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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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In die Gemeindeverhältnisse mich einzuleben ward mir sehr leicht. Den Grundstock und die Mehrzahl der Gemeindeglieder kannte ich ja. Aber in den 3 Jahren meiner Abwesenheit hatte bei dem schwunghaften Betriebe der industriellen Werke nicht nur die Bevölkerung der Stadt, sondern auch die Seelenzahl der prot. Gemeinde sich sehr stark gehoben. Es waren neue Elemente hereingekommen, darunter solche, die vom pfälzischen Aufruhr gegen das neue Gesangbuch angesteckt waren und es für angezeigt hielten, den Krieg in die prot. Gemeinde St. Ingbert hineinzutragen, die in ihrer neuen Kirche nur aus dem neuen Gesangbuche sang und darum bereits wusste, was sie an dem Buche hatte.

Ein neues Presbyterium stand bevor und dieses sollte das neue Buch abschaffen. Trotz aller Agitation kam aber nur eine Minorität von Gegnern des neuen Gesangbuches in das Presbyterium; es waren Wirtshausschreier, die weder ein altes noch ein neues Gesangbuch brauchten, weil sie in der Kirche fast nicht gesehen wurden. Den Angriff auf das neue Buch unterliessen sie klüglich, denn im Presbyterium konnten sie nicht durchdringen und die Gemeinde war über das Ergebnis der Presbyterwahl erschrocken. Einer der betreffenden Herren trat sehr bald aus dem Presbyterium aus mit der zutreffenden Erklärung: ich gehöre eigentlich nicht ins Presbyterium. So verlief der drohende Sturm denn ohne Schaden.

Nur in meinem Hause und im Leben meines Dienstmädchens richtete er Unheil an. Das brave und treue Mädchen, eine Konfirmandin von mir, war aus St. Ingbert und seit unserer Verheirathung bei uns. Der Vater, ein aufgeregter Mann, kündigte den Dienst des Mädchens: weil ich das neue Gesangbuch nicht abschaffen wolle, müsse seine Tochter aus meinem Hause. Sie bekam leicht andere Stellen, wollte später, nach ihres Vaters Tod, wiederholt wieder zu uns, aber wir konnten doch ihretwegen nicht andere brave Mädchen entlassen. Sie ging auswärts, verlor den inneren Halt, wohl auch ihre Ehre und suchte den Tod im Rhein. Hier will ich erwähnen, dass wir eine Reihe von Dienstmädchen hatten, mit wenigen Ausnahmen sehr brave, die es nicht waren wurden rasch, wenn nöthig Knall und Fall entlassen. Die Dienstmädchen bekamen ihre Weisungen präcis und kurz, wurden sonst freundlich und geduldig behandelt,

In die Gemeindeverhältnisse mich einzuleben ward mir sehr leicht. Den Grundstock und die Mehrzahl der Gemeindeglieder kannte ich ja. Aber in den 3 Jahren meiner Abwesenheit hatte bei dem schwunghaften Betriebe der industriellen Werke nicht nur die Bevölkerung der Stadt, sondern auch die Seelenzahl der prot. Gemeinde sich sehr stark gehoben. Es waren neue Elemente hereingekommen, darunter solche, die vom pfälzischen Aufruhr gegen das neue Gesangbuch angesteckt waren und es für angezeigt hielten, den Krieg in die prot. Gemeinde St. Ingbert hineinzutragen, die in ihrer neuen Kirche nur aus dem neuen Gesangbuche sang und darum bereits wusste, was sie an dem Buche hatte.

Ein neues Presbyterium stand bevor und dieses sollte das neue Buch abschaffen. Trotz aller Agitation kam aber nur eine Minorität von Gegnern des neuen Gesangbuches in das Presbyterium; es waren Wirtshausschreier, die weder ein altes noch ein neues Gesangbuch brauchten, weil sie in der Kirche fast nicht gesehen wurden. Den Angriff auf das neue Buch unterliessen sie klüglich, denn im Presbyterium konnten sie nicht durchdringen und die Gemeinde war über das Ergebnis der Presbyterwahl erschrocken. Einer der betreffenden Herren trat sehr bald aus dem Presbyterium aus mit der zutreffenden Erklärung: ich gehöre eigentlich nicht ins Presbyterium. So verlief der drohende Sturm denn ohne Schaden.

