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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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den Erinnerungen an allerlei grausige Dinge erfüllt, die in
einsamen Nachtstunden erst recht ihre Wirkung thaten.

"Ich erreiche es doch noch", sagte er mit Bezug auf die
größte Zukunftsthat seines Lebens.

Liebegott schüttelte das schwere Haupt und erwiderte:

"Ich glaube es nicht. Hier in dieser Gegend, wo jeder
darauf wartet, daß man ihm etwas ins Haus trage! Laß
den Gedanken daran fallen. Und bedenke nur: Wenn der
Kerl ausrückt und Du laufen müßtest, verstehst Du? Ich sage
laufen -- --"

Alexander Liebegott beendete den Satz nicht. Es war
ihm schon entsetzlich genug, nur an die Möglichkeit einer
schnellen Fortbewegung zu denken. Er starrte vielmehr vor
sich hin, lächelte dann im Gefühle seiner Sicherheit und klopfte
leise mit der flachen Hand auf den wohlgenährten Bauch,
während Krusemeyer listig die Augen zusammenkniff und sagte:
"He, he, dann rufe ich Dich, Du fängst ihn gewiß."

"Keine Anspielung", brummte Liebegott mit komischem
Ernst.

Die Annäherung Franz Timpe's gab dem Gespräch eine
andere Wendung. Das laute Krähen eines Hahnes ließ sich
in der Nachbarschaft vernehmen. Aus der Ferne klang schwach
die Antwort eines zweiten und dritten herüber.

"Recht so, melde Dich, alter Junge", begann Kruse¬
meyer wieder. "Die Stunde muß angezeigt werden, in
welcher der hoffnungsvolle Sohn nach Hause kommt . . . Sage
mal, Liebegott, hast Du es auch so in Deiner Jugend ge¬
trieben, he?"

"Wäre so etwas gewesen, Krusemeyer! Birke und Weide
hätten einen Walzer auf meinem Buckel aufgeführt, und mein

den Erinnerungen an allerlei grauſige Dinge erfüllt, die in
einſamen Nachtſtunden erſt recht ihre Wirkung thaten.

„Ich erreiche es doch noch“, ſagte er mit Bezug auf die
größte Zukunftsthat ſeines Lebens.

Liebegott ſchüttelte das ſchwere Haupt und erwiderte:

„Ich glaube es nicht. Hier in dieſer Gegend, wo jeder
darauf wartet, daß man ihm etwas ins Haus trage! Laß
den Gedanken daran fallen. Und bedenke nur: Wenn der
Kerl ausrückt und Du laufen müßteſt, verſtehſt Du? Ich ſage
laufen — —“

Alexander Liebegott beendete den Satz nicht. Es war
ihm ſchon entſetzlich genug, nur an die Möglichkeit einer
ſchnellen Fortbewegung zu denken. Er ſtarrte vielmehr vor
ſich hin, lächelte dann im Gefühle ſeiner Sicherheit und klopfte
leiſe mit der flachen Hand auf den wohlgenährten Bauch,
während Kruſemeyer liſtig die Augen zuſammenkniff und ſagte:
„He, he, dann rufe ich Dich, Du fängſt ihn gewiß.“

„Keine Anſpielung“, brummte Liebegott mit komiſchem
Ernſt.

Die Annäherung Franz Timpe's gab dem Geſpräch eine
andere Wendung. Das laute Krähen eines Hahnes ließ ſich
in der Nachbarſchaft vernehmen. Aus der Ferne klang ſchwach
die Antwort eines zweiten und dritten herüber.

„Recht ſo, melde Dich, alter Junge“, begann Kruſe¬
meyer wieder. „Die Stunde muß angezeigt werden, in
welcher der hoffnungsvolle Sohn nach Hauſe kommt . . . Sage
mal, Liebegott, haſt Du es auch ſo in Deiner Jugend ge¬
trieben, he?“

„Wäre ſo etwas geweſen, Kruſemeyer! Birke und Weide
hätten einen Walzer auf meinem Buckel aufgeführt, und mein

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[7/0019] den Erinnerungen an allerlei grauſige Dinge erfüllt, die in einſamen Nachtſtunden erſt recht ihre Wirkung thaten. „Ich erreiche es doch noch“, ſagte er mit Bezug auf die größte Zukunftsthat ſeines Lebens. Liebegott ſchüttelte das ſchwere Haupt und erwiderte: „Ich glaube es nicht. Hier in dieſer Gegend, wo jeder darauf wartet, daß man ihm etwas ins Haus trage! Laß den Gedanken daran fallen. Und bedenke nur: Wenn der Kerl ausrückt und Du laufen müßteſt, verſtehſt Du? Ich ſage laufen — —“ Alexander Liebegott beendete den Satz nicht. Es war ihm ſchon entſetzlich genug, nur an die Möglichkeit einer ſchnellen Fortbewegung zu denken. Er ſtarrte vielmehr vor ſich hin, lächelte dann im Gefühle ſeiner Sicherheit und klopfte leiſe mit der flachen Hand auf den wohlgenährten Bauch, während Kruſemeyer liſtig die Augen zuſammenkniff und ſagte: „He, he, dann rufe ich Dich, Du fängſt ihn gewiß.“ „Keine Anſpielung“, brummte Liebegott mit komiſchem Ernſt. Die Annäherung Franz Timpe's gab dem Geſpräch eine andere Wendung. Das laute Krähen eines Hahnes ließ ſich in der Nachbarſchaft vernehmen. Aus der Ferne klang ſchwach die Antwort eines zweiten und dritten herüber. „Recht ſo, melde Dich, alter Junge“, begann Kruſe¬ meyer wieder. „Die Stunde muß angezeigt werden, in welcher der hoffnungsvolle Sohn nach Hauſe kommt . . . Sage mal, Liebegott, haſt Du es auch ſo in Deiner Jugend ge¬ trieben, he?“ „Wäre ſo etwas geweſen, Kruſemeyer! Birke und Weide hätten einen Walzer auf meinem Buckel aufgeführt, und mein

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/19>, abgerufen am 27.04.2024.