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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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Wir werkelten bei Vettern und Freunden herum und wurden überall mit offenen Armen aufgenommen. Über Heilbronn, dessen Sehenswürdigkeiten und Umgebung incl. Weinsberg mit der Weibertreu gründlich genossen wurden, ging es an den Kocher nach Neuenstadt an der grossen Linde, die mir unvergesslich blieb wie das ungewohnte tägliche Nachtessen bestehend aus Pfefferminzthee und Butterbrot. Dann wanderten wir an die Jaxt zum dortigen Kantor und Schullehrer, der uns zu Ehren die Lese seines kleinen Weinbergs arrangierte. Der Weinberg lag unmittelbar unter dem Schlosse wovon in Göthes Götz von Berlichingen der Kindermund sein Sprüchlein sagt: Jaxthausen, Schloss und Dorf, an der Jaxt gelegen, gehört seit alten Zeiten den Herren Götz von Berlichingen. Die berühmte eiserne Hand Götzens wurde dort von uns besichtigt; leider war sie erstarrt, weil ein moderner Mechaniker sie zerlegt, das Kunstwerk aber nicht mehr zusammengebracht hatte. Unser lieber Kantor lud zu seinem Herbste die Honoratioren des ganzen Städtchens ein. Für den Abend stellten Traugott und ich das Feuerwerk, nachdem wir mittelst starken Eingriffs in unser Reisegeld zahlreiche Schwärmer, Frösche, Feuerräder und Raketen beim Buchbinder erstanden hatten. Hochvergnügt wurde die Lese vollendet unter Vertilgung grosser Mengen von Schinken, weichem Käse, Trauben und süssem Most. Zum Abendessen ging es ins Kantorhaus, wo in später Stunde das "Schlappestosse" vor sich ging. Jung und alt, Männlein und Weiblein mussten sich nacheinander auf einen starken Prügel setzen, der auf zwei Stühlen lag und durch die Griffe eines Kartoffelkorbes gesteckt war; in den Korb, der zwischen den 2 Stühlen baumelte, mussten die Füsse gestellt werden und dann war mittels eines Steckens ein auf dem hinteren Stuhl liegender "Schlappen" (Pantoffel ohne Kappe und Seitenteile) heruntergestossen werden. Die hiermit sich abmühenden verloren meist das Gleichgewicht und fielen zu Boden. Mit diesem derben Witze schloss unter grossem Gaudium das schwäbische Herbstvergnügen.

Wir werkelten bei Vettern und Freunden herum und wurden überall mit offenen Armen aufgenommen. Über Heilbronn, dessen Sehenswürdigkeiten und Umgebung incl. Weinsberg mit der Weibertreu gründlich genossen wurden, ging es an den Kocher nach Neuenstadt an der grossen Linde, die mir unvergesslich blieb wie das ungewohnte tägliche Nachtessen bestehend aus Pfefferminzthee und Butterbrot. Dann wanderten wir an die Jaxt zum dortigen Kantor und Schullehrer, der uns zu Ehren die Lese seines kleinen Weinbergs arrangierte. Der Weinberg lag unmittelbar unter dem Schlosse wovon in Göthes Götz von Berlichingen der Kindermund sein Sprüchlein sagt: Jaxthausen, Schloss und Dorf, an der Jaxt gelegen, gehört seit alten Zeiten den Herren Götz von Berlichingen. Die berühmte eiserne Hand Götzens wurde dort von uns besichtigt; leider war sie erstarrt, weil ein moderner Mechaniker sie zerlegt, das Kunstwerk aber nicht mehr zusammengebracht hatte. Unser lieber Kantor lud zu seinem Herbste die Honoratioren des ganzen Städtchens ein. Für den Abend stellten Traugott und ich das Feuerwerk, nachdem wir mittelst starken Eingriffs in unser Reisegeld zahlreiche Schwärmer, Frösche, Feuerräder und Raketen beim Buchbinder erstanden hatten. Hochvergnügt wurde die Lese vollendet unter Vertilgung grosser Mengen von Schinken, weichem Käse, Trauben und süssem Most. Zum Abendessen ging es ins Kantorhaus, wo in später Stunde das "Schlappestosse" vor sich ging. Jung und alt, Männlein und Weiblein mussten sich nacheinander auf einen starken Prügel setzen, der auf zwei Stühlen lag und durch die Griffe eines Kartoffelkorbes gesteckt war; in den Korb, der zwischen den 2 Stühlen baumelte, mussten die Füsse gestellt werden und dann war mittels eines Steckens ein auf dem hinteren Stuhl liegender "Schlappen" (Pantoffel ohne Kappe und Seitenteile) heruntergestossen werden. Die hiermit sich abmühenden verloren meist das Gleichgewicht und fielen zu Boden. Mit diesem derben Witze schloss unter grossem Gaudium das schwäbische Herbstvergnügen.

