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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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losen Schnee vom Trottoir fegte. Das that ihm
wohl, wie seit langer Zeit nicht. Die Uhr der
Andreaskirche schlug die Mitternachtsstunde, und als Timpe
beim Dahinschreiten die einzelnen Schläge zählte, wunderte
er sich, so lange ausgeblieben zu sein. Aber er wußte selbst
nicht, wie das heute gekommen war. Den ganzen Abend über,
während der lautesten Debatte hatte er nur an seinen Sohn
gedacht.

Und während er sich gesenkten Hauptes langsam seiner
Wohnung näherte, die Hausmütze tief in die Stirn gedrückt,
den Kragen des Alltagsrockes in die Höhe geschlagen, er¬
wachte der verletzte Stolz des Vaters, der an ihm nagte
und ihn innerlich tief empörte. So viel er auch nach Ent¬
schuldigungsgründen suchte -- er fand keinen für Franzens
Verschweigen seiner Verlobung. Er sann hin und her, und
worauf er zurückkam, war immer dasselbe: Franz wollte sich
seinen Eltern nach und nach ganz entfremden, weil sie in
die Kreise nicht hineinpaßten, denen er für die Zukunft an¬
gehören wollte. Er blieb ein paar Augenblicke stehen und
schüttelte mit dem Kopf, als könne er alles das nicht
begreifen.

Einige Häuser weiter fand er die Kellerfenster noch er¬
leuchtet. Die Außenthür war geöffnet, und als er hinunter¬
spähte, erblickte er durch die Glasthür Anton Nölte, der an
seinem Löthofen saß und emsig arbeitete. Das Feuer glühte
und der Kolben wanderte fortwährend aus der Hand in die
Kohlen. Der Klempner verfertigte seit Jahren Küchen¬
geräthschaften, die äußerst schlecht bezahlt wurden. Von früh
bis spät hämmerte und löthete er, und die ganze Erholung,
die er sich gestattete, war nach dem Abendbrod die Stunde

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loſen Schnee vom Trottoir fegte. Das that ihm
wohl, wie ſeit langer Zeit nicht. Die Uhr der
Andreaskirche ſchlug die Mitternachtsſtunde, und als Timpe
beim Dahinſchreiten die einzelnen Schläge zählte, wunderte
er ſich, ſo lange ausgeblieben zu ſein. Aber er wußte ſelbſt
nicht, wie das heute gekommen war. Den ganzen Abend über,
während der lauteſten Debatte hatte er nur an ſeinen Sohn
gedacht.

Und während er ſich geſenkten Hauptes langſam ſeiner
Wohnung näherte, die Hausmütze tief in die Stirn gedrückt,
den Kragen des Alltagsrockes in die Höhe geſchlagen, er¬
wachte der verletzte Stolz des Vaters, der an ihm nagte
und ihn innerlich tief empörte. So viel er auch nach Ent¬
ſchuldigungsgründen ſuchte — er fand keinen für Franzens
Verſchweigen ſeiner Verlobung. Er ſann hin und her, und
worauf er zurückkam, war immer daſſelbe: Franz wollte ſich
ſeinen Eltern nach und nach ganz entfremden, weil ſie in
die Kreiſe nicht hineinpaßten, denen er für die Zukunft an¬
gehören wollte. Er blieb ein paar Augenblicke ſtehen und
ſchüttelte mit dem Kopf, als könne er alles das nicht
begreifen.

Einige Häuſer weiter fand er die Kellerfenſter noch er¬
leuchtet. Die Außenthür war geöffnet, und als er hinunter¬
ſpähte, erblickte er durch die Glasthür Anton Nölte, der an
ſeinem Löthofen ſaß und emſig arbeitete. Das Feuer glühte
und der Kolben wanderte fortwährend aus der Hand in die
Kohlen. Der Klempner verfertigte ſeit Jahren Küchen¬
geräthſchaften, die äußerſt ſchlecht bezahlt wurden. Von früh
bis ſpät hämmerte und löthete er, und die ganze Erholung,
die er ſich geſtattete, war nach dem Abendbrod die Stunde

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[147/0159] loſen Schnee vom Trottoir fegte. Das that ihm wohl, wie ſeit langer Zeit nicht. Die Uhr der Andreaskirche ſchlug die Mitternachtsſtunde, und als Timpe beim Dahinſchreiten die einzelnen Schläge zählte, wunderte er ſich, ſo lange ausgeblieben zu ſein. Aber er wußte ſelbſt nicht, wie das heute gekommen war. Den ganzen Abend über, während der lauteſten Debatte hatte er nur an ſeinen Sohn gedacht. Und während er ſich geſenkten Hauptes langſam ſeiner Wohnung näherte, die Hausmütze tief in die Stirn gedrückt, den Kragen des Alltagsrockes in die Höhe geſchlagen, er¬ wachte der verletzte Stolz des Vaters, der an ihm nagte und ihn innerlich tief empörte. So viel er auch nach Ent¬ ſchuldigungsgründen ſuchte — er fand keinen für Franzens Verſchweigen ſeiner Verlobung. Er ſann hin und her, und worauf er zurückkam, war immer daſſelbe: Franz wollte ſich ſeinen Eltern nach und nach ganz entfremden, weil ſie in die Kreiſe nicht hineinpaßten, denen er für die Zukunft an¬ gehören wollte. Er blieb ein paar Augenblicke ſtehen und ſchüttelte mit dem Kopf, als könne er alles das nicht begreifen. Einige Häuſer weiter fand er die Kellerfenſter noch er¬ leuchtet. Die Außenthür war geöffnet, und als er hinunter¬ ſpähte, erblickte er durch die Glasthür Anton Nölte, der an ſeinem Löthofen ſaß und emſig arbeitete. Das Feuer glühte und der Kolben wanderte fortwährend aus der Hand in die Kohlen. Der Klempner verfertigte ſeit Jahren Küchen¬ geräthſchaften, die äußerſt ſchlecht bezahlt wurden. Von früh bis ſpät hämmerte und löthete er, und die ganze Erholung, die er ſich geſtattete, war nach dem Abendbrod die Stunde 10 *

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/159>, abgerufen am 23.11.2024.