
entschuldigt die Arbeit. Bei der Frau aber erwartet man,<lb/>
daß sie immer und für alle Zeit habe, auch wenn sie voll im<lb/>
Beruf steht. Und sie <hi rendition="#g">weiß</hi>, daß man es von ihr erwartet.<lb/>
Sie leidet darunter, nicht allem gerecht werden zu können.<lb/>
Gar manche Frau zersplittert sich deswegen, reibt sich auf,<lb/>
wird angesichts der Unmöglichkeit alles auf einmal zu be-<lb/>
rücksichtigen unbefriedigt, nervös.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Die berufstätige Frau muß ihrer Arbeit leben,<lb/>
an erster Stelle</hi>. Oder sie wird immer minderwertig<lb/>
bleiben, frühzeitig verbraucht sein. <hi rendition="#g">Sie muß daneben<lb/>
ihrer Erholung leben</hi>, braucht also durchaus nicht<lb/>
für die Welt abzusterben. Aber sich erholen, bedeutet etwas<lb/>
anderes als ständig Rücksichten üben, in jeder freien Bewe-<lb/>
gung gehemmt sein. Besonders schwer empfindet man solch<lb/>
ständiges Gehemmtwerden, wenn man nicht nach freier eigener<lb/>
Wahl die Umgebung sich selbst hat gestalten dürfen, sondern,<lb/>
ohne nach Herzensneigungen gefragt zu sein, einfach wei-<lb/>
terleben soll in dem Kreis, in den man von klein auf gestellt<lb/>
wurde.</p><lb/>
        <p>Damit soll die Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwi-<lb/>
schen Brüdern und Schwestern nicht als etwas Minderzuwer-<lb/>
tendes hingestellt werden. Es gibt kein festeres, treueres Ver-<lb/>
hältnis als das unter Geschwistern, unter Eltern und Kindern.<lb/>
Jn guten wie in schweren Tagen ist man dort warmer Teil-<lb/>
nahme gewiß. Jm Alltagsleben aber, da reibt sich leicht einer<lb/>
am anderen. Das freimütige Kritisieren, das den Verkehr<lb/>
zwischen Geschwistern so erzieherisch wirksam macht, ermüdet<lb/>
die vom Beruf heimkehrende Frau. Nicht immer kann sie die<lb/>
aufmerksame, liebevolle Tochter sein, wie man von ihr er-<lb/>
wartet. Jn anderen Familien, wo offene Aussprache nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0243] und mag diese noch so leer und nichtssagend sein. Den Mann entschuldigt die Arbeit. Bei der Frau aber erwartet man, daß sie immer und für alle Zeit habe, auch wenn sie voll im Beruf steht. Und sie weiß, daß man es von ihr erwartet. Sie leidet darunter, nicht allem gerecht werden zu können. Gar manche Frau zersplittert sich deswegen, reibt sich auf, wird angesichts der Unmöglichkeit alles auf einmal zu be- rücksichtigen unbefriedigt, nervös. Die berufstätige Frau muß ihrer Arbeit leben, an erster Stelle. Oder sie wird immer minderwertig bleiben, frühzeitig verbraucht sein. Sie muß daneben ihrer Erholung leben, braucht also durchaus nicht für die Welt abzusterben. Aber sich erholen, bedeutet etwas anderes als ständig Rücksichten üben, in jeder freien Bewe- gung gehemmt sein. Besonders schwer empfindet man solch ständiges Gehemmtwerden, wenn man nicht nach freier eigener Wahl die Umgebung sich selbst hat gestalten dürfen, sondern, ohne nach Herzensneigungen gefragt zu sein, einfach wei- terleben soll in dem Kreis, in den man von klein auf gestellt wurde. Damit soll die Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwi- schen Brüdern und Schwestern nicht als etwas Minderzuwer- tendes hingestellt werden. Es gibt kein festeres, treueres Ver- hältnis als das unter Geschwistern, unter Eltern und Kindern. Jn guten wie in schweren Tagen ist man dort warmer Teil- nahme gewiß. Jm Alltagsleben aber, da reibt sich leicht einer am anderen. Das freimütige Kritisieren, das den Verkehr zwischen Geschwistern so erzieherisch wirksam macht, ermüdet die vom Beruf heimkehrende Frau. Nicht immer kann sie die aufmerksame, liebevolle Tochter sein, wie man von ihr er- wartet. Jn anderen Familien, wo offene Aussprache nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/243
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/243>, abgerufen am 28.04.2024.