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Wir werkelten bei Vettern und Freunden herum und wurden überall mit offenen Armen aufgenommen. Über Heilbronn, dessen Sehenswürdigkeiten und Umgebung incl. Weinsberg mit der Weibertreu gründlich genossen wurden, ging es an den Kocher nach Neuenstadt an der grossen Linde, die mir unvergesslich blieb wie das ungewohnte tägliche Nachtessen bestehend aus Pfefferminzthee und Butterbrot. Dann wanderten wir an die Jaxt zum dortigen Kantor und Schullehrer, der uns zu Ehren die Lese seines kleinen Weinbergs arrangierte. Der Weinberg lag unmittelbar unter dem Schlosse wovon in Göthes Götz von Berlichingen der Kindermund sein Sprüchlein sagt: Jaxthausen, Schloss und Dorf, an der Jaxt gelegen, gehört seit alten Zeiten den Herren Götz von Berlichingen. Die berühmte eiserne Hand Götzens wurde dort von uns besichtigt; leider war sie erstarrt, weil ein moderner Mechaniker sie zerlegt, das Kunstwerk aber nicht mehr zusammengebracht hatte. Unser lieber Kantor lud zu seinem Herbste die Honoratioren des ganzen Städtchens ein. Für den Abend stellten Traugott und ich das Feuerwerk, nachdem wir mittelst starken Eingriffs in unser Reisegeld zahlreiche Schwärmer, Frösche, Feuerräder und Raketen beim Buchbinder erstanden hatten. Hochvergnügt wurde die Lese vollendet unter Vertilgung grosser Mengen von Schinken, weichem Käse, Trauben und süssem Most. Zum Abendessen ging es ins Kantorhaus, wo in später Stunde das "Schlappestosse" vor sich ging. Jung und alt, Männlein und Weiblein mussten sich nacheinander auf einen starken Prügel setzen, der auf zwei Stühlen lag und durch die Griffe eines Kartoffelkorbes gesteckt war; in den Korb, der zwischen den 2 Stühlen baumelte, mussten die Füsse gestellt werden und dann war mittels eines Steckens ein auf dem hinteren Stuhl liegender "Schlappen" (Pantoffel ohne Kappe und Seitenteile) heruntergestossen werden. Die hiermit sich abmühenden verloren meist das Gleichgewicht und fielen zu Boden. Mit diesem derben Witze schloss unter grossem Gaudium das schwäbische Herbstvergnügen.
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[20/0020] Wir werkelten bei Vettern und Freunden herum und wurden überall mit offenen Armen aufgenommen. Über Heilbronn, dessen Sehenswürdigkeiten und Umgebung incl. Weinsberg mit der Weibertreu gründlich genossen wurden, ging es an den Kocher nach Neuenstadt an der grossen Linde, die mir unvergesslich blieb wie das ungewohnte tägliche Nachtessen bestehend aus Pfefferminzthee und Butterbrot. Dann wanderten wir an die Jaxt zum dortigen Kantor und Schullehrer, der uns zu Ehren die Lese seines kleinen Weinbergs arrangierte. Der Weinberg lag unmittelbar unter dem Schlosse wovon in Göthes Götz von Berlichingen der Kindermund sein Sprüchlein sagt: Jaxthausen, Schloss und Dorf, an der Jaxt gelegen, gehört seit alten Zeiten den Herren Götz von Berlichingen. Die berühmte eiserne Hand Götzens wurde dort von uns besichtigt; leider war sie erstarrt, weil ein moderner Mechaniker sie zerlegt, das Kunstwerk aber nicht mehr zusammengebracht hatte. Unser lieber Kantor lud zu seinem Herbste die Honoratioren des ganzen Städtchens ein. Für den Abend stellten Traugott und ich das Feuerwerk, nachdem wir mittelst starken Eingriffs in unser Reisegeld zahlreiche Schwärmer, Frösche, Feuerräder und Raketen beim Buchbinder erstanden hatten. Hochvergnügt wurde die Lese vollendet unter Vertilgung grosser Mengen von Schinken, weichem Käse, Trauben und süssem Most. Zum Abendessen ging es ins Kantorhaus, wo in später Stunde das "Schlappestosse" vor sich ging. Jung und alt, Männlein und Weiblein mussten sich nacheinander auf einen starken Prügel setzen, der auf zwei Stühlen lag und durch die Griffe eines Kartoffelkorbes gesteckt war; in den Korb, der zwischen den 2 Stühlen baumelte, mussten die Füsse gestellt werden und dann war mittels eines Steckens ein auf dem hinteren Stuhl liegender "Schlappen" (Pantoffel ohne Kappe und Seitenteile) heruntergestossen werden. Die hiermit sich abmühenden verloren meist das Gleichgewicht und fielen zu Boden. Mit diesem derben Witze schloss unter grossem Gaudium das schwäbische Herbstvergnügen.

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/20>, abgerufen am 16.04.2024.