Nur in meinem Hause und im Leben meines Dienstmädchens richtete er Unheil an. Das brave und treue Mädchen, eine Konfirmandin von mir, war aus St. Ingbert und seit unserer Verheirathung bei uns. Der Vater, ein aufgeregter Mann, kündigte den Dienst des Mädchens: weil ich das neue Gesangbuch nicht abschaffen wolle, müsse seine Tochter aus meinem Hause. Sie bekam leicht andere Stellen, wollte später, nach ihres Vaters Tod, wiederholt wieder zu uns, aber wir konnten doch ihretwegen nicht andere brave Mädchen entlassen. Sie ging auswärts, verlor den inneren Halt, wohl auch ihre Ehre und suchte den Tod im Rhein. Hier will ich erwähnen, dass wir eine Reihe von Dienstmädchen hatten, mit wenigen Ausnahmen sehr brave, die es nicht waren wurden rasch, wenn nöthig Knall und Fall entlassen. Die Dienstmädchen bekamen ihre Weisungen präcis und kurz, wurden sonst freundlich und geduldig behandelt,

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In die Gemeindeverhältnisse mich einzuleben ward mir sehr leicht. Den Grundstock und die Mehrzahl der Gemeindeglieder kannte ich ja. Aber in den 3 Jahren meiner Abwesenheit hatte bei dem schwunghaften Betriebe der industriellen Werke nicht nur die Bevölkerung der Stadt, sondern auch die Seelenzahl der prot. Gemeinde sich sehr stark gehoben. Es waren neue Elemente hereingekommen, darunter solche, die vom pfälzischen Aufruhr gegen das neue Gesangbuch angesteckt waren und es für angezeigt hielten, den Krieg in die prot. Gemeinde St. Ingbert hineinzutragen, die in ihrer neuen Kirche nur aus dem neuen Gesangbuche sang und darum bereits wusste, was sie an dem Buche hatte.</p>
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        <p>Nur in meinem Hause und im Leben meines Dienstmädchens richtete er Unheil an. Das brave und treue Mädchen, eine Konfirmandin von mir, war aus St. Ingbert und seit unserer Verheirathung bei uns. Der Vater, ein aufgeregter Mann, kündigte den Dienst des Mädchens: weil ich das neue Gesangbuch nicht abschaffen wolle, müsse seine Tochter aus meinem Hause. Sie bekam leicht andere Stellen, wollte später, nach ihres Vaters Tod, wiederholt wieder zu uns, aber wir konnten doch ihretwegen nicht andere brave Mädchen entlassen. Sie ging auswärts, verlor den inneren Halt, wohl auch ihre Ehre und suchte den Tod im Rhein. Hier will ich erwähnen, dass wir eine Reihe von Dienstmädchen hatten, mit wenigen Ausnahmen sehr brave, die es nicht waren wurden rasch, wenn nöthig Knall und Fall entlassen. Die Dienstmädchen bekamen ihre Weisungen präcis und kurz, wurden sonst freundlich und geduldig behandelt,
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[76/0076] In die Gemeindeverhältnisse mich einzuleben ward mir sehr leicht. Den Grundstock und die Mehrzahl der Gemeindeglieder kannte ich ja. Aber in den 3 Jahren meiner Abwesenheit hatte bei dem schwunghaften Betriebe der industriellen Werke nicht nur die Bevölkerung der Stadt, sondern auch die Seelenzahl der prot. Gemeinde sich sehr stark gehoben. Es waren neue Elemente hereingekommen, darunter solche, die vom pfälzischen Aufruhr gegen das neue Gesangbuch angesteckt waren und es für angezeigt hielten, den Krieg in die prot. Gemeinde St. Ingbert hineinzutragen, die in ihrer neuen Kirche nur aus dem neuen Gesangbuche sang und darum bereits wusste, was sie an dem Buche hatte. Ein neues Presbyterium stand bevor und dieses sollte das neue Buch abschaffen. Trotz aller Agitation kam aber nur eine Minorität von Gegnern des neuen Gesangbuches in das Presbyterium; es waren Wirtshausschreier, die weder ein altes noch ein neues Gesangbuch brauchten, weil sie in der Kirche fast nicht gesehen wurden. Den Angriff auf das neue Buch unterliessen sie klüglich, denn im Presbyterium konnten sie nicht durchdringen und die Gemeinde war über das Ergebnis der Presbyterwahl erschrocken. Einer der betreffenden Herren trat sehr bald aus dem Presbyterium aus mit der zutreffenden Erklärung: ich gehöre eigentlich nicht ins Presbyterium. So verlief der drohende Sturm denn ohne Schaden. Nur in meinem Hause und im Leben meines Dienstmädchens richtete er Unheil an. Das brave und treue Mädchen, eine Konfirmandin von mir, war aus St. Ingbert und seit unserer Verheirathung bei uns. Der Vater, ein aufgeregter Mann, kündigte den Dienst des Mädchens: weil ich das neue Gesangbuch nicht abschaffen wolle, müsse seine Tochter aus meinem Hause. Sie bekam leicht andere Stellen, wollte später, nach ihres Vaters Tod, wiederholt wieder zu uns, aber wir konnten doch ihretwegen nicht andere brave Mädchen entlassen. Sie ging auswärts, verlor den inneren Halt, wohl auch ihre Ehre und suchte den Tod im Rhein. Hier will ich erwähnen, dass wir eine Reihe von Dienstmädchen hatten, mit wenigen Ausnahmen sehr brave, die es nicht waren wurden rasch, wenn nöthig Knall und Fall entlassen. Die Dienstmädchen bekamen ihre Weisungen präcis und kurz, wurden sonst freundlich und geduldig behandelt,

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/76>, abgerufen am 28.04.2024.