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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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zwischen mir und meinem Sohne, den keine Macht der Welt
überbrücken kann, höchstens die eines --" er wollte hinzu¬
fügen "irdischen Richters", besann sich aber noch zur rechten
Zeit und schloß: "Gehen Sie, es ist alles nutzlos. Ich störe
Ihren Frieden nicht, wünsche aber auch, daß der meinige nicht
gestört werde ... ein für allemal."

Und als sie aufs Neue den Versuch machte, seinen
Starrsinn zu brechen, ließ er sie mit einem Gruß stehen und
verließ das Zimmer, so daß sie sich gezwungen sah sich zu
entfernen.

Timpe begann nun das Leben eines wahren Ein¬
siedlers zu führen. Selten verließ er das Haus.
Er scheute die Berührung mit der Außenwelt, wie
man ungefähr einen Aussätzigen fürchtet, dessen Anblick
Widerwillen erweckt. Hatte er wirklich einen geschäftlichen Gang
zu erledigen, so that er es im Schutze der Abendstunde.
Er machte diese Gänge nur mechanisch, mehr der äußersten
Nothwendigkeit gehorchend, als dem inneren Triebe folgend.
Um diese Zeit war es, als der Bursche seine Lehrzeit be¬
endet hatte. Er blieb nur noch eine Woche in der Werkstatt
und zog dann von dannen, weil er plötzlich in dem Wahne
lebte, ein Mann geworden zu sein, der große Ansprüche er¬
heben dürfe. Timpe wollte keinen Ersatz für ihn haben. Er
haßte jedes neue Gesicht und war so nervös geworden, daß
er nicht mehr die Ruhe zu finden hoffte, große Umstände mit
Jemandem zu machen. Zudem, was konnte ein Mensch bei
ihm wohl lernen? Immer noch drechselte er gewöhnliche
Holzarbeit, die ihn bereits so anekelte, daß er sie nicht mehr
sehen mochte. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn er
ganz allein an seiner Drehbank hätte stehen können. Er

zwiſchen mir und meinem Sohne, den keine Macht der Welt
überbrücken kann, höchſtens die eines —“ er wollte hinzu¬
fügen „irdiſchen Richters“, beſann ſich aber noch zur rechten
Zeit und ſchloß: „Gehen Sie, es iſt alles nutzlos. Ich ſtöre
Ihren Frieden nicht, wünſche aber auch, daß der meinige nicht
geſtört werde ... ein für allemal.“

Und als ſie aufs Neue den Verſuch machte, ſeinen
Starrſinn zu brechen, ließ er ſie mit einem Gruß ſtehen und
verließ das Zimmer, ſo daß ſie ſich gezwungen ſah ſich zu
entfernen.

Timpe begann nun das Leben eines wahren Ein¬
ſiedlers zu führen. Selten verließ er das Haus.
Er ſcheute die Berührung mit der Außenwelt, wie
man ungefähr einen Ausſätzigen fürchtet, deſſen Anblick
Widerwillen erweckt. Hatte er wirklich einen geſchäftlichen Gang
zu erledigen, ſo that er es im Schutze der Abendſtunde.
Er machte dieſe Gänge nur mechaniſch, mehr der äußerſten
Nothwendigkeit gehorchend, als dem inneren Triebe folgend.
Um dieſe Zeit war es, als der Burſche ſeine Lehrzeit be¬
endet hatte. Er blieb nur noch eine Woche in der Werkſtatt
und zog dann von dannen, weil er plötzlich in dem Wahne
lebte, ein Mann geworden zu ſein, der große Anſprüche er¬
heben dürfe. Timpe wollte keinen Erſatz für ihn haben. Er
haßte jedes neue Geſicht und war ſo nervös geworden, daß
er nicht mehr die Ruhe zu finden hoffte, große Umſtände mit
Jemandem zu machen. Zudem, was konnte ein Menſch bei
ihm wohl lernen? Immer noch drechſelte er gewöhnliche
Holzarbeit, die ihn bereits ſo anekelte, daß er ſie nicht mehr
ſehen mochte. Am liebſten wäre es ihm geweſen, wenn er
ganz allein an ſeiner Drehbank hätte ſtehen können. Er

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[261/0273] zwiſchen mir und meinem Sohne, den keine Macht der Welt überbrücken kann, höchſtens die eines —“ er wollte hinzu¬ fügen „irdiſchen Richters“, beſann ſich aber noch zur rechten Zeit und ſchloß: „Gehen Sie, es iſt alles nutzlos. Ich ſtöre Ihren Frieden nicht, wünſche aber auch, daß der meinige nicht geſtört werde ... ein für allemal.“ Und als ſie aufs Neue den Verſuch machte, ſeinen Starrſinn zu brechen, ließ er ſie mit einem Gruß ſtehen und verließ das Zimmer, ſo daß ſie ſich gezwungen ſah ſich zu entfernen. Timpe begann nun das Leben eines wahren Ein¬ ſiedlers zu führen. Selten verließ er das Haus. Er ſcheute die Berührung mit der Außenwelt, wie man ungefähr einen Ausſätzigen fürchtet, deſſen Anblick Widerwillen erweckt. Hatte er wirklich einen geſchäftlichen Gang zu erledigen, ſo that er es im Schutze der Abendſtunde. Er machte dieſe Gänge nur mechaniſch, mehr der äußerſten Nothwendigkeit gehorchend, als dem inneren Triebe folgend. Um dieſe Zeit war es, als der Burſche ſeine Lehrzeit be¬ endet hatte. Er blieb nur noch eine Woche in der Werkſtatt und zog dann von dannen, weil er plötzlich in dem Wahne lebte, ein Mann geworden zu ſein, der große Anſprüche er¬ heben dürfe. Timpe wollte keinen Erſatz für ihn haben. Er haßte jedes neue Geſicht und war ſo nervös geworden, daß er nicht mehr die Ruhe zu finden hoffte, große Umſtände mit Jemandem zu machen. Zudem, was konnte ein Menſch bei ihm wohl lernen? Immer noch drechſelte er gewöhnliche Holzarbeit, die ihn bereits ſo anekelte, daß er ſie nicht mehr ſehen mochte. Am liebſten wäre es ihm geweſen, wenn er ganz allein an ſeiner Drehbank hätte ſtehen können. Er

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/273>, abgerufen am 22.11.2024.