Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Lachen hielt. Einige Augenblicke stand er regungslos auf
einem Fleck und blickte, das linke Auge listig zusammen¬
gekniffen, mit schräg gesenktem Haupte über die Brille hinweg
zu Beiden hinüber. Die rechte Hand bewegte sich mit dem
rothseidenen Taschentuche hin und her. Dann kicherte er
leise, erhob den Kopf mit einem plötzlichen Ruck nach hinten,
so daß die Nase den Höhepunkt des ganzen Menschen bildete
und schritt auf das Fenster zu.

"So weit seid Ihr schon? Die Sache ist ja recht feier¬
lich, wenn die Geschichte sich auch machen wird . . . . Wer
gab Ihnen das Recht, Herr Timpe, die Güte Ihres Chefs
auf so hinterlistige Art und Weise zu mißbrauchen? Sie
haben wirklich den Muth, sehr hoch hinaus zu wollen."

Er versuchte, sehr ernst zu erscheinen; es gelang ihm
aber um deßwillen nicht, weil er in einer derartigen Ver¬
fassung komischer als sonst wirkte. Franz wurde sehr ver¬
legen und schwieg wie ein Schuljunge, der beschämt vor
seinem Lehrer steht. Emma aber war sehr roth geworden und
wandte sich ab, um ihr Antlitz zu verbergen. Daß ihr
Stiefvater es gerade sein mußte, der zuerst ihr Herzens¬
geheimniß entdeckte! Sie ärgerte sich mehr darüber, als sie
Furcht empfand. Und da sie aus ihrer Abneigung gegen den
zweiten Mann ihrer Mutter niemals ein Hehl gemacht,
und längst den Augenblick herbeigesehnt hatte, wo sie dieser
Antipathie einmal gehörig Luft machen könne, so drehte sie
sich plötzlich um und sagte mit einem Trotz, der auf Urban
geradezu verblüffend wirkte:

"Jawohl, wir sind schon so weit, um uns gern zu haben!
Sie werden davon gehört haben, daß Herr Timpe mein
Jugendgespiele war, und da wird Ihnen Manches erklärlich

Lachen hielt. Einige Augenblicke ſtand er regungslos auf
einem Fleck und blickte, das linke Auge liſtig zuſammen¬
gekniffen, mit ſchräg geſenktem Haupte über die Brille hinweg
zu Beiden hinüber. Die rechte Hand bewegte ſich mit dem
rothſeidenen Taſchentuche hin und her. Dann kicherte er
leiſe, erhob den Kopf mit einem plötzlichen Ruck nach hinten,
ſo daß die Naſe den Höhepunkt des ganzen Menſchen bildete
und ſchritt auf das Fenſter zu.

„So weit ſeid Ihr ſchon? Die Sache iſt ja recht feier¬
lich, wenn die Geſchichte ſich auch machen wird . . . . Wer
gab Ihnen das Recht, Herr Timpe, die Güte Ihres Chefs
auf ſo hinterliſtige Art und Weiſe zu mißbrauchen? Sie
haben wirklich den Muth, ſehr hoch hinaus zu wollen.“

Er verſuchte, ſehr ernſt zu erſcheinen; es gelang ihm
aber um deßwillen nicht, weil er in einer derartigen Ver¬
faſſung komiſcher als ſonſt wirkte. Franz wurde ſehr ver¬
legen und ſchwieg wie ein Schuljunge, der beſchämt vor
ſeinem Lehrer ſteht. Emma aber war ſehr roth geworden und
wandte ſich ab, um ihr Antlitz zu verbergen. Daß ihr
Stiefvater es gerade ſein mußte, der zuerſt ihr Herzens¬
geheimniß entdeckte! Sie ärgerte ſich mehr darüber, als ſie
Furcht empfand. Und da ſie aus ihrer Abneigung gegen den
zweiten Mann ihrer Mutter niemals ein Hehl gemacht,
und längſt den Augenblick herbeigeſehnt hatte, wo ſie dieſer
Antipathie einmal gehörig Luft machen könne, ſo drehte ſie
ſich plötzlich um und ſagte mit einem Trotz, der auf Urban
geradezu verblüffend wirkte:

