und kaltem Aufschnitt aufgewartet; heute dagegen hatte man auf Wunsch des Hausherrn die weitgreifendsten Vorbereitungen getroffen, um den Gästen einen würdigen Begriff von der neuen Ehe zu geben. Man erhob sich denn auch ziemlich laut und geräuschvoll, und konnte den leuchtenden Gesichtern der Ehepaare anmerken, wie freudig die Mittheilung der Haus¬ frau aufgefaßt worden war. Der Weingroßhändler, von dem es bekannt war, daß er gern den Galanten spiele, wurde von Frau Urban um seinen Arm gebeten; der letzteren Gatte hakte Frau Rose unter; der kleine Herr Knispel engagirte Fräulein Bertha, zum großen Aerger Herrn Ramm's und seiner Gemahlin, welche die vergeblichen Bemühungen ihres Sohnes um diese Ehre mitansehen mußten. Sie waren nur insofern etwas beruhigt, als sie die Freude er¬ lebten, ihre Tochter Therese von dem jungen Herrn Rose, dem angehenden Virtuosen, zu Tisch geführt zu sehen. Emma war glücklich am Arme Franzens zu hängen. Und so zog man denn lachend und scherzend in einer langen Reihe durch die geöffneten Flügelthüren. Zuletzt folgte der Rentier mit seiner Frau, die beim Eintritt die Nasenflügel sehr merklich dehnte und leise flüsterte: "Es giebt Gänsebraten, Du weißt, ich esse ihn so gern." -- Es war das eine der vielen pro¬ saischen Bemerkungen, die ihren für Kunst schwärmenden Mann in Verzweiflung brachten. "Du verstehst auch über nichts anderes zu reden, als über das Essen", gab er sehr unmuthig zurück, worauf sie die Nase rümpfte, und ant¬ wortete: "Mein Gott, davon lebt man ja . . ." Er war wie so oft auch diesmal geschlagen und bedauerte zum hun¬ dertsten Male, einen Fehlgriff bei der Wahl seiner Lebens¬ gefährtin gethan zu haben.
und kaltem Aufſchnitt aufgewartet; heute dagegen hatte man auf Wunſch des Hausherrn die weitgreifendſten Vorbereitungen getroffen, um den Gäſten einen würdigen Begriff von der neuen Ehe zu geben. Man erhob ſich denn auch ziemlich laut und geräuſchvoll, und konnte den leuchtenden Geſichtern der Ehepaare anmerken, wie freudig die Mittheilung der Haus¬ frau aufgefaßt worden war. Der Weingroßhändler, von dem es bekannt war, daß er gern den Galanten ſpiele, wurde von Frau Urban um ſeinen Arm gebeten; der letzteren Gatte hakte Frau Roſé unter; der kleine Herr Kniſpel engagirte Fräulein Bertha, zum großen Aerger Herrn Ramm's und ſeiner Gemahlin, welche die vergeblichen Bemühungen ihres Sohnes um dieſe Ehre mitanſehen mußten. Sie waren nur inſofern etwas beruhigt, als ſie die Freude er¬ lebten, ihre Tochter Thereſe von dem jungen Herrn Roſé, dem angehenden Virtuoſen, zu Tiſch geführt zu ſehen. Emma war glücklich am Arme Franzens zu hängen. Und ſo zog man denn lachend und ſcherzend in einer langen Reihe durch die geöffneten Flügelthüren. Zuletzt folgte der Rentier mit ſeiner Frau, die beim Eintritt die Naſenflügel ſehr merklich dehnte und leiſe flüſterte: „Es giebt Gänſebraten, Du weißt, ich eſſe ihn ſo gern.“ — Es war das eine der vielen pro¬ ſaiſchen Bemerkungen, die ihren für Kunſt ſchwärmenden Mann in Verzweiflung brachten. „Du verſtehſt auch über nichts anderes zu reden, als über das Eſſen“, gab er ſehr unmuthig zurück, worauf ſie die Naſe rümpfte, und ant¬ wortete: „Mein Gott, davon lebt man ja . . .“ Er war wie ſo oft auch diesmal geſchlagen und bedauerte zum hun¬ dertſten Male, einen Fehlgriff bei der Wahl ſeiner Lebens¬ gefährtin gethan zu haben.
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und kaltem Aufſchnitt aufgewartet; heute dagegen hatte man
auf Wunſch des Hausherrn die weitgreifendſten Vorbereitungen
getroffen, um den Gäſten einen würdigen Begriff von der
neuen Ehe zu geben. Man erhob ſich denn auch ziemlich laut
und geräuſchvoll, und konnte den leuchtenden Geſichtern der
Ehepaare anmerken, wie freudig die Mittheilung der Haus¬
frau aufgefaßt worden war. Der Weingroßhändler, von dem
es bekannt war, daß er gern den Galanten ſpiele, wurde von
Frau Urban um ſeinen Arm gebeten; der letzteren Gatte
hakte Frau Roſé unter; der kleine Herr Kniſpel engagirte
Fräulein Bertha, zum großen Aerger Herrn Ramm's und
ſeiner Gemahlin, welche die vergeblichen Bemühungen
ihres Sohnes um dieſe Ehre mitanſehen mußten. Sie
waren nur inſofern etwas beruhigt, als ſie die Freude er¬
lebten, ihre Tochter Thereſe von dem jungen Herrn Roſé, dem
angehenden Virtuoſen, zu Tiſch geführt zu ſehen. Emma
war glücklich am Arme Franzens zu hängen. Und ſo zog
man denn lachend und ſcherzend in einer langen Reihe durch
die geöffneten Flügelthüren. Zuletzt folgte der Rentier mit
ſeiner Frau, die beim Eintritt die Naſenflügel ſehr merklich
dehnte und leiſe flüſterte: „Es giebt Gänſebraten, Du weißt,
ich eſſe ihn ſo gern.“ — Es war das eine der vielen pro¬
ſaiſchen Bemerkungen, die ihren für Kunſt ſchwärmenden
Mann in Verzweiflung brachten. „Du verſtehſt auch über
nichts anderes zu reden, als über das Eſſen“, gab er ſehr
unmuthig zurück, worauf ſie die Naſe rümpfte, und ant¬
wortete: „Mein Gott, davon lebt man ja . . .“ Er war
wie ſo oft auch diesmal geſchlagen und bedauerte zum hun¬
dertſten Male, einen Fehlgriff bei der Wahl ſeiner Lebens¬
gefährtin gethan zu haben.
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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/132>, abgerufen am 22.11.2024.
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