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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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dieselben so vermessen gewesen wären, auf dem Bäumen her¬
umzukriechen, um sich der Gefahr auszusetzen, Arme und Beine
zu brechen. Heute aber schiene es, als strebten die Eltern
danach, ihren Kindern mit bösem Beispiele voran zu gehen:

"Ja, früher, wer dachte früher an so etwas!"

Mit den Jahren hatte sich dann auch der älteste Timpe
an die Kletterlust von Vater und Sohn gewöhnt und sogar
einmal lebhaft bedauert (das geschah natürlich ganz verstohlen),
daß sein Alter und seine Blindheit es ihm nicht möglich
machten, ebenfalls von dort oben den Leuten in die "Suppen¬
terrine zu spucken."

In der Mittagsstunde des Tages, in dessen ersten Stunden
Krusemeyer und Liebegott ihre Ansichten über die Nacht¬
schwärmerei Franz Timpe's zum Besten gegeben hatten,
suchte dieser seinen Vater in dem Gärtchen auf. Er war
soeben aus dem Geschäft gekommen, und da das Essen noch
auf sich warten ließ, wollte er die Neuigkeit, die er mitgebracht
hatte, dem Alten sofort mittheilen.

Meister Timpe war bei seinen Beeten, die er eigenhändig
zu umgraben und zu besäen pflegte. Den einen Zipfel der
Schürze hoch gesteckt, die Schirmmütze etwas schräg auf die
noch wohlerhaltenen grauen Haare gerückt, stand er über seine
Schaufel gebeugt und musterte den Boden. Dieser kleinen
Beschäftigung im Garten, die ihm neben seinem Handwerk
wie eine Erholung dünkte, pflegte er in den Morgen- und
Mittagsstunden nachzugehen. Den ganzen Winter hindurch freute
er sich bereits auf den Frühling, der ihn in den Stand setzen
würde, seine Liebhaberei für Blumen und Gemüse zu
bethätigen.

dieſelben ſo vermeſſen geweſen wären, auf dem Bäumen her¬
umzukriechen, um ſich der Gefahr auszuſetzen, Arme und Beine
zu brechen. Heute aber ſchiene es, als ſtrebten die Eltern
danach, ihren Kindern mit böſem Beiſpiele voran zu gehen:

„Ja, früher, wer dachte früher an ſo etwas!“

Mit den Jahren hatte ſich dann auch der älteſte Timpe
an die Kletterluſt von Vater und Sohn gewöhnt und ſogar
einmal lebhaft bedauert (das geſchah natürlich ganz verſtohlen),
daß ſein Alter und ſeine Blindheit es ihm nicht möglich
machten, ebenfalls von dort oben den Leuten in die „Suppen¬
terrine zu ſpucken.“

In der Mittagsſtunde des Tages, in deſſen erſten Stunden
Kruſemeyer und Liebegott ihre Anſichten über die Nacht¬
ſchwärmerei Franz Timpe's zum Beſten gegeben hatten,
ſuchte dieſer ſeinen Vater in dem Gärtchen auf. Er war
ſoeben aus dem Geſchäft gekommen, und da das Eſſen noch
auf ſich warten ließ, wollte er die Neuigkeit, die er mitgebracht
hatte, dem Alten ſofort mittheilen.

Meiſter Timpe war bei ſeinen Beeten, die er eigenhändig
zu umgraben und zu beſäen pflegte. Den einen Zipfel der
Schürze hoch geſteckt, die Schirmmütze etwas ſchräg auf die
noch wohlerhaltenen grauen Haare gerückt, ſtand er über ſeine
Schaufel gebeugt und muſterte den Boden. Dieſer kleinen
Beſchäftigung im Garten, die ihm neben ſeinem Handwerk
wie eine Erholung dünkte, pflegte er in den Morgen- und
Mittagsſtunden nachzugehen. Den ganzen Winter hindurch freute
er ſich bereits auf den Frühling, der ihn in den Stand ſetzen
würde, ſeine Liebhaberei für Blumen und Gemüſe zu
bethätigen.

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[26/0038] dieſelben ſo vermeſſen geweſen wären, auf dem Bäumen her¬ umzukriechen, um ſich der Gefahr auszuſetzen, Arme und Beine zu brechen. Heute aber ſchiene es, als ſtrebten die Eltern danach, ihren Kindern mit böſem Beiſpiele voran zu gehen: „Ja, früher, wer dachte früher an ſo etwas!“ Mit den Jahren hatte ſich dann auch der älteſte Timpe an die Kletterluſt von Vater und Sohn gewöhnt und ſogar einmal lebhaft bedauert (das geſchah natürlich ganz verſtohlen), daß ſein Alter und ſeine Blindheit es ihm nicht möglich machten, ebenfalls von dort oben den Leuten in die „Suppen¬ terrine zu ſpucken.“ In der Mittagsſtunde des Tages, in deſſen erſten Stunden Kruſemeyer und Liebegott ihre Anſichten über die Nacht¬ ſchwärmerei Franz Timpe's zum Beſten gegeben hatten, ſuchte dieſer ſeinen Vater in dem Gärtchen auf. Er war ſoeben aus dem Geſchäft gekommen, und da das Eſſen noch auf ſich warten ließ, wollte er die Neuigkeit, die er mitgebracht hatte, dem Alten ſofort mittheilen. Meiſter Timpe war bei ſeinen Beeten, die er eigenhändig zu umgraben und zu beſäen pflegte. Den einen Zipfel der Schürze hoch geſteckt, die Schirmmütze etwas ſchräg auf die noch wohlerhaltenen grauen Haare gerückt, ſtand er über ſeine Schaufel gebeugt und muſterte den Boden. Dieſer kleinen Beſchäftigung im Garten, die ihm neben ſeinem Handwerk wie eine Erholung dünkte, pflegte er in den Morgen- und Mittagsſtunden nachzugehen. Den ganzen Winter hindurch freute er ſich bereits auf den Frühling, der ihn in den Stand ſetzen würde, ſeine Liebhaberei für Blumen und Gemüſe zu bethätigen.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/38>, abgerufen am 24.11.2024.