Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Es freut mich, daß Sie sich so gut mit Ihrem Sohne stehen.
Adieu, mein verehrtester Herr Timpe. Ich besuche Sie ein
Mal, wenn Sie erst draußen sind . . . Sehr schön da am
See."

Herr Brümmer lüftete außerordentlich höflich den Hut
und lieferte dabei den Beweis, daß sein Rückgrad nicht so
steif war, wie man allgemein behauptete. Nach einigen Schritten
rief er den Meister noch einmal zurück.

"Wissen Sie schon? Mein Haus wird nun doch von
der Stadtbahn angekauft werden müssen. Ich habe einen
Prozeß angestrengt. Man hat mir die ganze Aussicht ge¬
nommen. . . Das dulde ich nicht. O, mich macht Niemand
dumm. . ."

Nur ich, dachte Timpe. Also auch Brümmer hielt ihn
noch immer für wohlhabend. Was die Villa anbetraf, so
ließ sich allerdings Franz eine solche in Friedrichshagen bauen,
und irgend jemand hatte die Mär ausgesprengt, daß dieselbe
für Timpe senior bestimmt sei.

Die Thatsache riß die kaum vernarbte Wunde
in des Meisters Brust wieder auf. Sein einziger
Sohn ließ sich eine Sommerwohnung bauen, und er, der
ergraute Vater, mußte von früh bis spät in den Straßen
Berlins umherziehen, um für Brod zu sorgen. "Des
Vaters Segen baut den Kindern Häuser", sprach er halb laut
vor sich hin und erinnerte sich der Minute, wo er seine Hände
auf Emma's Haupt gelegt und über ihren Scheitel einen
Segen für seinen Einzigen gesprochen hatte.

Als trotz aller Bemühungen Timpe's keine Besserung in
den traurigen Verhältnissen eintrat, vermochte Frau Karoline
nicht länger zu schweigen.

Es freut mich, daß Sie ſich ſo gut mit Ihrem Sohne ſtehen.
Adieu, mein verehrteſter Herr Timpe. Ich beſuche Sie ein
Mal, wenn Sie erſt draußen ſind . . . Sehr ſchön da am
See.“

Herr Brümmer lüftete außerordentlich höflich den Hut
und lieferte dabei den Beweis, daß ſein Rückgrad nicht ſo
ſteif war, wie man allgemein behauptete. Nach einigen Schritten
rief er den Meiſter noch einmal zurück.

„Wiſſen Sie ſchon? Mein Haus wird nun doch von
der Stadtbahn angekauft werden müſſen. Ich habe einen
Prozeß angeſtrengt. Man hat mir die ganze Ausſicht ge¬
nommen. . . Das dulde ich nicht. O, mich macht Niemand
dumm. . .“

Nur ich, dachte Timpe. Alſo auch Brümmer hielt ihn
noch immer für wohlhabend. Was die Villa anbetraf, ſo
ließ ſich allerdings Franz eine ſolche in Friedrichshagen bauen,
und irgend jemand hatte die Mär ausgeſprengt, daß dieſelbe
für Timpe ſenior beſtimmt ſei.

Die Thatſache riß die kaum vernarbte Wunde
in des Meiſters Bruſt wieder auf. Sein einziger
Sohn ließ ſich eine Sommerwohnung bauen, und er, der
ergraute Vater, mußte von früh bis ſpät in den Straßen
Berlins umherziehen, um für Brod zu ſorgen. „Des
Vaters Segen baut den Kindern Häuſer“, ſprach er halb laut
vor ſich hin und erinnerte ſich der Minute, wo er ſeine Hände
auf Emma's Haupt gelegt und über ihren Scheitel einen
Segen für ſeinen Einzigen geſprochen hatte.

