Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Urban bot ihm eine Cigarre an, die er selbst nur in Aus¬
nahmefällen zu rauchen pflegte, reichte ihm selbst, auf den
Zehen stehend, das Feuer zu, was sich sehr komisch ausnahm,
drückte ihm warm die Hand und glaubte der Versicherung
seiner Hochachtung nicht besser Ausdruck geben zu können, als
daß er ihn mehrmals hintereinander mit "mein junger Freund"
anredete. So erneuerte man denn das Bündniß und trennte
sich als die alten Ehrenmänner.

Die Züge Urban's veränderten sich erst, nachdem die Thür
sich geschlossen hatte. Aus dem liebenswürdigen Chef entpuppte
sich der gefesselte Zwerg, der seine Ohnmacht fühlt und die
berechtigte Wuth nicht hervorkehren darf. Oh, das hätte ihm
noch gefehlt, daß dieser große Schlingel sich jetzt aus dem Staube
machte, nachdem er ihn in seine Geschäftskniffe eingeweiht hatte;
und nur zu dem Zwecke, um den halbtodten Gegner jenseits
der Mauer wieder lebendig zu machen. Wenn dann Vater und
Sohn ans Aussprechen kämen, würden schöne Sachen zum
Vorschein kommen, deren Folgen er allein zu tragen hätte.
Und überdies das schöne Geld seiner Stieftochter, das er
durch die dereinstige Kompagnieschaft ihres zukünftigen Mannes
für sein Geschäft zu kapern gedachte. Er hätte im Bewußt¬
sein dieses doppelten Verlustes keine Nacht ruhig schlafen können
und sich das Leben bis an sein Ende verbittert.

Franz zeigte heute große Unlust zum Arbeiten; er kam
aus dem Gähnen nicht heraus. Seine ganze Beschäftigung
bestand darin, nach der Straße hinunterzublicken, seine Nägel
zu putzen und an den Spitzen seines Schnurrbartes zu drehen,
der jetzt in üppiger Fülle sein Gesicht zierte. Ueberhaupt
sah er sehr blaß und abgespannt aus. Die Augen erschienen
trübe, als hätte er die Nacht wenig geschlafen.

Urban bot ihm eine Cigarre an, die er ſelbſt nur in Aus¬
nahmefällen zu rauchen pflegte, reichte ihm ſelbſt, auf den
Zehen ſtehend, das Feuer zu, was ſich ſehr komiſch ausnahm,
drückte ihm warm die Hand und glaubte der Verſicherung
ſeiner Hochachtung nicht beſſer Ausdruck geben zu können, als
daß er ihn mehrmals hintereinander mit „mein junger Freund“
anredete. So erneuerte man denn das Bündniß und trennte
ſich als die alten Ehrenmänner.

Die Züge Urban's veränderten ſich erſt, nachdem die Thür
ſich geſchloſſen hatte. Aus dem liebenswürdigen Chef entpuppte
ſich der gefeſſelte Zwerg, der ſeine Ohnmacht fühlt und die
berechtigte Wuth nicht hervorkehren darf. Oh, das hätte ihm
noch gefehlt, daß dieſer große Schlingel ſich jetzt aus dem Staube
machte, nachdem er ihn in ſeine Geſchäftskniffe eingeweiht hatte;
und nur zu dem Zwecke, um den halbtodten Gegner jenſeits
der Mauer wieder lebendig zu machen. Wenn dann Vater und
Sohn ans Ausſprechen kämen, würden ſchöne Sachen zum
Vorſchein kommen, deren Folgen er allein zu tragen hätte.
Und überdies das ſchöne Geld ſeiner Stieftochter, das er
durch die dereinſtige Kompagnieſchaft ihres zukünftigen Mannes
für ſein Geſchäft zu kapern gedachte. Er hätte im Bewußt¬
ſein dieſes doppelten Verluſtes keine Nacht ruhig ſchlafen können
und ſich das Leben bis an ſein Ende verbittert.

