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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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nes, so etwas von sinnesfrohem Hellenentum sollten wir ins
Leben mit hineinnehmen. Achtung vor der in wundersamen
Formen schaffenden Natur sollten schon die Eltern ihren Kin-
dern in die Seele pflanzen, sie sollten nicht ängstlich, ein Zei-
chen, daß sie selbst nicht unbefangen und rein sind, jedem Hin-
weis auf den Verkehr der Geschlechter aus dem Wege gehen.
Oder mit Lächeln, mit vielsagenden Blicken offenen Antworten
ausweichen. Und ebensowenig dürfte das die Schule tun. Die
von dem Wort "Liebe" sorgsam gereinigten Bücher sind ein
Zeichen unlauteren - nicht etwa reinen Empfindens.
Aus trüben Quellen schöpfen die Kinder, wenn wir ihnen den
reinen Quell - offene Aussprache zwischen Eltern, zwischen
Lehrern und Kindern - verschließen. Jungen Männern gegen-
über, wenn sie einen rechten Lehrer, einen ernsten, gewissen-
haften Vater hatten, ist freilich wohl von jeher ein offenes
Wort zur rechten Stunde versucht worden. Die weibliche Ju-
gend dagegen erzog man lange, obwohl man sie im übrigen
ausschließlich für die Heirat bestimmte, weltfremd und welt-
fern, prüde und ängstlich, sie der Natur entfremdend, gleich
Nonnen. Je unwissender ein Mädchen in die Ehe ging, desto
besser erschien das ihren Erziehern. Und dann standen sich
nach der Heirat zwei Kontraste schroff gegenüber. Der Mann,
der das, was die Natur wollte, freudig bejahte; die Frau, die
sich in Mannes Art nicht hineinzufinden wußte, die vor so
vielem zurückscheute, was das Leben nun von ihr forderte.
Das mußte zu Konflikten führen. Das erklärte gar manchen
heimlichen Zwiespalt in sonst ganz normal erscheinenden Ehen.
Das trieb den Mann oft genug hinaus aus dem unerträglichen,
langweiligen häuslichen Leben. Das macht auch die Furcht
vor der Ehe verständlich, die viele junge Männer beherrscht.
Wie verschieden Mann und Weib infolge der von Grund aus

nes, so etwas von sinnesfrohem Hellenentum sollten wir ins
Leben mit hineinnehmen. Achtung vor der in wundersamen
Formen schaffenden Natur sollten schon die Eltern ihren Kin-
dern in die Seele pflanzen, sie sollten nicht ängstlich, ein Zei-
chen, daß sie selbst nicht unbefangen und rein sind, jedem Hin-
weis auf den Verkehr der Geschlechter aus dem Wege gehen.
Oder mit Lächeln, mit vielsagenden Blicken offenen Antworten
ausweichen. Und ebensowenig dürfte das die Schule tun. Die
von dem Wort „Liebe“ sorgsam gereinigten Bücher sind ein
Zeichen unlauteren – nicht etwa reinen Empfindens.
Aus trüben Quellen schöpfen die Kinder, wenn wir ihnen den
reinen Quell – offene Aussprache zwischen Eltern, zwischen
Lehrern und Kindern – verschließen. Jungen Männern gegen-
über, wenn sie einen rechten Lehrer, einen ernsten, gewissen-
haften Vater hatten, ist freilich wohl von jeher ein offenes
Wort zur rechten Stunde versucht worden. Die weibliche Ju-
gend dagegen erzog man lange, obwohl man sie im übrigen
ausschließlich für die Heirat bestimmte, weltfremd und welt-
fern, prüde und ängstlich, sie der Natur entfremdend, gleich
Nonnen. Je unwissender ein Mädchen in die Ehe ging, desto
besser erschien das ihren Erziehern. Und dann standen sich
nach der Heirat zwei Kontraste schroff gegenüber. Der Mann,
der das, was die Natur wollte, freudig bejahte; die Frau, die
sich in Mannes Art nicht hineinzufinden wußte, die vor so
vielem zurückscheute, was das Leben nun von ihr forderte.
Das mußte zu Konflikten führen. Das erklärte gar manchen
heimlichen Zwiespalt in sonst ganz normal erscheinenden Ehen.
Das trieb den Mann oft genug hinaus aus dem unerträglichen,
langweiligen häuslichen Leben. Das macht auch die Furcht
vor der Ehe verständlich, die viele junge Männer beherrscht.
Wie verschieden Mann und Weib infolge der von Grund aus

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[188/0198] nes, so etwas von sinnesfrohem Hellenentum sollten wir ins Leben mit hineinnehmen. Achtung vor der in wundersamen Formen schaffenden Natur sollten schon die Eltern ihren Kin- dern in die Seele pflanzen, sie sollten nicht ängstlich, ein Zei- chen, daß sie selbst nicht unbefangen und rein sind, jedem Hin- weis auf den Verkehr der Geschlechter aus dem Wege gehen. Oder mit Lächeln, mit vielsagenden Blicken offenen Antworten ausweichen. Und ebensowenig dürfte das die Schule tun. Die von dem Wort „Liebe“ sorgsam gereinigten Bücher sind ein Zeichen unlauteren – nicht etwa reinen Empfindens. Aus trüben Quellen schöpfen die Kinder, wenn wir ihnen den reinen Quell – offene Aussprache zwischen Eltern, zwischen Lehrern und Kindern – verschließen. Jungen Männern gegen- über, wenn sie einen rechten Lehrer, einen ernsten, gewissen- haften Vater hatten, ist freilich wohl von jeher ein offenes Wort zur rechten Stunde versucht worden. Die weibliche Ju- gend dagegen erzog man lange, obwohl man sie im übrigen ausschließlich für die Heirat bestimmte, weltfremd und welt- fern, prüde und ängstlich, sie der Natur entfremdend, gleich Nonnen. Je unwissender ein Mädchen in die Ehe ging, desto besser erschien das ihren Erziehern. Und dann standen sich nach der Heirat zwei Kontraste schroff gegenüber. Der Mann, der das, was die Natur wollte, freudig bejahte; die Frau, die sich in Mannes Art nicht hineinzufinden wußte, die vor so vielem zurückscheute, was das Leben nun von ihr forderte. Das mußte zu Konflikten führen. Das erklärte gar manchen heimlichen Zwiespalt in sonst ganz normal erscheinenden Ehen. Das trieb den Mann oft genug hinaus aus dem unerträglichen, langweiligen häuslichen Leben. Das macht auch die Furcht vor der Ehe verständlich, die viele junge Männer beherrscht. Wie verschieden Mann und Weib infolge der von Grund aus

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/198>, abgerufen am 24.11.2024.