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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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Die lange Zernierung von Metz und der darin eingeschlossenen Armee Bazaines brachte aber ein eigenthümliches Leben auf unsere Kaiserstrasse. Sogenannte Marketender brachten alle möglichen Bedürfnisse vor die zernierte Festung. Wer einen Wagen hatte oder etwas Geld, oder wer beides geliehen bekam, wagte die Spekulation der Verbringung aller denkbaren Bedürfnisse dorthin, denn flotter Absatz war sicher. Als Rückfracht wurde allerlei Kriegsbeute mitgebracht.

Dann erschienen grosse Ochsen- und Rinderherden, die ihren Weg theilweise in den ungarischen Pussten angetreten hatten. Leider brachten sie die Rinderpest mit, so dass besondere Schutzregeln nöthig wurden, zu deren Durchführung bayer. Landwehr erschien. Wer zur Stadt ein- und ausging musste sich in einer Räucherhütte durch Chlor desinfizieren lassen. Ich genoss dieses Vergnügen nur einmal und verschaffte mir dann einen Passe-par-tout, den die Schildwachen ungern respektierten, denn es machte ihnen Vergnügen, alle Menschen als Träger von Rinderpest-Bazillen zu behandeln.

Nebenbei hatten die Landwehrleute auch die Marketenderwagen zu kontrollieren und besonders die von Metz zurückkehrenden bezüglich der Rechtmässigkeit des Besitzes ihrer Kriegsbeute zu prüfen; die Waffen wurden sämtlich ihnen abgenommen.

Nach dem Falle verschwand auch dieses Kriegsbild. Der beständig am Telegraphen liegende, die durchgehenden Depeschen abhorchende Postbeamte, von dem wir manche Neuigkeiten früher als die Behörden und Zeitungsredaktionen hörten, ermüdete über dem so häufigen: "Nichts Neues vor Paris." Die unmittelbare Berührung mit den Kriegsereignissen hatte aufgehört. Nur die tägliche Absendung von je 6 Cigarren und ausserordentliche Sendungen von Unterhosen, Socken, Stearinlichtern und Streichhölzern hatte ihren Fortgang. Das Haus wurde wieder auf den Friedensfuss eingerichtet. Die Betstunden, die ich Mitte August an Mittwochen eingerichtet hatte, wurden abgesagt, denn sie wurden nur noch spärlich besucht, namentlich von solchen, welche Söhne im Felde stehen hatten.

Die lange Zernierung von Metz und der darin eingeschlossenen Armee Bazaines brachte aber ein eigenthümliches Leben auf unsere Kaiserstrasse. Sogenannte Marketender brachten alle möglichen Bedürfnisse vor die zernierte Festung. Wer einen Wagen hatte oder etwas Geld, oder wer beides geliehen bekam, wagte die Spekulation der Verbringung aller denkbaren Bedürfnisse dorthin, denn flotter Absatz war sicher. Als Rückfracht wurde allerlei Kriegsbeute mitgebracht.

Dann erschienen grosse Ochsen- und Rinderherden, die ihren Weg theilweise in den ungarischen Pussten angetreten hatten. Leider brachten sie die Rinderpest mit, so dass besondere Schutzregeln nöthig wurden, zu deren Durchführung bayer. Landwehr erschien. Wer zur Stadt ein- und ausging musste sich in einer Räucherhütte durch Chlor desinfizieren lassen. Ich genoss dieses Vergnügen nur einmal und verschaffte mir dann einen Passe-par-tout, den die Schildwachen ungern respektierten, denn es machte ihnen Vergnügen, alle Menschen als Träger von Rinderpest-Bazillen zu behandeln.

Nebenbei hatten die Landwehrleute auch die Marketenderwagen zu kontrollieren und besonders die von Metz zurückkehrenden bezüglich der Rechtmässigkeit des Besitzes ihrer Kriegsbeute zu prüfen; die Waffen wurden sämtlich ihnen abgenommen.

Nach dem Falle verschwand auch dieses Kriegsbild. Der beständig am Telegraphen liegende, die durchgehenden Depeschen abhorchende Postbeamte, von dem wir manche Neuigkeiten früher als die Behörden und Zeitungsredaktionen hörten, ermüdete über dem so häufigen: ”Nichts Neues vor Paris.“ Die unmittelbare Berührung mit den Kriegsereignissen hatte aufgehört. Nur die tägliche Absendung von je 6 Cigarren und ausserordentliche Sendungen von Unterhosen, Socken, Stearinlichtern und Streichhölzern hatte ihren Fortgang. Das Haus wurde wieder auf den Friedensfuss eingerichtet. Die Betstunden, die ich Mitte August an Mittwochen eingerichtet hatte, wurden abgesagt, denn sie wurden nur noch spärlich besucht, namentlich von solchen, welche Söhne im Felde stehen hatten.

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        <p>Nebenbei hatten die Landwehrleute auch die Marketenderwagen zu kontrollieren und besonders die von Metz zurückkehrenden bezüglich der Rechtmässigkeit des Besitzes ihrer Kriegsbeute zu prüfen; die Waffen wurden sämtlich ihnen abgenommen.</p>
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[100/0100] Die lange Zernierung von Metz und der darin eingeschlossenen Armee Bazaines brachte aber ein eigenthümliches Leben auf unsere Kaiserstrasse. Sogenannte Marketender brachten alle möglichen Bedürfnisse vor die zernierte Festung. Wer einen Wagen hatte oder etwas Geld, oder wer beides geliehen bekam, wagte die Spekulation der Verbringung aller denkbaren Bedürfnisse dorthin, denn flotter Absatz war sicher. Als Rückfracht wurde allerlei Kriegsbeute mitgebracht. Dann erschienen grosse Ochsen- und Rinderherden, die ihren Weg theilweise in den ungarischen Pussten angetreten hatten. Leider brachten sie die Rinderpest mit, so dass besondere Schutzregeln nöthig wurden, zu deren Durchführung bayer. Landwehr erschien. Wer zur Stadt ein- und ausging musste sich in einer Räucherhütte durch Chlor desinfizieren lassen. Ich genoss dieses Vergnügen nur einmal und verschaffte mir dann einen Passe-par-tout, den die Schildwachen ungern respektierten, denn es machte ihnen Vergnügen, alle Menschen als Träger von Rinderpest-Bazillen zu behandeln. Nebenbei hatten die Landwehrleute auch die Marketenderwagen zu kontrollieren und besonders die von Metz zurückkehrenden bezüglich der Rechtmässigkeit des Besitzes ihrer Kriegsbeute zu prüfen; die Waffen wurden sämtlich ihnen abgenommen. Nach dem Falle verschwand auch dieses Kriegsbild. Der beständig am Telegraphen liegende, die durchgehenden Depeschen abhorchende Postbeamte, von dem wir manche Neuigkeiten früher als die Behörden und Zeitungsredaktionen hörten, ermüdete über dem so häufigen: ”Nichts Neues vor Paris.“ Die unmittelbare Berührung mit den Kriegsereignissen hatte aufgehört. Nur die tägliche Absendung von je 6 Cigarren und ausserordentliche Sendungen von Unterhosen, Socken, Stearinlichtern und Streichhölzern hatte ihren Fortgang. Das Haus wurde wieder auf den Friedensfuss eingerichtet. Die Betstunden, die ich Mitte August an Mittwochen eingerichtet hatte, wurden abgesagt, denn sie wurden nur noch spärlich besucht, namentlich von solchen, welche Söhne im Felde stehen hatten.

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/100>, abgerufen am 28.04.2024.