warum. . . . Na, die Krauses, wenn ich noch daran denke! Das Paar war lustig anzusehen. Die Frau war drei Köpfe größer als der Mann, und Er trug immer die größte Angst¬ röhre, die nur aufzutreiben war, um zu beweisen, daß er der Herr sei. Aber da hatte sich was! Die Frau kommandirte nach dem Markt gehen und einkaufen, und er wurde von ihr wieder retour geschickt, wenn er nicht das Richtige gebracht hatte. Die Jungens liefen hinter ihm her und nannten ihn immer "Muttern's Schlafmütze" . . . Da war auch noch der alte Kantor Riez, Gott laß' ihn selig ruhen! Er war so vergeßlich, daß er einmal sein eignes Haus nicht finden konnte und mich auf der Straße fragte, ob ich nicht wisse, wo der Kantor Riez wohne. Na, ich habe lachen müssen!"
Und das Endwort dieser Erinnerungen Gottfried Timpe's war immer das alte: "Ja damals -- das waren noch andere Zeiten!"
Viel Sorge hatte es dem Ehepaare gemacht, dem Alten gegenüber einen Grund für die gänzliche Abwesenheit Franzen's zu finden. Seit jenem Abend nämlich, an dem des Meisters Mißtrauen gegen seinen Sohn so plötzlich erwacht und be¬ stätigt worden war, hatte er diesen nicht mehr zu Gesicht be¬ kommen. Am anderen Tage war, wie es schien, nachträglich, eine gedruckte Verlobungsanzeige eingetroffen und einige Zeilen Franzens, worin er anzeigte, daß er zum Mittagsessen nicht erscheinen könne und die Eltern bat, das anfängliche Ver¬ schweigen seiner Verlobung nicht übel zu deuten. Da sein Vater auf Urban nicht gut zu sprechen sei, so habe er ge¬ glaubt, man würde sein Glück nicht so auffassen, wie er es wünschte. Er würde seinen Eltern immer in Liebe zugethan sein, man solle es aber entschuldigen, wenn er von jetzt ab
warum. . . . Na, die Krauſes, wenn ich noch daran denke! Das Paar war luſtig anzuſehen. Die Frau war drei Köpfe größer als der Mann, und Er trug immer die größte Angſt¬ röhre, die nur aufzutreiben war, um zu beweiſen, daß er der Herr ſei. Aber da hatte ſich was! Die Frau kommandirte nach dem Markt gehen und einkaufen, und er wurde von ihr wieder retour geſchickt, wenn er nicht das Richtige gebracht hatte. Die Jungens liefen hinter ihm her und nannten ihn immer „Muttern's Schlafmütze“ . . . Da war auch noch der alte Kantor Riez, Gott laß' ihn ſelig ruhen! Er war ſo vergeßlich, daß er einmal ſein eignes Haus nicht finden konnte und mich auf der Straße fragte, ob ich nicht wiſſe, wo der Kantor Riez wohne. Na, ich habe lachen müſſen!“
Und das Endwort dieſer Erinnerungen Gottfried Timpe's war immer das alte: „Ja damals — das waren noch andere Zeiten!“
Viel Sorge hatte es dem Ehepaare gemacht, dem Alten gegenüber einen Grund für die gänzliche Abweſenheit Franzen's zu finden. Seit jenem Abend nämlich, an dem des Meiſters Mißtrauen gegen ſeinen Sohn ſo plötzlich erwacht und be¬ ſtätigt worden war, hatte er dieſen nicht mehr zu Geſicht be¬ kommen. Am anderen Tage war, wie es ſchien, nachträglich, eine gedruckte Verlobungsanzeige eingetroffen und einige Zeilen Franzens, worin er anzeigte, daß er zum Mittagseſſen nicht erſcheinen könne und die Eltern bat, das anfängliche Ver¬ ſchweigen ſeiner Verlobung nicht übel zu deuten. Da ſein Vater auf Urban nicht gut zu ſprechen ſei, ſo habe er ge¬ glaubt, man würde ſein Glück nicht ſo auffaſſen, wie er es wünſchte. Er würde ſeinen Eltern immer in Liebe zugethan ſein, man ſolle es aber entſchuldigen, wenn er von jetzt ab
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0172"n="160"/>
warum. . . . Na, die Krauſes, wenn ich noch daran denke!<lb/>
Das Paar war luſtig anzuſehen. Die Frau war drei Köpfe<lb/>
