ihn wie ein lebendes Auskunftsbureau betrachteten, das auf Alles Antwort geben müsse. Die ergötzlichsten Ansichten wurden dabei zu Tage gefördert. Da er überdies mit allen Verhältnissen des Hauses vertraut war, in Abwesenheit seines Arbeitgebers die Geschäfte desselben wahrnahm, so wurde er von diesem mehr wie ein Kamerad als wie ein Untergebener betrachtet.
"Meister", rief er zum Garten hinaus, "wir haben noch nicht genug Schornsteine in der Nähe, es müssen noch einige hinzukommen. Aber ich habe es immer gesagt: die Ueberproduktion wird die Menschen zu Grunde richten. Die großen Fabriken fressen das Handwerk auf und zuletzt bleibt weiter nichts übrig, als Arbeiter und Fabrikanten, zweibeinige Maschinen und Dampf¬ kessel. Wie soll das enden!"
"Diesmal haben Sie Recht, Beyer", erwiderte Johannes Timpe, während von der Hofthür her, wo die Tauben sich vor dem Großvater versammelt hatten, die alte Litanei des Greises ertönte:
"Ja, ja, das waren noch andere Zeiten . . . damals! Das Handwerk hatte einen goldenen Boden . . . Die Schorn¬ steine müssen gestürzt werden, denn sie verpesten die Luft; aber die Handwerker haben selbst daran Schuld. Sie sollten ihre Söhne nicht Kaufleute werden lassen, die nur noch spekuliren und nicht arbeiten wollen".
Er hatte seinem Ingrimm wieder einmal Luft gemacht, drehte sich um, faßte nach der Wand und schritt, auf seinen Stock gestützt, den Oberkörper gebeugt und den Athem kurz hervorstoßend, den langen Flur entlang, begleitet von dem Geräusch der klappernden Hauspantoffeln.
ihn wie ein lebendes Auskunftsbureau betrachteten, das auf Alles Antwort geben müſſe. Die ergötzlichſten Anſichten wurden dabei zu Tage gefördert. Da er überdies mit allen Verhältniſſen des Hauſes vertraut war, in Abweſenheit ſeines Arbeitgebers die Geſchäfte deſſelben wahrnahm, ſo wurde er von dieſem mehr wie ein Kamerad als wie ein Untergebener betrachtet.
„Meiſter“, rief er zum Garten hinaus, „wir haben noch nicht genug Schornſteine in der Nähe, es müſſen noch einige hinzukommen. Aber ich habe es immer geſagt: die Ueberproduktion wird die Menſchen zu Grunde richten. Die großen Fabriken freſſen das Handwerk auf und zuletzt bleibt weiter nichts übrig, als Arbeiter und Fabrikanten, zweibeinige Maſchinen und Dampf¬ keſſel. Wie ſoll das enden!“
„Diesmal haben Sie Recht, Beyer“, erwiderte Johannes Timpe, während von der Hofthür her, wo die Tauben ſich vor dem Großvater verſammelt hatten, die alte Litanei des Greiſes ertönte:
„Ja, ja, das waren noch andere Zeiten . . . damals! Das Handwerk hatte einen goldenen Boden . . . Die Schorn¬ ſteine müſſen geſtürzt werden, denn ſie verpeſten die Luft; aber die Handwerker haben ſelbſt daran Schuld. Sie ſollten ihre Söhne nicht Kaufleute werden laſſen, die nur noch ſpekuliren und nicht arbeiten wollen“.
