Seit der Abwicklung dieses Geschäfts konnte man Timpe mit einem Dachs vergleichen, der Tage lang in seinem Bau hockt und nur durch den Hunger getrieben wird, ihn zu verlassen. Er beschränkte sich jetzt nur noch ganz auf die große Werkstatt und seine Arbeitsstube, die zugleich sein Schlafzimmer war. Die "gute Stube" hatte er seit Monaten nicht gesehen und das Wohnzimmer betrat er nur in Ausnahmefällen. Er fürchtete sich, durch ihm lieb ge¬ wordene Gegenstände an den Großvater und Karoline erinnert zu werden. Die Läden, die nach dem Winkel vor dem Hause hinausgingen, wurden mit Ausnahme des einen halben, der zum Fenster der Modell- und Schlafstube gehörte, garnicht mehr geöffnet. Die Hausthür war den ganzen Tag über geschlossen; ein mächtiger Riegel war vorgeschoben.
Timpe stand pünktlich auf, hielt seine Mahlzeiten regelmäßig und legte sich Abend für Abend um dieselbe Zeit nieder. Von früh bis spät drehte er ein und dieselbe Arbeit: Stuhlbeine für Luxusstühle, die er bereits mit Beyer zusammen gedrechselt hatte. Als das Wochen lang so fortging, merkte er, daß seine Augen schwach wurden; sie fingen an zu thränen, so daß er
XVIII. Der neue Heiland.
Seit der Abwicklung dieſes Geſchäfts konnte man Timpe mit einem Dachs vergleichen, der Tage lang in ſeinem Bau hockt und nur durch den Hunger getrieben wird, ihn zu verlaſſen. Er beſchränkte ſich jetzt nur noch ganz auf die große Werkſtatt und ſeine Arbeitsſtube, die zugleich ſein Schlafzimmer war. Die „gute Stube“ hatte er ſeit Monaten nicht geſehen und das Wohnzimmer betrat er nur in Ausnahmefällen. Er fürchtete ſich, durch ihm lieb ge¬ wordene Gegenſtände an den Großvater und Karoline erinnert zu werden. Die Läden, die nach dem Winkel vor dem Hauſe hinausgingen, wurden mit Ausnahme des einen halben, der zum Fenſter der Modell- und Schlafſtube gehörte, garnicht mehr geöffnet. Die Hausthür war den ganzen Tag über geſchloſſen; ein mächtiger Riegel war vorgeſchoben.
Timpe ſtand pünktlich auf, hielt ſeine Mahlzeiten regelmäßig und legte ſich Abend für Abend um dieſelbe Zeit nieder. Von früh bis ſpät drehte er ein und dieſelbe Arbeit: Stuhlbeine für Luxusſtühle, die er bereits mit Beyer zuſammen gedrechſelt hatte. Als das Wochen lang ſo fortging, merkte er, daß ſeine Augen ſchwach wurden; ſie fingen an zu thränen, ſo daß er
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0281"n="[269]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="1"><head><hirendition="#aq">XVIII.</hi><lb/><hirendition="#b #fr">Der neue Heiland.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">S</hi>eit der Abwicklung dieſes Geſchäfts konnte man Timpe<lb/>
mit einem Dachs vergleichen, der Tage lang in ſeinem<lb/>
Bau hockt und nur durch den Hunger getrieben wird,<lb/>
ihn zu verlaſſen. Er beſchränkte ſich jetzt nur noch<lb/>
ganz auf die große Werkſtatt und ſeine Arbeitsſtube, die<lb/>
zugleich ſein Schlafzimmer war. Die „gute Stube“ hatte er<lb/>ſeit Monaten nicht geſehen und das Wohnzimmer betrat er<lb/>
nur in Ausnahmefällen. Er fürchtete ſich, durch ihm lieb ge¬<lb/>
wordene Gegenſtände an den Großvater und Karoline erinnert<lb/>
zu werden. Die Läden, die nach dem Winkel vor dem Hauſe<lb/>
hinausgingen, wurden mit Ausnahme des einen halben, der<lb/>
zum Fenſter der Modell- und Schlafſtube gehörte, garnicht<lb/>
mehr geöffnet. Die Hausthür war den ganzen Tag über<lb/>
geſchloſſen; ein mächtiger Riegel war vorgeſchoben.</p><lb/><p>Timpe ſtand pünktlich auf, hielt ſeine Mahlzeiten regelmäßig<lb/>
und legte ſich Abend für Abend um dieſelbe Zeit nieder. Von<lb/>
früh bis ſpät drehte er ein und dieſelbe Arbeit: Stuhlbeine<lb/>
für Luxusſtühle, die er bereits mit Beyer zuſammen gedrechſelt<lb/>
hatte. Als das Wochen lang ſo fortging, merkte er, daß ſeine<lb/>
Augen ſchwach wurden; ſie fingen an zu thränen, ſo daß er<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[269]/0281]
XVIII.
Der neue Heiland.
Seit der Abwicklung dieſes Geſchäfts konnte man Timpe
mit einem Dachs vergleichen, der Tage lang in ſeinem
Bau hockt und nur durch den Hunger getrieben wird,
ihn zu verlaſſen. Er beſchränkte ſich jetzt nur noch
ganz auf die große Werkſtatt und ſeine Arbeitsſtube, die
zugleich ſein Schlafzimmer war. Die „gute Stube“ hatte er
ſeit Monaten nicht geſehen und das Wohnzimmer betrat er
nur in Ausnahmefällen. Er fürchtete ſich, durch ihm lieb ge¬
wordene Gegenſtände an den Großvater und Karoline erinnert
zu werden. Die Läden, die nach dem Winkel vor dem Hauſe
hinausgingen, wurden mit Ausnahme des einen halben, der
zum Fenſter der Modell- und Schlafſtube gehörte, garnicht
mehr geöffnet. Die Hausthür war den ganzen Tag über
geſchloſſen; ein mächtiger Riegel war vorgeſchoben.
Timpe ſtand pünktlich auf, hielt ſeine Mahlzeiten regelmäßig
und legte ſich Abend für Abend um dieſelbe Zeit nieder. Von
früh bis ſpät drehte er ein und dieſelbe Arbeit: Stuhlbeine
für Luxusſtühle, die er bereits mit Beyer zuſammen gedrechſelt
hatte. Als das Wochen lang ſo fortging, merkte er, daß ſeine
Augen ſchwach wurden; ſie fingen an zu thränen, ſo daß er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. [269]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/281>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.