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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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viele Menschen. Zuletzt bedrohte er einen Schäferknaben, der
ihm auf die Frage: Sind Götter? die Antwort gab: "Götter sind
nicht! aber weise Männer haben mich gelehrt: es lebt der all-
mächtige, dreieinige Gott, Schöpfer Himmels und der Erde."
Durch das Schleudern eines Steins wird der junge Hirte zum
David an dem germanischen Goliath. Dieser nennt sterbend
seinen Namen und so erfährt der Jüngling, daß er seinen leib-
lichen Vater, aus dessen Nähe die Mutter vor des Sohnes Ge-
burt bei jener großen Schlächterei gerissen worden war, mit sei-
nem Steinwurf zu Tod getroffen hat. Der sterbende Vater
beantwortet sich die Frage jetzt so: "Ob Götter sind? Jch weiß
es nicht -- mir ist, die Menschen werden's nie ergründen --
aber ich sage dir, mein Sohn, ob Götter leben oder nicht:
Hammerwurf und Harfenschlag und Sonnenschein und Weibes-
kuß, sie lohnen des Lebens." -- Um der Frage: Sind Götter?
weiter nachzusinnen, wird Halfred's Sohn ein fleißig studirender
Mönch. Nachdem er aber die Kirchenväter und Philosophen
durchstudirt hat, kommt er zu dem Resultat: "Heidengötter sind
nicht. Aber der Christengott ist auch nicht, der, allmächtig,
allgütig, allwissend, den Vater durch den Sohn erschlagen
ließ. (Als ob der mordend umherziehende Halfred nicht seinen
Tod durch des jungen Hirten Hand selbst verursacht hätte!) Viel-
mehr geschieht auf Erden nur was nothwendig ist: und was
Menschen thun und lassen: wie der Nordwind Kälte bringen muß,
der Südwind Wärme; und wie der geworfene Stein zur Erde
fallen muß -- warum muß er fallen? Niemand weiß es, aber
er muß. Und er glaubt (!) vielleicht, er fliege frei. -- "Der
Mann aber soll nicht seufzen, grübeln und verzagen, sondern sich
freuen an Hammerwurf und Harfenschlag, an Sonnenschein und
Griechenwein und an Frauenschöne!" Das ist also die Antwort
auf die Frage: Sind Götter? Laßt uns essen und trinken, denn
morgen sind wir todt. Mit der Antwort des Halfredsohnes
stimmt die Weisheit der Moleschott, Büchner, Vogt. Mit jener
Antwort wird der Germanenfeind Skobeleff in Rußland und
der Germanenfeind Gambetta in Frankreich ganz einverstanden
gewesen sein. Weibeskuß, Frauenschöne, Griechenwein werden

viele Menſchen. Zuletzt bedrohte er einen Schäferknaben, der
ihm auf die Frage: Sind Götter? die Antwort gab: „Götter ſind
nicht! aber weiſe Männer haben mich gelehrt: es lebt der all-
mächtige, dreieinige Gott, Schöpfer Himmels und der Erde.‟
Durch das Schleudern eines Steins wird der junge Hirte zum
David an dem germaniſchen Goliath. Dieſer nennt ſterbend
ſeinen Namen und ſo erfährt der Jüngling, daß er ſeinen leib-
lichen Vater, aus deſſen Nähe die Mutter vor des Sohnes Ge-
burt bei jener großen Schlächterei geriſſen worden war, mit ſei-
nem Steinwurf zu Tod getroffen hat. Der ſterbende Vater
beantwortet ſich die Frage jetzt ſo: „Ob Götter ſind? Jch weiß
es nicht — mir iſt, die Menſchen werden’s nie ergründen —
aber ich ſage dir, mein Sohn, ob Götter leben oder nicht:
Hammerwurf und Harfenſchlag und Sonnenſchein und Weibes-
kuß, ſie lohnen des Lebens.‟ — Um der Frage: Sind Götter?
