nicht wahr?" sagte er mit bittendem Augenaufschlag. "O, wenn Sie wüßten, wie ganz anders es ist, in einem Vater den gebildeten Mann zu sehen! Vielleicht verdammt man mich, daß ich mich fast ganz von meinen Eltern losgesagt habe, aber können die Kinder dafür, wenn die Verhältnisse, unter denen sie geboren wurden, nicht gleichen Schritt mit ihrer Erziehung und ihrer Bildung gehalten haben?" . . . O, Herr Urban, wenn Sie in mein Herz blicken könnten . . ."
Der kleine Chef fand diese Scene so rührend, daß er das Gesicht abwandte, das rothseidene Taschentuch hervorzog, und dasselbe dem Auge zuführte. Als er sich wieder um¬ drehte, sagte er voller Theilnahme:
"Herr Timpe, Sie sind ein Ehrenmann -- seien Sie versichert, es giebt in der ganzen Welt keinen Menschen, der mehr mit Ihnen fühlte als ich. Nicht Sie sind zu ver¬ urtheilen, sondern Ihr Vater, der hartnäckig alte Prinzipien vertritt. Das kommt davon, wenn man solche Jammersteine, wie die da drüben, mehr liebt, als Ruhe und Frieden. Wie glücklich könnten wir Alle mit einander leben, mein lieber Timpe . . . O, man sollte es nicht glauben, aber es ist so: die Welt steckt voller Bösewichte."
Nach zehn Minuten hatten Beide sich über diese An¬ gelegenheit beruhigt und besprachen dann rein geschäftliche Dinge. Wenn Urban Jemandem eine Freude bereitete, so verlangte er regelmäßig einen Gegendienst dafür; denn eine der vielen Devisen, die seinen praktischen Standpunkt beweisen sollten, lautete: Eine Hand wäscht die andere.
Es handelte sich abermals um einige komplizirte Modelle Meister Timpe's, die er sehr zu besitzen wünschte. Natürlich nur, um sich auf eine halbe Stunde "an ihrem Anblick" zu
nicht wahr?“ ſagte er mit bittendem Augenaufſchlag. „O, wenn Sie wüßten, wie ganz anders es iſt, in einem Vater den gebildeten Mann zu ſehen! Vielleicht verdammt man mich, daß ich mich faſt ganz von meinen Eltern losgeſagt habe, aber können die Kinder dafür, wenn die Verhältniſſe, unter denen ſie geboren wurden, nicht gleichen Schritt mit ihrer Erziehung und ihrer Bildung gehalten haben?“ . . . O, Herr Urban, wenn Sie in mein Herz blicken könnten . . .“
Der kleine Chef fand dieſe Scene ſo rührend, daß er das Geſicht abwandte, das rothſeidene Taſchentuch hervorzog, und daſſelbe dem Auge zuführte. Als er ſich wieder um¬ drehte, ſagte er voller Theilnahme:
„Herr Timpe, Sie ſind ein Ehrenmann — ſeien Sie verſichert, es giebt in der ganzen Welt keinen Menſchen, der mehr mit Ihnen fühlte als ich. Nicht Sie ſind zu ver¬ urtheilen, ſondern Ihr Vater, der hartnäckig alte Prinzipien vertritt. Das kommt davon, wenn man ſolche Jammerſteine, wie die da drüben, mehr liebt, als Ruhe und Frieden. Wie glücklich könnten wir Alle mit einander leben, mein lieber Timpe . . . O, man ſollte es nicht glauben, aber es iſt ſo: die Welt ſteckt voller Böſewichte.“
Nach zehn Minuten hatten Beide ſich über dieſe An¬ gelegenheit beruhigt und beſprachen dann rein geſchäftliche Dinge. Wenn Urban Jemandem eine Freude bereitete, ſo verlangte er regelmäßig einen Gegendienſt dafür; denn eine der vielen Deviſen, die ſeinen praktiſchen Standpunkt beweiſen ſollten, lautete: Eine Hand wäſcht die andere.
Es handelte ſich abermals um einige komplizirte Modelle Meiſter Timpe's, die er ſehr zu beſitzen wünſchte. Natürlich nur, um ſich auf eine halbe Stunde „an ihrem Anblick“ zu
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nicht wahr?“ ſagte er mit bittendem Augenaufſchlag. „O,
wenn Sie wüßten, wie ganz anders es iſt, in einem Vater
den gebildeten Mann zu ſehen! Vielleicht verdammt man
mich, daß ich mich faſt ganz von meinen Eltern losgeſagt
habe, aber können die Kinder dafür, wenn die Verhältniſſe,
unter denen ſie geboren wurden, nicht gleichen Schritt mit
ihrer Erziehung und ihrer Bildung gehalten haben?“ . . .
O, Herr Urban, wenn Sie in mein Herz blicken könnten . . .“
Der kleine Chef fand dieſe Scene ſo rührend, daß er
das Geſicht abwandte, das rothſeidene Taſchentuch hervorzog,
und daſſelbe dem Auge zuführte. Als er ſich wieder um¬
drehte, ſagte er voller Theilnahme:
„Herr Timpe, Sie ſind ein Ehrenmann — ſeien Sie
verſichert, es giebt in der ganzen Welt keinen Menſchen, der
mehr mit Ihnen fühlte als ich. Nicht Sie ſind zu ver¬
urtheilen, ſondern Ihr Vater, der hartnäckig alte Prinzipien
vertritt. Das kommt davon, wenn man ſolche Jammerſteine,
wie die da drüben, mehr liebt, als Ruhe und Frieden. Wie
glücklich könnten wir Alle mit einander leben, mein lieber
Timpe . . . O, man ſollte es nicht glauben, aber es iſt ſo:
die Welt ſteckt voller Böſewichte.“
Nach zehn Minuten hatten Beide ſich über dieſe An¬
gelegenheit beruhigt und beſprachen dann rein geſchäftliche
Dinge. Wenn Urban Jemandem eine Freude bereitete, ſo
verlangte er regelmäßig einen Gegendienſt dafür; denn eine
der vielen Deviſen, die ſeinen praktiſchen Standpunkt beweiſen
ſollten, lautete: Eine Hand wäſcht die andere.
Es handelte ſich abermals um einige komplizirte Modelle
Meiſter Timpe's, die er ſehr zu beſitzen wünſchte. Natürlich
nur, um ſich auf eine halbe Stunde „an ihrem Anblick“ zu
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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/204>, abgerufen am 16.02.2025.
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