Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch das Gespräch aufmerksam geworden, hatten sämmt¬
iche Gesellen sich an den Fenstern versammelt. Da drüben
sollte also eine Fabrik errichtet werden? Das war eine
Nachricht, über welche man sprechen mußte. Johannes Timpe
war es selbst angenehm, mit den Arbeitern seine Ansicht aus¬
zutauschen; und so eiferte denn ein Jeder, seine Bemerkungen
zu machen.

Urban sei ein ganz geriebener Junge, meinte Leineweber
aus Braunschweig, ein kleiner, schmächtiger Mensch, der sich die
Brust an der Drehbank ruinirt hatte, aber sich immer in
Träumen darüber erging, was er anfangen würde, wenn er
einmal einen Batzen in der Lotterie gewönne. Er habe bei
einem Meister gearbeitet, der für Urban geliefert habe. Wenn
dieser anfange, auf eigene Faust zu fabriziren, so würde er
wohl seinen guten Grund haben. Jedenfalls mache er hundert
kleine Meister todt.

Und Leitmann, ein bereits graubärtiger Geselle, der früher
einmal selbstständig gewesen war und durch das viele Treten
der Drehbank einen hinkenden Gang sich angeeignet hatte,
kannte ihn schon seit der Zeit, als sein ganzes Geschäft aus
zwei winzigen Zimmern bestand und er, einen mächtigen Karton
unter dem Arm, seinen eigenen Reisenden spielte, der durch
die Straßen Berlins keuchte, oder hoch oben auf dem Omni¬
bus von einem Thor zum andern fuhr. Das sei vor zwanzig
Jahren gewesen, als die ovalen Bilderrähme zum ersten Male
auf der Drehbank hergestellt wurden. Dadurch habe er sein
Glück gemacht.

Fritz Wiesel, ein blutjunger Berliner, hatte, als er noch
Lehrling war, im Komtor von Ferdinand Friedrich Urban zu
thun gehabt. Sein Geiz sei sprichwörtlich, meinte er. Er

Durch das Geſpräch aufmerkſam geworden, hatten ſämmt¬
iche Geſellen ſich an den Fenſtern verſammelt. Da drüben
ſollte alſo eine Fabrik errichtet werden? Das war eine
Nachricht, über welche man ſprechen mußte. Johannes Timpe
war es ſelbſt angenehm, mit den Arbeitern ſeine Anſicht aus¬
zutauſchen; und ſo eiferte denn ein Jeder, ſeine Bemerkungen
zu machen.

Urban ſei ein ganz geriebener Junge, meinte Leineweber
aus Braunſchweig, ein kleiner, ſchmächtiger Menſch, der ſich die
Bruſt an der Drehbank ruinirt hatte, aber ſich immer in
Träumen darüber erging, was er anfangen würde, wenn er
einmal einen Batzen in der Lotterie gewönne. Er habe bei
einem Meiſter gearbeitet, der für Urban geliefert habe. Wenn
dieſer anfange, auf eigene Fauſt zu fabriziren, ſo würde er
wohl ſeinen guten Grund haben. Jedenfalls mache er hundert
kleine Meiſter todt.

Und Leitmann, ein bereits graubärtiger Geſelle, der früher
einmal ſelbſtſtändig geweſen war und durch das viele Treten
der Drehbank einen hinkenden Gang ſich angeeignet hatte,
kannte ihn ſchon ſeit der Zeit, als ſein ganzes Geſchäft aus
zwei winzigen Zimmern beſtand und er, einen mächtigen Karton
unter dem Arm, ſeinen eigenen Reiſenden ſpielte, der durch
die Straßen Berlins keuchte, oder hoch oben auf dem Omni¬
bus von einem Thor zum andern fuhr. Das ſei vor zwanzig
Jahren geweſen, als die ovalen Bilderrähme zum erſten Male
auf der Drehbank hergeſtellt wurden. Dadurch habe er ſein
Glück gemacht.