„Jawohl, wir ſind ſchon ſo weit, um uns gern zu haben!
Sie werden davon gehört haben, daß Herr Timpe mein
Jugendgeſpiele war, und da wird Ihnen Manches erklärlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0129" n="117"/>
Lachen hielt. Einige Augenblicke &#x017F;tand er regungslos auf<lb/>
einem Fleck und blickte, das linke Auge li&#x017F;tig zu&#x017F;ammen¬<lb/>
gekniffen, mit &#x017F;chräg ge&#x017F;enktem Haupte über die Brille hinweg<lb/>
zu Beiden hinüber. Die rechte Hand bewegte &#x017F;ich mit dem<lb/>
roth&#x017F;eidenen Ta&#x017F;chentuche hin und her. Dann kicherte er<lb/>
lei&#x017F;e, erhob den Kopf mit einem plötzlichen Ruck nach hinten,<lb/>
&#x017F;o daß die Na&#x017F;e den Höhepunkt des ganzen Men&#x017F;chen bildete<lb/>
und &#x017F;chritt auf das Fen&#x017F;ter zu.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So weit &#x017F;eid Ihr &#x017F;chon? Die Sache i&#x017F;t ja recht feier¬<lb/>
lich, wenn die Ge&#x017F;chichte &#x017F;ich auch machen wird . . . . Wer<lb/>
gab Ihnen das Recht, Herr Timpe, die Güte Ihres Chefs<lb/>
auf &#x017F;o hinterli&#x017F;tige Art und Wei&#x017F;e zu mißbrauchen? Sie<lb/>
haben wirklich den Muth, &#x017F;ehr hoch hinaus zu wollen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er ver&#x017F;uchte, &#x017F;ehr ern&#x017F;t zu er&#x017F;cheinen; es gelang ihm<lb/>
aber um deßwillen nicht, weil er in einer derartigen Ver¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung komi&#x017F;cher als &#x017F;on&#x017F;t wirkte. Franz wurde &#x017F;ehr ver¬<lb/>
legen und &#x017F;chwieg wie ein Schuljunge, der be&#x017F;chämt vor<lb/>
&#x017F;einem Lehrer &#x017F;teht. Emma aber war &#x017F;ehr roth geworden und<lb/>
wandte &#x017F;ich ab, um ihr Antlitz zu verbergen. Daß ihr<lb/>
Stiefvater es gerade &#x017F;ein mußte, der zuer&#x017F;t ihr Herzens¬<lb/>
geheimniß entdeckte! Sie ärgerte &#x017F;ich mehr darüber, als &#x017F;ie<lb/>
Furcht empfand. Und da &#x017F;ie aus ihrer Abneigung gegen den<lb/>
zweiten Mann ihrer Mutter niemals ein Hehl gemacht,<lb/>
und läng&#x017F;t den Augenblick herbeige&#x017F;ehnt hatte, wo &#x017F;ie die&#x017F;er<lb/>
Antipathie einmal gehörig Luft machen könne, &#x017F;o drehte &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich plötzlich um und &#x017F;agte mit einem Trotz, der auf Urban<lb/>
geradezu verblüffend wirkte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jawohl, <hi rendition="#g">wir</hi> &#x017F;ind &#x017F;chon &#x017F;o weit, um uns gern zu haben!<lb/>
Sie werden davon gehört haben, daß Herr Timpe mein<lb/>
Jugendge&#x017F;piele war, und da wird Ihnen Manches erklärlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0129] Lachen hielt. Einige Augenblicke ſtand er regungslos auf einem Fleck und blickte, das linke Auge liſtig zuſammen¬ gekniffen, mit ſchräg geſenktem Haupte über die Brille hinweg zu Beiden hinüber. Die rechte Hand bewegte ſich mit dem rothſeidenen Taſchentuche hin und her. Dann kicherte er leiſe, erhob den Kopf mit einem plötzlichen Ruck nach hinten, ſo daß die Naſe den Höhepunkt des ganzen Menſchen bildete und ſchritt auf das Fenſter zu. „So weit ſeid Ihr ſchon? Die Sache iſt ja recht feier¬ lich, wenn die Geſchichte ſich auch machen wird . . . . Wer gab Ihnen das Recht, Herr Timpe, die Güte Ihres Chefs auf ſo hinterliſtige Art und Weiſe zu mißbrauchen? Sie haben wirklich den Muth, ſehr hoch hinaus zu wollen.“ Er verſuchte, ſehr ernſt zu erſcheinen; es gelang ihm aber um deßwillen nicht, weil er in einer derartigen Ver¬ faſſung komiſcher als ſonſt wirkte. Franz wurde ſehr ver¬ legen und ſchwieg wie ein Schuljunge, der beſchämt vor ſeinem Lehrer ſteht. Emma aber war ſehr roth geworden und wandte ſich ab, um ihr Antlitz zu verbergen. Daß ihr Stiefvater es gerade ſein mußte, der zuerſt ihr Herzens¬ geheimniß entdeckte! Sie ärgerte ſich mehr darüber, als ſie Furcht empfand. Und da ſie aus ihrer Abneigung gegen den zweiten Mann ihrer Mutter niemals ein Hehl gemacht, und längſt den Augenblick herbeigeſehnt hatte, wo ſie dieſer Antipathie einmal gehörig Luft machen könne, ſo drehte ſie ſich plötzlich um und ſagte mit einem Trotz, der auf Urban geradezu verblüffend wirkte: „Jawohl, wir ſind ſchon ſo weit, um uns gern zu haben! Sie werden davon gehört haben, daß Herr Timpe mein Jugendgeſpiele war, und da wird Ihnen Manches erklärlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/129
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/129>, abgerufen am 03.05.2024.