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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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dünne Schneedecke verhüllte den Erdboden. Der Niedergang
seines Geschäfts hatte ihm selbst die Freude an seinen Beeten
und Blumen verdorben. Ueberall im Gärtchen konnte man
seine liebevolle Hand vermissen. Das Holzgitter des wilden
Weines an der Mauer zeigte beschädigte Stellen, die
Sträucher waren niedergetreten und verwildert, Blumentöpfe
lagen umher und die kleine Laube, in welcher der Schmutz sich
angehäuft hatte, gewährte einen traurigen Anblick. Wie oft
hatten sie dort gesessen, der Großvater, Karoline, er und sein
Sohn -- an den herrlichen Sommerabenden, wenn die
Lindenblüthen zur Erde fielen und der Duft der Rosen die
Luft durchwürzte. Je länger er nach der Ecke blickte, je leb¬
hafter wurde seine Phantasie. Leuchtete da nicht die
Haube seiner Frau, tauchte dort nicht das fahle Gesicht
Gottfried Timpe's auf, wie es sich jetzt empor hob,
um die stumpfen Augen zu zeigen? Und jetzt sah er
sie mitten durch den Garten schreiten, die schlanke, bieg¬
same Gestalt seines Einzigen! Plötzlich ertönte gellend
die Fabrikpfeife, denn es war zwölf Uhr. Eine weiße
Dampfwolke wirbelte auf, schlug in den Garten und husch,
husch! war der ganze Spuk vorüber. Dafür gewann die
Wirklichkeit wieder die Oberhand. Timpe ballte jetzt die
Faust und verzerrte das Gesicht, als stände sein Todfeind
ihm gegenüber. "Und doch ist es wahr," schrie er laut, daß
seine Stimme unheimlich im weiten Raume wiederhallte,
"die Schornsteine müssen gestürzt werden, denn sie verpesten
die Luft! Ich wollte, man würde mit dem da drüben zuerst
den Anfang machen!"

Dieser Ausbruch einer erneuten Wuth brachte ihn wieder
auf andere Gedanken. Waren das doch dieselben Worte, die

dünne Schneedecke verhüllte den Erdboden. Der Niedergang
ſeines Geſchäfts hatte ihm ſelbſt die Freude an ſeinen Beeten
und Blumen verdorben. Ueberall im Gärtchen konnte man
ſeine liebevolle Hand vermiſſen. Das Holzgitter des wilden
Weines an der Mauer zeigte beſchädigte Stellen, die
Sträucher waren niedergetreten und verwildert, Blumentöpfe
lagen umher und die kleine Laube, in welcher der Schmutz ſich
angehäuft hatte, gewährte einen traurigen Anblick. Wie oft
hatten ſie dort geſeſſen, der Großvater, Karoline, er und ſein
Sohn — an den herrlichen Sommerabenden, wenn die
Lindenblüthen zur Erde fielen und der Duft der Roſen die
Luft durchwürzte. Je länger er nach der Ecke blickte, je leb¬
hafter wurde ſeine Phantaſie. Leuchtete da nicht die
Haube ſeiner Frau, tauchte dort nicht das fahle Geſicht
Gottfried Timpe's auf, wie es ſich jetzt empor hob,
um die ſtumpfen Augen zu zeigen? Und jetzt ſah er
ſie mitten durch den Garten ſchreiten, die ſchlanke, bieg¬
ſame Geſtalt ſeines Einzigen! Plötzlich ertönte gellend
die Fabrikpfeife, denn es war zwölf Uhr. Eine weiße
Dampfwolke wirbelte auf, ſchlug in den Garten und huſch,
huſch! war der ganze Spuk vorüber. Dafür gewann die
Wirklichkeit wieder die Oberhand. Timpe ballte jetzt die
Fauſt und verzerrte das Geſicht, als ſtände ſein Todfeind
ihm gegenüber. „Und doch iſt es wahr,“ ſchrie er laut, daß
ſeine Stimme unheimlich im weiten Raume wiederhallte,
„die Schornſteine müſſen geſtürzt werden, denn ſie verpeſten
die Luft! Ich wollte, man würde mit dem da drüben zuerſt
den Anfang machen!“

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[314/0326] dünne Schneedecke verhüllte den Erdboden. Der Niedergang ſeines Geſchäfts hatte ihm ſelbſt die Freude an ſeinen Beeten und Blumen verdorben. Ueberall im Gärtchen konnte man ſeine liebevolle Hand vermiſſen. Das Holzgitter des wilden Weines an der Mauer zeigte beſchädigte Stellen, die Sträucher waren niedergetreten und verwildert, Blumentöpfe lagen umher und die kleine Laube, in welcher der Schmutz ſich angehäuft hatte, gewährte einen traurigen Anblick. Wie oft hatten ſie dort geſeſſen, der Großvater, Karoline, er und ſein Sohn — an den herrlichen Sommerabenden, wenn die Lindenblüthen zur Erde fielen und der Duft der Roſen die Luft durchwürzte. Je länger er nach der Ecke blickte, je leb¬ hafter wurde ſeine Phantaſie. Leuchtete da nicht die Haube ſeiner Frau, tauchte dort nicht das fahle Geſicht Gottfried Timpe's auf, wie es ſich jetzt empor hob, um die ſtumpfen Augen zu zeigen? Und jetzt ſah er ſie mitten durch den Garten ſchreiten, die ſchlanke, bieg¬ ſame Geſtalt ſeines Einzigen! Plötzlich ertönte gellend die Fabrikpfeife, denn es war zwölf Uhr. Eine weiße Dampfwolke wirbelte auf, ſchlug in den Garten und huſch, huſch! war der ganze Spuk vorüber. Dafür gewann die Wirklichkeit wieder die Oberhand. Timpe ballte jetzt die Fauſt und verzerrte das Geſicht, als ſtände ſein Todfeind ihm gegenüber. „Und doch iſt es wahr,“ ſchrie er laut, daß ſeine Stimme unheimlich im weiten Raume wiederhallte, „die Schornſteine müſſen geſtürzt werden, denn ſie verpeſten die Luft! Ich wollte, man würde mit dem da drüben zuerſt den Anfang machen!“ Dieſer Ausbruch einer erneuten Wuth brachte ihn wieder auf andere Gedanken. Waren das doch dieſelben Worte, die

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/326>, abgerufen am 25.11.2024.