Fritz Wieſel, ein blutjunger Berliner, hatte, als er noch
Lehrling war, im Komtor von Ferdinand Friedrich Urban zu
thun gehabt. Sein Geiz ſei ſprichwörtlich, meinte er. Er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0043" n="31"/>
        <p>Durch das Ge&#x017F;präch aufmerk&#x017F;am geworden, hatten &#x017F;ämmt¬<lb/>
iche Ge&#x017F;ellen &#x017F;ich an den Fen&#x017F;tern ver&#x017F;ammelt. Da drüben<lb/>
&#x017F;ollte al&#x017F;o eine Fabrik errichtet werden? Das war eine<lb/>
Nachricht, über welche man &#x017F;prechen mußte. Johannes Timpe<lb/>
war es &#x017F;elb&#x017F;t angenehm, mit den Arbeitern &#x017F;eine An&#x017F;icht aus¬<lb/>
zutau&#x017F;chen; und &#x017F;o eiferte denn ein Jeder, &#x017F;eine Bemerkungen<lb/>
zu machen.</p><lb/>
        <p>Urban &#x017F;ei ein ganz geriebener Junge, meinte Leineweber<lb/>
aus Braun&#x017F;chweig, ein kleiner, &#x017F;chmächtiger Men&#x017F;ch, der &#x017F;ich die<lb/>
Bru&#x017F;t an der Drehbank ruinirt hatte, aber &#x017F;ich immer in<lb/>
Träumen darüber erging, was er anfangen würde, wenn er<lb/>
einmal einen Batzen in der Lotterie gewönne. Er habe bei<lb/>
einem Mei&#x017F;ter gearbeitet, der für Urban geliefert habe. Wenn<lb/>
die&#x017F;er anfange, auf eigene Fau&#x017F;t zu fabriziren, &#x017F;o würde er<lb/>
wohl &#x017F;einen guten Grund haben. Jedenfalls mache er hundert<lb/>
kleine Mei&#x017F;ter todt.</p><lb/>
        <p>Und Leitmann, ein bereits graubärtiger Ge&#x017F;elle, der früher<lb/>
einmal &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändig gewe&#x017F;en war und durch das viele Treten<lb/>
der Drehbank einen hinkenden Gang &#x017F;ich angeeignet hatte,<lb/>
kannte ihn &#x017F;chon &#x017F;eit der Zeit, als &#x017F;ein ganzes Ge&#x017F;chäft aus<lb/>
zwei winzigen Zimmern be&#x017F;tand und er, einen mächtigen Karton<lb/>
unter dem Arm, &#x017F;einen eigenen Rei&#x017F;enden &#x017F;pielte, der durch<lb/>
die Straßen Berlins keuchte, oder hoch oben auf dem Omni¬<lb/>
bus von einem Thor zum andern fuhr. Das &#x017F;ei vor zwanzig<lb/>
Jahren gewe&#x017F;en, als die ovalen Bilderrähme zum er&#x017F;ten Male<lb/>
auf der Drehbank herge&#x017F;tellt wurden. Dadurch habe er &#x017F;ein<lb/>
Glück gemacht.</p><lb/>
        <p>Fritz Wie&#x017F;el, ein blutjunger Berliner, hatte, als er noch<lb/>
Lehrling war, im Komtor von Ferdinand Friedrich Urban zu<lb/>
thun gehabt. Sein Geiz &#x017F;ei &#x017F;prichwörtlich, meinte er. Er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0043] Durch das Geſpräch aufmerkſam geworden, hatten ſämmt¬ iche Geſellen ſich an den Fenſtern verſammelt. Da drüben ſollte alſo eine Fabrik errichtet werden? Das war eine Nachricht, über welche man ſprechen mußte. Johannes Timpe war es ſelbſt angenehm, mit den Arbeitern ſeine Anſicht aus¬ zutauſchen; und ſo eiferte denn ein Jeder, ſeine Bemerkungen zu machen. Urban ſei ein ganz geriebener Junge, meinte Leineweber aus Braunſchweig, ein kleiner, ſchmächtiger Menſch, der ſich die Bruſt an der Drehbank ruinirt hatte, aber ſich immer in Träumen darüber erging, was er anfangen würde, wenn er einmal einen Batzen in der Lotterie gewönne. Er habe bei einem Meiſter gearbeitet, der für Urban geliefert habe. Wenn dieſer anfange, auf eigene Fauſt zu fabriziren, ſo würde er wohl ſeinen guten Grund haben. Jedenfalls mache er hundert kleine Meiſter todt. Und Leitmann, ein bereits graubärtiger Geſelle, der früher einmal ſelbſtſtändig geweſen war und durch das viele Treten der Drehbank einen hinkenden Gang ſich angeeignet hatte, kannte ihn ſchon ſeit der Zeit, als ſein ganzes Geſchäft aus zwei winzigen Zimmern beſtand und er, einen mächtigen Karton unter dem Arm, ſeinen eigenen Reiſenden ſpielte, der durch die Straßen Berlins keuchte, oder hoch oben auf dem Omni¬ bus von einem Thor zum andern fuhr. Das ſei vor zwanzig Jahren geweſen, als die ovalen Bilderrähme zum erſten Male auf der Drehbank hergeſtellt wurden. Dadurch habe er ſein Glück gemacht. Fritz Wieſel, ein blutjunger Berliner, hatte, als er noch Lehrling war, im Komtor von Ferdinand Friedrich Urban zu thun gehabt. Sein Geiz ſei ſprichwörtlich, meinte er. Er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/43
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/43>, abgerufen am 19.04.2024.