größer als der Mann, und Er trug immer die größte Angſt¬<lb/>
röhre, die nur aufzutreiben war, um zu beweiſen, daß er der<lb/>
Herr ſei. Aber da hatte ſich was! Die Frau kommandirte<lb/>
nach dem Markt gehen und einkaufen, und er wurde von ihr<lb/>
wieder retour geſchickt, wenn er nicht das Richtige gebracht<lb/>
hatte. Die Jungens liefen hinter ihm her und nannten ihn<lb/>
immer „Muttern's Schlafmütze“ . . . Da war auch noch der<lb/>
alte Kantor Riez, Gott laß' ihn ſelig ruhen! Er war ſo<lb/>
vergeßlich, daß er einmal ſein eignes Haus nicht finden konnte<lb/>
und mich auf der Straße fragte, ob ich nicht wiſſe, wo der<lb/>
Kantor Riez wohne. Na, ich habe lachen müſſen!“</p><lb/><p>Und das Endwort dieſer Erinnerungen Gottfried Timpe's<lb/>
war immer das alte: „Ja damals — das waren noch andere<lb/>
Zeiten!“</p><lb/><p>Viel Sorge hatte es dem Ehepaare gemacht, dem Alten<lb/>
gegenüber einen Grund für die gänzliche Abweſenheit Franzen's<lb/>
zu finden. Seit jenem Abend nämlich, an dem des Meiſters<lb/>
Mißtrauen gegen ſeinen Sohn ſo plötzlich erwacht und be¬<lb/>ſtätigt worden war, hatte er dieſen nicht mehr zu Geſicht be¬<lb/>
kommen. Am anderen Tage war, wie es ſchien, nachträglich,<lb/>
eine gedruckte Verlobungsanzeige eingetroffen und einige Zeilen<lb/>
Franzens, worin er anzeigte, daß er zum Mittagseſſen nicht<lb/>
erſcheinen könne und die Eltern bat, das anfängliche Ver¬<lb/>ſchweigen ſeiner Verlobung nicht übel zu deuten. Da ſein<lb/>
Vater auf Urban nicht gut zu ſprechen ſei, ſo habe er ge¬<lb/>
glaubt, man würde ſein Glück nicht ſo auffaſſen, wie er es<lb/>
wünſchte. Er würde ſeinen Eltern immer in Liebe zugethan<lb/>ſein, man ſolle es aber entſchuldigen, wenn er von jetzt ab<lb/></p></div></body></text></TEI>
[160/0172]
warum. . . . Na, die Krauſes, wenn ich noch daran denke!
Das Paar war luſtig anzuſehen. Die Frau war drei Köpfe
größer als der Mann, und Er trug immer die größte Angſt¬
röhre, die nur aufzutreiben war, um zu beweiſen, daß er der
Herr ſei. Aber da hatte ſich was! Die Frau kommandirte
nach dem Markt gehen und einkaufen, und er wurde von ihr
wieder retour geſchickt, wenn er nicht das Richtige gebracht
hatte. Die Jungens liefen hinter ihm her und nannten ihn
immer „Muttern's Schlafmütze“ . . . Da war auch noch der
alte Kantor Riez, Gott laß' ihn ſelig ruhen! Er war ſo
vergeßlich, daß er einmal ſein eignes Haus nicht finden konnte
und mich auf der Straße fragte, ob ich nicht wiſſe, wo der
Kantor Riez wohne. Na, ich habe lachen müſſen!“
Und das Endwort dieſer Erinnerungen Gottfried Timpe's
war immer das alte: „Ja damals — das waren noch andere
Zeiten!“
Viel Sorge hatte es dem Ehepaare gemacht, dem Alten
gegenüber einen Grund für die gänzliche Abweſenheit Franzen's
zu finden. Seit jenem Abend nämlich, an dem des Meiſters
Mißtrauen gegen ſeinen Sohn ſo plötzlich erwacht und be¬
ſtätigt worden war, hatte er dieſen nicht mehr zu Geſicht be¬
kommen. Am anderen Tage war, wie es ſchien, nachträglich,
eine gedruckte Verlobungsanzeige eingetroffen und einige Zeilen
Franzens, worin er anzeigte, daß er zum Mittagseſſen nicht
erſcheinen könne und die Eltern bat, das anfängliche Ver¬
ſchweigen ſeiner Verlobung nicht übel zu deuten. Da ſein
Vater auf Urban nicht gut zu ſprechen ſei, ſo habe er ge¬
glaubt, man würde ſein Glück nicht ſo auffaſſen, wie er es
wünſchte. Er würde ſeinen Eltern immer in Liebe zugethan
ſein, man ſolle es aber entſchuldigen, wenn er von jetzt ab
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/172>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.