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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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"Ich weiß, was Dich drückt", sagte er eines Mittags zu
Franz. "Ich sehe ein, daß der Großvater Dir abermals bittres
Unrecht gethan hat. Du bist ein anderer Geist, wie er und
ich, Du gebrauchst die Gesellschaft, um nicht zu verbauern.
Hier hast Du Dein Taschengeld wieder, aber wir wollen die
Geschichte jetzt anders machen. Du wirst von jetzt ab in
der guten Stube schlafen, da hört der Großvater Dein Nach¬
hausekommen nicht".

Damit kam man wieder in's alte Geleise. Der Meister
hatte wiederum bewiesen, daß er seinem Stammhalter zu
Liebe selbst nicht vor einer Lüge seinem Vater gegenüber
zurückschreckte. Ja, er spielte eine förmliche Komödie, um
Großvater und Enkel das Leben so angenehm als möglich zu
machen, ließ den Alten in dem Glauben, daß in Franzens
Lebenswandel wirklich eine Aenderung eingetreten sei, rühmte
dessen Solidität über die Maßen und wußte es gar so weit
zu bringen, daß Gottfried Timpe Franz freundlicher gesinnt
wurde, und in der Herzensfreude darüber, daß man diesmal
seine Autorität respektirt habe, hin und wieder mit seinem
Enkel ein längeres Gespräch anknüpfte und zum Erstaunen
Aller ihn sogar aufforderte, zur Abwechslung einmal die alte
Gesellschaft aufzusuchen.

Als dies Wunder geschah, fühlte Johannes Timpe sich
dadurch außerordentlich gerührt. Er wendete sich ab und ver¬
ließ das Zimmer. Es war ihm peinlich, das spöttische Lächeln
seines Sohnes zu beobachten, das fortwährend zu sagen schien:
Wenn Du wüßtest, Alter!

Durch seine ewige Nachgiebigkeit erreichte Johannes Timpe
weiter nichts, als daß Franz immer mehr den Respekt vor
ihm verlor und sich schließlich wie ein selbständiger Mann

„Ich weiß, was Dich drückt“, ſagte er eines Mittags zu
Franz. „Ich ſehe ein, daß der Großvater Dir abermals bittres
Unrecht gethan hat. Du biſt ein anderer Geiſt, wie er und
ich, Du gebrauchſt die Geſellſchaft, um nicht zu verbauern.
Hier haſt Du Dein Taſchengeld wieder, aber wir wollen die
Geſchichte jetzt anders machen. Du wirſt von jetzt ab in
der guten Stube ſchlafen, da hört der Großvater Dein Nach¬
hauſekommen nicht“.

Damit kam man wieder in's alte Geleiſe. Der Meiſter
hatte wiederum bewieſen, daß er ſeinem Stammhalter zu
Liebe ſelbſt nicht vor einer Lüge ſeinem Vater gegenüber
zurückſchreckte. Ja, er ſpielte eine förmliche Komödie, um
Großvater und Enkel das Leben ſo angenehm als möglich zu
machen, ließ den Alten in dem Glauben, daß in Franzens
Lebenswandel wirklich eine Aenderung eingetreten ſei, rühmte
deſſen Solidität über die Maßen und wußte es gar ſo weit
zu bringen, daß Gottfried Timpe Franz freundlicher geſinnt
wurde, und in der Herzensfreude darüber, daß man diesmal
ſeine Autorität reſpektirt habe, hin und wieder mit ſeinem
Enkel ein längeres Geſpräch anknüpfte und zum Erſtaunen
Aller ihn ſogar aufforderte, zur Abwechslung einmal die alte
Geſellſchaft aufzuſuchen.

Als dies Wunder geſchah, fühlte Johannes Timpe ſich
dadurch außerordentlich gerührt. Er wendete ſich ab und ver¬
ließ das Zimmer. Es war ihm peinlich, das ſpöttiſche Lächeln
ſeines Sohnes zu beobachten, das fortwährend zu ſagen ſchien:
Wenn Du wüßteſt, Alter!

Durch ſeine ewige Nachgiebigkeit erreichte Johannes Timpe
weiter nichts, als daß Franz immer mehr den Reſpekt vor
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[79/0091] „Ich weiß, was Dich drückt“, ſagte er eines Mittags zu Franz. „Ich ſehe ein, daß der Großvater Dir abermals bittres Unrecht gethan hat. Du biſt ein anderer Geiſt, wie er und ich, Du gebrauchſt die Geſellſchaft, um nicht zu verbauern. Hier haſt Du Dein Taſchengeld wieder, aber wir wollen die Geſchichte jetzt anders machen. Du wirſt von jetzt ab in der guten Stube ſchlafen, da hört der Großvater Dein Nach¬ hauſekommen nicht“. Damit kam man wieder in's alte Geleiſe. Der Meiſter hatte wiederum bewieſen, daß er ſeinem Stammhalter zu Liebe ſelbſt nicht vor einer Lüge ſeinem Vater gegenüber zurückſchreckte. Ja, er ſpielte eine förmliche Komödie, um Großvater und Enkel das Leben ſo angenehm als möglich zu machen, ließ den Alten in dem Glauben, daß in Franzens Lebenswandel wirklich eine Aenderung eingetreten ſei, rühmte deſſen Solidität über die Maßen und wußte es gar ſo weit zu bringen, daß Gottfried Timpe Franz freundlicher geſinnt wurde, und in der Herzensfreude darüber, daß man diesmal ſeine Autorität reſpektirt habe, hin und wieder mit ſeinem Enkel ein längeres Geſpräch anknüpfte und zum Erſtaunen Aller ihn ſogar aufforderte, zur Abwechslung einmal die alte Geſellſchaft aufzuſuchen. Als dies Wunder geſchah, fühlte Johannes Timpe ſich dadurch außerordentlich gerührt. Er wendete ſich ab und ver¬ ließ das Zimmer. Es war ihm peinlich, das ſpöttiſche Lächeln ſeines Sohnes zu beobachten, das fortwährend zu ſagen ſchien: Wenn Du wüßteſt, Alter! Durch ſeine ewige Nachgiebigkeit erreichte Johannes Timpe weiter nichts, als daß Franz immer mehr den Reſpekt vor ihm verlor und ſich ſchließlich wie ein ſelbſtändiger Mann

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/91>, abgerufen am 25.11.2024.