weiter nachzuſinnen, wird Halfred’s Sohn ein fleißig ſtudirender
Mönch. Nachdem er aber die Kirchenväter und Philoſophen
durchſtudirt hat, kommt er zu dem Reſultat: „Heidengötter ſind
nicht. Aber der Chriſtengott iſt auch nicht, der, allmächtig,
allgütig, allwiſſend, den Vater durch den Sohn erſchlagen
ließ. (Als ob der mordend umherziehende Halfred nicht ſeinen
Tod durch des jungen Hirten Hand ſelbſt verurſacht hätte!) Viel-
mehr geſchieht auf Erden nur was nothwendig iſt: und was
Menſchen thun und laſſen: wie der Nordwind Kälte bringen muß,
der Südwind Wärme; und wie der geworfene Stein zur Erde
fallen muß — warum muß er fallen? Niemand weiß es, aber
er muß. Und er glaubt (!) vielleicht, er fliege frei. — „Der
Mann aber ſoll nicht ſeufzen, grübeln und verzagen, ſondern ſich
freuen an Hammerwurf und Harfenſchlag, an Sonnenſchein und
Griechenwein und an Frauenſchöne!‟ Das iſt alſo die Antwort
auf die Frage: Sind Götter? Laßt uns eſſen und trinken, denn
morgen ſind wir todt. Mit der Antwort des Halfredſohnes
ſtimmt die Weisheit der Moleſchott, Büchner, Vogt. Mit jener
Antwort wird der Germanenfeind Skobeleff in Rußland und
der Germanenfeind Gambetta in Frankreich ganz einverſtanden
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[56 248/0056] viele Menſchen. Zuletzt bedrohte er einen Schäferknaben, der ihm auf die Frage: Sind Götter? die Antwort gab: „Götter ſind nicht! aber weiſe Männer haben mich gelehrt: es lebt der all- mächtige, dreieinige Gott, Schöpfer Himmels und der Erde.‟ Durch das Schleudern eines Steins wird der junge Hirte zum David an dem germaniſchen Goliath. Dieſer nennt ſterbend ſeinen Namen und ſo erfährt der Jüngling, daß er ſeinen leib- lichen Vater, aus deſſen Nähe die Mutter vor des Sohnes Ge- burt bei jener großen Schlächterei geriſſen worden war, mit ſei- nem Steinwurf zu Tod getroffen hat. Der ſterbende Vater beantwortet ſich die Frage jetzt ſo: „Ob Götter ſind? Jch weiß es nicht — mir iſt, die Menſchen werden’s nie ergründen — aber ich ſage dir, mein Sohn, ob Götter leben oder nicht: Hammerwurf und Harfenſchlag und Sonnenſchein und Weibes- kuß, ſie lohnen des Lebens.‟ — Um der Frage: Sind Götter? weiter nachzuſinnen, wird Halfred’s Sohn ein fleißig ſtudirender Mönch. Nachdem er aber die Kirchenväter und Philoſophen durchſtudirt hat, kommt er zu dem Reſultat: „Heidengötter ſind nicht. Aber der Chriſtengott iſt auch nicht, der, allmächtig, allgütig, allwiſſend, den Vater durch den Sohn erſchlagen ließ. (Als ob der mordend umherziehende Halfred nicht ſeinen Tod durch des jungen Hirten Hand ſelbſt verurſacht hätte!) Viel- mehr geſchieht auf Erden nur was nothwendig iſt: und was Menſchen thun und laſſen: wie der Nordwind Kälte bringen muß, der Südwind Wärme; und wie der geworfene Stein zur Erde fallen muß — warum muß er fallen? Niemand weiß es, aber er muß. Und er glaubt (!) vielleicht, er fliege frei. — „Der Mann aber ſoll nicht ſeufzen, grübeln und verzagen, ſondern ſich freuen an Hammerwurf und Harfenſchlag, an Sonnenſchein und Griechenwein und an Frauenſchöne!‟ Das iſt alſo die Antwort auf die Frage: Sind Götter? Laßt uns eſſen und trinken, denn morgen ſind wir todt. Mit der Antwort des Halfredſohnes ſtimmt die Weisheit der Moleſchott, Büchner, Vogt. Mit jener Antwort wird der Germanenfeind Skobeleff in Rußland und der Germanenfeind Gambetta in Frankreich ganz einverſtanden geweſen ſein. Weibeskuß, Frauenſchöne, Griechenwein werden

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 56 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/56>, abgerufen am 25.11.2024.