Franz zeigte heute große Unluſt zum Arbeiten; er kam
aus dem Gähnen nicht heraus. Seine ganze Beſchäftigung
beſtand darin, nach der Straße hinunterzublicken, ſeine Nägel
zu putzen und an den Spitzen ſeines Schnurrbartes zu drehen,
der jetzt in üppiger Fülle ſein Geſicht zierte. Ueberhaupt
ſah er ſehr blaß und abgeſpannt aus. Die Augen erſchienen
trübe, als hätte er die Nacht wenig geſchlafen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0200" n="188"/>
Urban bot ihm eine Cigarre an, die er &#x017F;elb&#x017F;t nur in Aus¬<lb/>
nahmefällen zu rauchen pflegte, reichte ihm &#x017F;elb&#x017F;t, auf den<lb/>
Zehen &#x017F;tehend, das Feuer zu, was &#x017F;ich &#x017F;ehr komi&#x017F;ch ausnahm,<lb/>
drückte ihm warm die Hand und glaubte der Ver&#x017F;icherung<lb/>
&#x017F;einer Hochachtung nicht be&#x017F;&#x017F;er Ausdruck geben zu können, als<lb/>
daß er ihn mehrmals hintereinander mit &#x201E;mein junger Freund&#x201C;<lb/>
anredete. So erneuerte man denn das Bündniß und trennte<lb/>
&#x017F;ich als die alten Ehrenmänner.</p><lb/>
        <p>Die Züge Urban's veränderten &#x017F;ich er&#x017F;t, nachdem die Thür<lb/>
&#x017F;ich ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatte. Aus dem liebenswürdigen Chef entpuppte<lb/>
&#x017F;ich der gefe&#x017F;&#x017F;elte Zwerg, der &#x017F;eine Ohnmacht fühlt und die<lb/>
berechtigte Wuth nicht hervorkehren darf. Oh, das hätte ihm<lb/>
noch gefehlt, daß die&#x017F;er große Schlingel &#x017F;ich jetzt aus dem Staube<lb/>
machte, nachdem er ihn in &#x017F;eine Ge&#x017F;chäftskniffe eingeweiht hatte;<lb/>
und nur zu dem Zwecke, um den halbtodten Gegner jen&#x017F;eits<lb/>
der Mauer wieder lebendig zu machen. Wenn dann Vater und<lb/>
Sohn ans Aus&#x017F;prechen kämen, würden &#x017F;chöne Sachen zum<lb/>
Vor&#x017F;chein kommen, deren Folgen er allein zu tragen hätte.<lb/>
Und überdies das &#x017F;chöne Geld &#x017F;einer Stieftochter, das er<lb/>
durch die derein&#x017F;tige Kompagnie&#x017F;chaft ihres zukünftigen Mannes<lb/>
für &#x017F;ein Ge&#x017F;chäft zu kapern gedachte. Er hätte im Bewußt¬<lb/>
&#x017F;ein die&#x017F;es doppelten Verlu&#x017F;tes keine Nacht ruhig &#x017F;chlafen können<lb/>
und &#x017F;ich das Leben bis an &#x017F;ein Ende verbittert.</p><lb/>
        <p>Franz zeigte heute große Unlu&#x017F;t zum Arbeiten; er kam<lb/>
aus dem Gähnen nicht heraus. Seine ganze Be&#x017F;chäftigung<lb/>
be&#x017F;tand darin, nach der Straße hinunterzublicken, &#x017F;eine Nägel<lb/>
zu putzen und an den Spitzen &#x017F;eines Schnurrbartes zu drehen,<lb/>
der jetzt in üppiger Fülle &#x017F;ein Ge&#x017F;icht zierte. Ueberhaupt<lb/>
&#x017F;ah er &#x017F;ehr blaß und abge&#x017F;pannt aus. Die Augen er&#x017F;chienen<lb/>
trübe, als hätte er die Nacht wenig ge&#x017F;chlafen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0200] Urban bot ihm eine Cigarre an, die er ſelbſt nur in Aus¬ nahmefällen zu rauchen pflegte, reichte ihm ſelbſt, auf den Zehen ſtehend, das Feuer zu, was ſich ſehr komiſch ausnahm, drückte ihm warm die Hand und glaubte der Verſicherung ſeiner Hochachtung nicht beſſer Ausdruck geben zu können, als daß er ihn mehrmals hintereinander mit „mein junger Freund“ anredete. So erneuerte man denn das Bündniß und trennte ſich als die alten Ehrenmänner. Die Züge Urban's veränderten ſich erſt, nachdem die Thür ſich geſchloſſen hatte. Aus dem liebenswürdigen Chef entpuppte ſich der gefeſſelte Zwerg, der ſeine Ohnmacht fühlt und die berechtigte Wuth nicht hervorkehren darf. Oh, das hätte ihm noch gefehlt, daß dieſer große Schlingel ſich jetzt aus dem Staube machte, nachdem er ihn in ſeine Geſchäftskniffe eingeweiht hatte; und nur zu dem Zwecke, um den halbtodten Gegner jenſeits der Mauer wieder lebendig zu machen. Wenn dann Vater und Sohn ans Ausſprechen kämen, würden ſchöne Sachen zum Vorſchein kommen, deren Folgen er allein zu tragen hätte. Und überdies das ſchöne Geld ſeiner Stieftochter, das er durch die dereinſtige Kompagnieſchaft ihres zukünftigen Mannes für ſein Geſchäft zu kapern gedachte. Er hätte im Bewußt¬ ſein dieſes doppelten Verluſtes keine Nacht ruhig ſchlafen können und ſich das Leben bis an ſein Ende verbittert. Franz zeigte heute große Unluſt zum Arbeiten; er kam aus dem Gähnen nicht heraus. Seine ganze Beſchäftigung beſtand darin, nach der Straße hinunterzublicken, ſeine Nägel zu putzen und an den Spitzen ſeines Schnurrbartes zu drehen, der jetzt in üppiger Fülle ſein Geſicht zierte. Ueberhaupt ſah er ſehr blaß und abgeſpannt aus. Die Augen erſchienen trübe, als hätte er die Nacht wenig geſchlafen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/200
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/200>, abgerufen am 25.11.2024.