Er hatte ſeinem Ingrimm wieder einmal Luft gemacht, drehte ſich um, faßte nach der Wand und ſchritt, auf ſeinen Stock geſtützt, den Oberkörper gebeugt und den Athem kurz hervorſtoßend, den langen Flur entlang, begleitet von dem Geräuſch der klappernden Hauspantoffeln.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="30"/>
ihn wie ein lebendes Auskunftsbureau betrachteten, das auf<lb/>
Alles Antwort geben müſſe. Die ergötzlichſten Anſichten<lb/>
wurden dabei zu Tage gefördert. Da er überdies mit allen<lb/>
Verhältniſſen des Hauſes vertraut war, in Abweſenheit ſeines<lb/>
Arbeitgebers die Geſchäfte deſſelben wahrnahm, ſo wurde er<lb/>
von dieſem mehr wie ein Kamerad als wie ein Untergebener<lb/>
betrachtet.</p><lb/><p>„Meiſter“, rief er zum Garten hinaus, „wir haben noch<lb/>
nicht genug Schornſteine in der Nähe, es müſſen noch einige<lb/>
hinzukommen. Aber ich habe es immer geſagt: die Ueberproduktion<lb/>
wird die Menſchen zu Grunde richten. Die großen Fabriken freſſen<lb/>
das Handwerk auf und zuletzt bleibt weiter nichts übrig, als<lb/>
Arbeiter und Fabrikanten, zweibeinige Maſchinen und Dampf¬<lb/>
keſſel. Wie ſoll das enden!“</p><lb/><p>„Diesmal haben Sie Recht, Beyer“, erwiderte Johannes<lb/>
Timpe, während von der Hofthür her, wo die Tauben ſich<lb/>
vor dem Großvater verſammelt hatten, die alte Litanei des<lb/>
Greiſes ertönte:</p><lb/><p>„Ja, ja, das waren noch andere Zeiten . . . damals!<lb/>
Das Handwerk hatte einen goldenen Boden . . . Die Schorn¬<lb/>ſteine müſſen geſtürzt werden, denn ſie verpeſten die Luft;<lb/>
aber die Handwerker haben ſelbſt daran Schuld. Sie ſollten<lb/>
ihre Söhne nicht Kaufleute werden laſſen, die nur noch<lb/>ſpekuliren und nicht arbeiten wollen“.</p><lb/><p>Er hatte ſeinem Ingrimm wieder einmal Luft gemacht,<lb/>
drehte ſich um, faßte nach der Wand und ſchritt, auf ſeinen<lb/>
Stock geſtützt, den Oberkörper gebeugt und den Athem kurz<lb/>
hervorſtoßend, den langen Flur entlang, begleitet von dem<lb/>
Geräuſch der klappernden Hauspantoffeln.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[30/0042]
ihn wie ein lebendes Auskunftsbureau betrachteten, das auf
Alles Antwort geben müſſe. Die ergötzlichſten Anſichten
wurden dabei zu Tage gefördert. Da er überdies mit allen
Verhältniſſen des Hauſes vertraut war, in Abweſenheit ſeines
Arbeitgebers die Geſchäfte deſſelben wahrnahm, ſo wurde er
von dieſem mehr wie ein Kamerad als wie ein Untergebener
betrachtet.
„Meiſter“, rief er zum Garten hinaus, „wir haben noch
nicht genug Schornſteine in der Nähe, es müſſen noch einige
hinzukommen. Aber ich habe es immer geſagt: die Ueberproduktion
wird die Menſchen zu Grunde richten. Die großen Fabriken freſſen
das Handwerk auf und zuletzt bleibt weiter nichts übrig, als
Arbeiter und Fabrikanten, zweibeinige Maſchinen und Dampf¬
keſſel. Wie ſoll das enden!“
„Diesmal haben Sie Recht, Beyer“, erwiderte Johannes
Timpe, während von der Hofthür her, wo die Tauben ſich
vor dem Großvater verſammelt hatten, die alte Litanei des
Greiſes ertönte:
„Ja, ja, das waren noch andere Zeiten . . . damals!
Das Handwerk hatte einen goldenen Boden . . . Die Schorn¬
ſteine müſſen geſtürzt werden, denn ſie verpeſten die Luft;
aber die Handwerker haben ſelbſt daran Schuld. Sie ſollten
ihre Söhne nicht Kaufleute werden laſſen, die nur noch
ſpekuliren und nicht arbeiten wollen“.
Er hatte ſeinem Ingrimm wieder einmal Luft gemacht,
drehte ſich um, faßte nach der Wand und ſchritt, auf ſeinen
Stock geſtützt, den Oberkörper gebeugt und den Athem kurz
hervorſtoßend, den langen Flur entlang, begleitet von dem
Geräuſch der klappernden Hauspantoffeln.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/42>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.