Als trotz aller Bemühungen Timpe's keine Beſſerung in
den traurigen Verhältniſſen eintrat, vermochte Frau Karoline
nicht länger zu ſchweigen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0246" n="234"/>
Es freut mich, daß Sie &#x017F;ich &#x017F;o gut mit Ihrem Sohne &#x017F;tehen.<lb/>
Adieu, mein verehrte&#x017F;ter Herr Timpe. Ich be&#x017F;uche Sie ein<lb/>
Mal, wenn Sie er&#x017F;t draußen &#x017F;ind . . . Sehr &#x017F;chön da am<lb/>
See.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Herr Brümmer lüftete außerordentlich höflich den Hut<lb/>
und lieferte dabei den Beweis, daß &#x017F;ein Rückgrad nicht &#x017F;o<lb/>
&#x017F;teif war, wie man allgemein behauptete. Nach einigen Schritten<lb/>
rief er den Mei&#x017F;ter noch einmal zurück.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;chon? Mein Haus wird nun doch von<lb/>
der Stadtbahn angekauft werden mü&#x017F;&#x017F;en. Ich habe einen<lb/>
Prozeß ange&#x017F;trengt. Man hat mir die ganze Aus&#x017F;icht ge¬<lb/>
nommen. . . Das dulde ich nicht. O, mich macht Niemand<lb/>
dumm. . .&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nur ich, dachte Timpe. Al&#x017F;o auch Brümmer hielt ihn<lb/>
noch immer für wohlhabend. Was die Villa anbetraf, &#x017F;o<lb/>
ließ &#x017F;ich allerdings Franz eine &#x017F;olche in Friedrichshagen bauen,<lb/>
und irgend jemand hatte die Mär ausge&#x017F;prengt, daß die&#x017F;elbe<lb/>
für Timpe &#x017F;enior be&#x017F;timmt &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Die That&#x017F;ache riß die kaum vernarbte Wunde<lb/>
in des Mei&#x017F;ters Bru&#x017F;t wieder auf. Sein einziger<lb/>
Sohn ließ &#x017F;ich eine Sommerwohnung bauen, und er, der<lb/>
ergraute Vater, mußte von früh bis &#x017F;pät in den Straßen<lb/>
Berlins umherziehen, um für Brod zu &#x017F;orgen. &#x201E;Des<lb/>
Vaters Segen baut den Kindern Häu&#x017F;er&#x201C;, &#x017F;prach er halb laut<lb/>
vor &#x017F;ich hin und erinnerte &#x017F;ich der Minute, wo er &#x017F;eine Hände<lb/>
auf Emma's Haupt gelegt und über ihren Scheitel einen<lb/>
Segen für &#x017F;einen Einzigen ge&#x017F;prochen hatte.</p><lb/>
        <p>Als trotz aller Bemühungen Timpe's keine Be&#x017F;&#x017F;erung in<lb/>
den traurigen Verhältni&#x017F;&#x017F;en eintrat, vermochte Frau Karoline<lb/>
nicht länger zu &#x017F;chweigen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0246] Es freut mich, daß Sie ſich ſo gut mit Ihrem Sohne ſtehen. Adieu, mein verehrteſter Herr Timpe. Ich beſuche Sie ein Mal, wenn Sie erſt draußen ſind . . . Sehr ſchön da am See.“ Herr Brümmer lüftete außerordentlich höflich den Hut und lieferte dabei den Beweis, daß ſein Rückgrad nicht ſo ſteif war, wie man allgemein behauptete. Nach einigen Schritten rief er den Meiſter noch einmal zurück. „Wiſſen Sie ſchon? Mein Haus wird nun doch von der Stadtbahn angekauft werden müſſen. Ich habe einen Prozeß angeſtrengt. Man hat mir die ganze Ausſicht ge¬ nommen. . . Das dulde ich nicht. O, mich macht Niemand dumm. . .“ Nur ich, dachte Timpe. Alſo auch Brümmer hielt ihn noch immer für wohlhabend. Was die Villa anbetraf, ſo ließ ſich allerdings Franz eine ſolche in Friedrichshagen bauen, und irgend jemand hatte die Mär ausgeſprengt, daß dieſelbe für Timpe ſenior beſtimmt ſei. Die Thatſache riß die kaum vernarbte Wunde in des Meiſters Bruſt wieder auf. Sein einziger Sohn ließ ſich eine Sommerwohnung bauen, und er, der ergraute Vater, mußte von früh bis ſpät in den Straßen Berlins umherziehen, um für Brod zu ſorgen. „Des Vaters Segen baut den Kindern Häuſer“, ſprach er halb laut vor ſich hin und erinnerte ſich der Minute, wo er ſeine Hände auf Emma's Haupt gelegt und über ihren Scheitel einen Segen für ſeinen Einzigen geſprochen hatte. Als trotz aller Bemühungen Timpe's keine Beſſerung in den traurigen Verhältniſſen eintrat, vermochte Frau Karoline nicht länger zu ſchweigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/246
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/246>, abgerufen am 22.11.2024.