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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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genossen und beim Publikum allgemein beliebt waren. Die
Autorität, die sie in den Augen ihrer Kollegen besaßen, war
bereits eine derartige, daß ein Streit unter ihnen mit dem
vielbedeutenden Schlußworten: "So sagt Krusemeyer", oder:
"So sagt Liebegott", zu Gunsten des diese Behauptung Auf¬
stellenden als beendet betrachtet werden durfte.

Wenn die Ansichten der Beiden zeitweilig auseinander¬
gingen, so geschah es über die Frage nach dem höchsten Ziele
ihrer Wünsche. Liebegott hegte nur den einen Wunsch:
während seines nächtlichen Dienstes von Niemandem belästigt
zu werden, um seine theure Haut nicht zu Markte tragen zu
brauchen; Krusemeyer's höchster Wunsch ging dahin: durch
eine seltene Heldenthat sich diejenigen Lorbeeren zu erwerben,
die unbedingt nöthig waren, um seine soziale Stellung nach
Kräften aufzubessern. Er hatte es besonders auf nächtliche Ein¬
brüche abgesehen, lebte daher in der Einbildung, eines Nachts
irgend einen Juwelier oder einen reichen Fabrikanten durch
seine Aufmerksamkeit vor einem Verlust bewahren zu können,
wodurch ihm dann eine reichliche Belohnung zu Theil werden
würde; ganz abgesehen von der amtlichen Belobung und Aus¬
zeichnung, die zu erwarten waren. Seine Phantasie hatte sich
während der Jahre so sehr mit dieser dereinstigen Heldenthat
beschäftigt, daß sein Spürsinn in jedem, einigermaßen ver¬
dächtig aussehenden Passanten jene gefährliche Person witterte,
deren verbrecherisches Treiben ihn endlich zum Helden seiner
Umgebung machen sollte. Da er obendrein ein arger Bücher¬
wurm war, der die geringe freie Zeit, die ihm am Tage
während der Pausen beim Essen zur Verfügung stand, redlich
dazu benutzte, abenteuerliche Romane zu lesen, in denen das
Verbrecherthum eine Hauptrolle spielte, so war sein Kopf mit

genoſſen und beim Publikum allgemein beliebt waren. Die
Autorität, die ſie in den Augen ihrer Kollegen beſaßen, war
bereits eine derartige, daß ein Streit unter ihnen mit dem
vielbedeutenden Schlußworten: „So ſagt Kruſemeyer“, oder:
„So ſagt Liebegott“, zu Gunſten des dieſe Behauptung Auf¬
ſtellenden als beendet betrachtet werden durfte.

Wenn die Anſichten der Beiden zeitweilig auseinander¬
gingen, ſo geſchah es über die Frage nach dem höchſten Ziele
ihrer Wünſche. Liebegott hegte nur den einen Wunſch:
während ſeines nächtlichen Dienſtes von Niemandem beläſtigt
zu werden, um ſeine theure Haut nicht zu Markte tragen zu
brauchen; Kruſemeyer's höchſter Wunſch ging dahin: durch
eine ſeltene Heldenthat ſich diejenigen Lorbeeren zu erwerben,
die unbedingt nöthig waren, um ſeine ſoziale Stellung nach
Kräften aufzubeſſern. Er hatte es beſonders auf nächtliche Ein¬
brüche abgeſehen, lebte daher in der Einbildung, eines Nachts
irgend einen Juwelier oder einen reichen Fabrikanten durch
ſeine Aufmerkſamkeit vor einem Verluſt bewahren zu können,
wodurch ihm dann eine reichliche Belohnung zu Theil werden
würde; ganz abgeſehen von der amtlichen Belobung und Aus¬
zeichnung, die zu erwarten waren. Seine Phantaſie hatte ſich
während der Jahre ſo ſehr mit dieſer dereinſtigen Heldenthat
beſchäftigt, daß ſein Spürſinn in jedem, einigermaßen ver¬
dächtig ausſehenden Paſſanten jene gefährliche Perſon witterte,
deren verbrecheriſches Treiben ihn endlich zum Helden ſeiner
Umgebung machen ſollte. Da er obendrein ein arger Bücher¬
wurm war, der die geringe freie Zeit, die ihm am Tage
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[6/0018] genoſſen und beim Publikum allgemein beliebt waren. Die Autorität, die ſie in den Augen ihrer Kollegen beſaßen, war bereits eine derartige, daß ein Streit unter ihnen mit dem vielbedeutenden Schlußworten: „So ſagt Kruſemeyer“, oder: „So ſagt Liebegott“, zu Gunſten des dieſe Behauptung Auf¬ ſtellenden als beendet betrachtet werden durfte. Wenn die Anſichten der Beiden zeitweilig auseinander¬ gingen, ſo geſchah es über die Frage nach dem höchſten Ziele ihrer Wünſche. Liebegott hegte nur den einen Wunſch: während ſeines nächtlichen Dienſtes von Niemandem beläſtigt zu werden, um ſeine theure Haut nicht zu Markte tragen zu brauchen; Kruſemeyer's höchſter Wunſch ging dahin: durch eine ſeltene Heldenthat ſich diejenigen Lorbeeren zu erwerben, die unbedingt nöthig waren, um ſeine ſoziale Stellung nach Kräften aufzubeſſern. Er hatte es beſonders auf nächtliche Ein¬ brüche abgeſehen, lebte daher in der Einbildung, eines Nachts irgend einen Juwelier oder einen reichen Fabrikanten durch ſeine Aufmerkſamkeit vor einem Verluſt bewahren zu können, wodurch ihm dann eine reichliche Belohnung zu Theil werden würde; ganz abgeſehen von der amtlichen Belobung und Aus¬ zeichnung, die zu erwarten waren. Seine Phantaſie hatte ſich während der Jahre ſo ſehr mit dieſer dereinſtigen Heldenthat beſchäftigt, daß ſein Spürſinn in jedem, einigermaßen ver¬ dächtig ausſehenden Paſſanten jene gefährliche Perſon witterte, deren verbrecheriſches Treiben ihn endlich zum Helden ſeiner Umgebung machen ſollte. Da er obendrein ein arger Bücher¬ wurm war, der die geringe freie Zeit, die ihm am Tage während der Pauſen beim Eſſen zur Verfügung ſtand, redlich dazu benutzte, abenteuerliche Romane zu leſen, in denen das Verbrecherthum eine Hauptrolle ſpielte, ſo war ſein Kopf mit

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/18>, abgerufen am 23.04.2024.