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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Wie oft hatte sein Auge sich an diesem Bilde gelabt,
und wie oft waren die Eindrücke gleich Schemen entschwun¬
den, wenn er sein Gesicht dem Nachbargrundstück zugewendet
hatte. Dort der lachende Sonnenschein, die unbegrenzte
Freiheit des Blickes, der Reiz einer eigenthümlichen Land¬
schaft und hier Hand in Hand mit dem Zerstörungswerk der
Menschen der Aufbau steiler Wände, die das Licht des Him¬
mels nahmen.

Im Juli ragte bereits das Fundament der neuen Fabrik
über den Erdboden empor. Baum auf Baum war gefallen
und mit dem Sturze eines jeden und dem Krachen seiner
Aeste, das sich in der Phantasie Timpes wie das Aechzen
eines Sterbenden angehört hatte, war den Meister die
Empfindung überkommen, als schwände jedes zurückgelegte
Jahr seines Lebens nochmals dahin.

Was dort fiel, war das alte Berlin, der stete Anblick
seiner Kindheit, der Märchenduft seiner Knabenjahre. Und
jeder Spatenstich, jeder Axthieb und Hammerschlag bereitete
seinem Herzen eine Wunde, die ihm brennende Schmerzen
verursachte.

Es schien fast, als wäre Meister Timpe der eigentliche
Besitzer der neu entstehenden Welt dort drüben -- so leb¬
haft war der Antheil, den er an dem Wachsen und Werden
der Fabrik nahm. Mit der Zeit überkam ihn eine Art
Idee: er bildete sich ein, daß seine ganze Zukunft von der
Vollendung des Riesengebäudes abhängen werde, er fürchtete
die Mauern würden, je höher sie rückten, ihn, seine ganze
Familie und das Häuschen nach und nach erdrücken. Oefters
befiel ihn eine große, ihn unthätig hin- und hertreibende
Unruhe. Er vermochte die Zeit nicht zu erwarten, wo die

Wie oft hatte ſein Auge ſich an dieſem Bilde gelabt‚
und wie oft waren die Eindrücke gleich Schemen entſchwun¬
den, wenn er ſein Geſicht dem Nachbargrundſtück zugewendet
hatte. Dort der lachende Sonnenſchein, die unbegrenzte
Freiheit des Blickes, der Reiz einer eigenthümlichen Land¬
ſchaft und hier Hand in Hand mit dem Zerſtörungswerk der
Menſchen der Aufbau ſteiler Wände, die das Licht des Him¬
mels nahmen.

Im Juli ragte bereits das Fundament der neuen Fabrik
über den Erdboden empor. Baum auf Baum war gefallen
und mit dem Sturze eines jeden und dem Krachen ſeiner
Aeſte, das ſich in der Phantaſie Timpes wie das Aechzen
eines Sterbenden angehört hatte, war den Meiſter die
Empfindung überkommen, als ſchwände jedes zurückgelegte
Jahr ſeines Lebens nochmals dahin.

Was dort fiel, war das alte Berlin, der ſtete Anblick
ſeiner Kindheit, der Märchenduft ſeiner Knabenjahre. Und
jeder Spatenſtich, jeder Axthieb und Hammerſchlag bereitete
ſeinem Herzen eine Wunde, die ihm brennende Schmerzen
verurſachte.

Es ſchien faſt, als wäre Meiſter Timpe der eigentliche
Beſitzer der neu entſtehenden Welt dort drüben — ſo leb¬
haft war der Antheil, den er an dem Wachſen und Werden
der Fabrik nahm. Mit der Zeit überkam ihn eine Art
Idee: er bildete ſich ein, daß ſeine ganze Zukunft von der
Vollendung des Rieſengebäudes abhängen werde, er fürchtete
die Mauern würden, je höher ſie rückten, ihn, ſeine ganze
Familie und das Häuschen nach und nach erdrücken. Oefters
befiel ihn eine große, ihn unthätig hin- und hertreibende
Unruhe. Er vermochte die Zeit nicht zu erwarten, wo die

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[72/0084] Wie oft hatte ſein Auge ſich an dieſem Bilde gelabt‚ und wie oft waren die Eindrücke gleich Schemen entſchwun¬ den, wenn er ſein Geſicht dem Nachbargrundſtück zugewendet hatte. Dort der lachende Sonnenſchein, die unbegrenzte Freiheit des Blickes, der Reiz einer eigenthümlichen Land¬ ſchaft und hier Hand in Hand mit dem Zerſtörungswerk der Menſchen der Aufbau ſteiler Wände, die das Licht des Him¬ mels nahmen. Im Juli ragte bereits das Fundament der neuen Fabrik über den Erdboden empor. Baum auf Baum war gefallen und mit dem Sturze eines jeden und dem Krachen ſeiner Aeſte, das ſich in der Phantaſie Timpes wie das Aechzen eines Sterbenden angehört hatte, war den Meiſter die Empfindung überkommen, als ſchwände jedes zurückgelegte Jahr ſeines Lebens nochmals dahin. Was dort fiel, war das alte Berlin, der ſtete Anblick ſeiner Kindheit, der Märchenduft ſeiner Knabenjahre. Und jeder Spatenſtich, jeder Axthieb und Hammerſchlag bereitete ſeinem Herzen eine Wunde, die ihm brennende Schmerzen verurſachte. Es ſchien faſt, als wäre Meiſter Timpe der eigentliche Beſitzer der neu entſtehenden Welt dort drüben — ſo leb¬ haft war der Antheil, den er an dem Wachſen und Werden der Fabrik nahm. Mit der Zeit überkam ihn eine Art Idee: er bildete ſich ein, daß ſeine ganze Zukunft von der Vollendung des Rieſengebäudes abhängen werde, er fürchtete die Mauern würden, je höher ſie rückten, ihn, ſeine ganze Familie und das Häuschen nach und nach erdrücken. Oefters befiel ihn eine große, ihn unthätig hin- und hertreibende Unruhe. Er vermochte die Zeit nicht zu erwarten, wo die

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/84>, abgerufen am 22.11.2024.