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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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es gelte, dadurch einen Menschen - eine ahnungslose Frau
- vor Ansteckung zu erretten. Denn die Fälle sind nicht selten,
in denen ein Mann heiratet, trotzdem ihn der Arzt für krank
erklärt und ihm die Folgen der Eheschließung für seine nichts-
ahnende Frau dargelegt, trotzdem er ihm das Gewissen zu schär-
fen versucht hat. Und der Arzt steht mit gebundenen Hän-
den und sieht Glück und Gesundheit der Frau ruchlos zerstört.

Die Föderation verlangt - in diesem Falle wieder im
Einverständnis mit den Sittlichkeits- und Jugendschutzvereinen
- Erhöhung des Schutzalters, Bestrafung aller Sittlichkeits-
verbrechen. Daneben, so betonen alle Richtungen, ist durch
Erziehung, durch vorbeugende Maßregeln in weitestem Sinne
für eine Hebung der sittlichen Zustände im Volke Sorge zu
tragen. Rechtzeitige Aufklärung über die Gefahren außerehe-
lichen Geschlechtsverkehrs, Jugendfürsorge, Jugenderziehung,
Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse der arbeitenden Klassen,
veredelte Volkserholung, vor allen Dingen Wohnungsre-
form
, das alles würde vorbeugend, die Sittenzustände hebend
wirken. Jn den besitzenden Klassen aber wäre ein strengerer
Maßstab, dem Mann gegenüber angewandt, wirksamstes
Mittel. Die Frau, so hoffen wir, wird mehr und mehr Front
dagegen machen, daß der Mann, dem sie sich, an Reinheit
und Treue glaubend, zu eigen gibt, durch das Leben, das
er vor der Ehe geführt hat, befleckt ist, daß sie sich und ihre
Kinder der Gefahr der Verseuchung aussetzt. Sie kann das
um so eher tun, als - gerade von Medizinerseite - der
früher oft aufgestellten Behauptung, der Mann könne gar
nicht anders als seinem Naturtriebe schrankenlos folgen, nach-
drücklich entgegengetreten wird. Wohl wird hie und da ein
Einzelner, sei er Mann oder Frau, unter unfreiwilliger Be-
schränkung leiden. Aber die wenigen, die, krankhaft beanlagt,

es gelte, dadurch einen Menschen – eine ahnungslose Frau
– vor Ansteckung zu erretten. Denn die Fälle sind nicht selten,
in denen ein Mann heiratet, trotzdem ihn der Arzt für krank
erklärt und ihm die Folgen der Eheschließung für seine nichts-
ahnende Frau dargelegt, trotzdem er ihm das Gewissen zu schär-
fen versucht hat. Und der Arzt steht mit gebundenen Hän-
den und sieht Glück und Gesundheit der Frau ruchlos zerstört.

Die Föderation verlangt – in diesem Falle wieder im
Einverständnis mit den Sittlichkeits- und Jugendschutzvereinen
– Erhöhung des Schutzalters, Bestrafung aller Sittlichkeits-
verbrechen. Daneben, so betonen alle Richtungen, ist durch
Erziehung, durch vorbeugende Maßregeln in weitestem Sinne
für eine Hebung der sittlichen Zustände im Volke Sorge zu
tragen. Rechtzeitige Aufklärung über die Gefahren außerehe-
lichen Geschlechtsverkehrs, Jugendfürsorge, Jugenderziehung,
Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse der arbeitenden Klassen,
veredelte Volkserholung, vor allen Dingen Wohnungsre-
form
, das alles würde vorbeugend, die Sittenzustände hebend
wirken. Jn den besitzenden Klassen aber wäre ein strengerer
Maßstab, dem Mann gegenüber angewandt, wirksamstes
Mittel. Die Frau, so hoffen wir, wird mehr und mehr Front
dagegen machen, daß der Mann, dem sie sich, an Reinheit
und Treue glaubend, zu eigen gibt, durch das Leben, das
er vor der Ehe geführt hat, befleckt ist, daß sie sich und ihre
Kinder der Gefahr der Verseuchung aussetzt. Sie kann das
um so eher tun, als – gerade von Medizinerseite – der
früher oft aufgestellten Behauptung, der Mann könne gar
nicht anders als seinem Naturtriebe schrankenlos folgen, nach-
drücklich entgegengetreten wird. Wohl wird hie und da ein
Einzelner, sei er Mann oder Frau, unter unfreiwilliger Be-
schränkung leiden. Aber die wenigen, die, krankhaft beanlagt,

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[162/0172] es gelte, dadurch einen Menschen – eine ahnungslose Frau – vor Ansteckung zu erretten. Denn die Fälle sind nicht selten, in denen ein Mann heiratet, trotzdem ihn der Arzt für krank erklärt und ihm die Folgen der Eheschließung für seine nichts- ahnende Frau dargelegt, trotzdem er ihm das Gewissen zu schär- fen versucht hat. Und der Arzt steht mit gebundenen Hän- den und sieht Glück und Gesundheit der Frau ruchlos zerstört. Die Föderation verlangt – in diesem Falle wieder im Einverständnis mit den Sittlichkeits- und Jugendschutzvereinen – Erhöhung des Schutzalters, Bestrafung aller Sittlichkeits- verbrechen. Daneben, so betonen alle Richtungen, ist durch Erziehung, durch vorbeugende Maßregeln in weitestem Sinne für eine Hebung der sittlichen Zustände im Volke Sorge zu tragen. Rechtzeitige Aufklärung über die Gefahren außerehe- lichen Geschlechtsverkehrs, Jugendfürsorge, Jugenderziehung, Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse der arbeitenden Klassen, veredelte Volkserholung, vor allen Dingen Wohnungsre- form, das alles würde vorbeugend, die Sittenzustände hebend wirken. Jn den besitzenden Klassen aber wäre ein strengerer Maßstab, dem Mann gegenüber angewandt, wirksamstes Mittel. Die Frau, so hoffen wir, wird mehr und mehr Front dagegen machen, daß der Mann, dem sie sich, an Reinheit und Treue glaubend, zu eigen gibt, durch das Leben, das er vor der Ehe geführt hat, befleckt ist, daß sie sich und ihre Kinder der Gefahr der Verseuchung aussetzt. Sie kann das um so eher tun, als – gerade von Medizinerseite – der früher oft aufgestellten Behauptung, der Mann könne gar nicht anders als seinem Naturtriebe schrankenlos folgen, nach- drücklich entgegengetreten wird. Wohl wird hie und da ein Einzelner, sei er Mann oder Frau, unter unfreiwilliger Be- schränkung leiden. Aber die wenigen, die, krankhaft beanlagt,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/172>, abgerufen am 22.11.2024.