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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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und sie verstohlen außerordentlich zärtlich thaten, änderte sich
seine Stimmung, vertrieb die alte Hoffnung die aufgestiegene
Eifersucht.

Emma fühlte sich glücklich, als sie mit Franzen die
ersten Liebesworte an diesem Abend austauschen konnte. Da
Therese in ihr Geheimniß gezogen war, so hatte dieselbe das
Amt einer Beschützerin übernommen. Sie stand mit aus¬
gestreckten Armen mitten in der Thür, drehte dem Pärchen
den Rücken zu und schaukelte sich hin und her. Sie glaubte
so Jedermann den Eingang verwehren zu können.

"Es hat doch bis jetzt Niemand etwas von unserem
Verhältniß bemerkt?" fragte Franz.

"Ich traue Alwine nicht", erwiderte Emma; "sie macht
hin und wieder so sonderbare Anspielungen, daß ich befürchte,
sie hat uns einmal in der Konditorei gesehen oder meine
Schreibmappe durchkramt."

"Nun gedulde Dich nur, mein süßes Schäfchen," sagte
Franz darauf mit der ganzen Würde, die ihm zu Gebote
stand; "die Zeit wird auch kommen, wo ich mich Deiner
Mutter in aller Form erklären werde." Mit der ganzen
Keckheit seiner jungen Jahre drückte er sie herzhaft an sich
und brachte seine Lippen mit den ihrigen in Berührung.

In demselben Augenblick ertönte ein leiser Zuruf Theresens,
begleitet von einem Wink; aber beides war nutzlos und ohne
Wirkung, denn der kleine Herr Urban hatte sich bei Fräulein
Ramm vorbei durch die Thür gedreht und den herzlichen Ge¬
fühlsaustausch seiner Stieftochter und seines Lehrling mit an¬
gesehen.

Sein Gesicht erweiterte sich zu einer eigenthümlichen
Grimasse, die ungefähr den Mittelpunkt zwischen Weinen und

und ſie verſtohlen außerordentlich zärtlich thaten, änderte ſich
ſeine Stimmung, vertrieb die alte Hoffnung die aufgeſtiegene
Eiferſucht.

Emma fühlte ſich glücklich, als ſie mit Franzen die
erſten Liebesworte an dieſem Abend austauſchen konnte. Da
Thereſe in ihr Geheimniß gezogen war, ſo hatte dieſelbe das
Amt einer Beſchützerin übernommen. Sie ſtand mit aus¬
geſtreckten Armen mitten in der Thür, drehte dem Pärchen
den Rücken zu und ſchaukelte ſich hin und her. Sie glaubte
ſo Jedermann den Eingang verwehren zu können.

„Es hat doch bis jetzt Niemand etwas von unſerem
Verhältniß bemerkt?“ fragte Franz.

„Ich traue Alwine nicht“, erwiderte Emma; „ſie macht
hin und wieder ſo ſonderbare Anſpielungen, daß ich befürchte,
ſie hat uns einmal in der Konditorei geſehen oder meine
Schreibmappe durchkramt.“

„Nun gedulde Dich nur, mein ſüßes Schäfchen,“ ſagte
Franz darauf mit der ganzen Würde, die ihm zu Gebote
ſtand; „die Zeit wird auch kommen, wo ich mich Deiner
Mutter in aller Form erklären werde.“ Mit der ganzen
Keckheit ſeiner jungen Jahre drückte er ſie herzhaft an ſich
und brachte ſeine Lippen mit den ihrigen in Berührung.

In demſelben Augenblick ertönte ein leiſer Zuruf Thereſens,
begleitet von einem Wink; aber beides war nutzlos und ohne
Wirkung, denn der kleine Herr Urban hatte ſich bei Fräulein
Ramm vorbei durch die Thür gedreht und den herzlichen Ge¬
fühlsaustauſch ſeiner Stieftochter und ſeines Lehrling mit an¬
geſehen.

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[116/0128] und ſie verſtohlen außerordentlich zärtlich thaten, änderte ſich ſeine Stimmung, vertrieb die alte Hoffnung die aufgeſtiegene Eiferſucht. Emma fühlte ſich glücklich, als ſie mit Franzen die erſten Liebesworte an dieſem Abend austauſchen konnte. Da Thereſe in ihr Geheimniß gezogen war, ſo hatte dieſelbe das Amt einer Beſchützerin übernommen. Sie ſtand mit aus¬ geſtreckten Armen mitten in der Thür, drehte dem Pärchen den Rücken zu und ſchaukelte ſich hin und her. Sie glaubte ſo Jedermann den Eingang verwehren zu können. „Es hat doch bis jetzt Niemand etwas von unſerem Verhältniß bemerkt?“ fragte Franz. „Ich traue Alwine nicht“, erwiderte Emma; „ſie macht hin und wieder ſo ſonderbare Anſpielungen, daß ich befürchte, ſie hat uns einmal in der Konditorei geſehen oder meine Schreibmappe durchkramt.“ „Nun gedulde Dich nur, mein ſüßes Schäfchen,“ ſagte Franz darauf mit der ganzen Würde, die ihm zu Gebote ſtand; „die Zeit wird auch kommen, wo ich mich Deiner Mutter in aller Form erklären werde.“ Mit der ganzen Keckheit ſeiner jungen Jahre drückte er ſie herzhaft an ſich und brachte ſeine Lippen mit den ihrigen in Berührung. In demſelben Augenblick ertönte ein leiſer Zuruf Thereſens, begleitet von einem Wink; aber beides war nutzlos und ohne Wirkung, denn der kleine Herr Urban hatte ſich bei Fräulein Ramm vorbei durch die Thür gedreht und den herzlichen Ge¬ fühlsaustauſch ſeiner Stieftochter und ſeines Lehrling mit an¬ geſehen. Sein Geſicht erweiterte ſich zu einer eigenthümlichen Grimaſſe, die ungefähr den Mittelpunkt zwiſchen Weinen und

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/128>, abgerufen am 03.05.2024.