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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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des Verlegers, noch der (erst später berühmte) Name des Ver-
fassers, noch der innere Werth des Romans lösen das Räthsel.
"Es gibt, wie es scheint, auch auf geistigem Gebiet
eine Art der Communication, die nicht an das Wort
gebunden ist
." -- Damit hat Ernst Eckstein zweifellos das
Richtige getroffen. Es gibt dann und wann ein geistiges Con-
tagium, das sich auf völlig geheimnißvolle Weise in kürzester
Frist ausbreitet. Auch die aus unbekannten Ursachen plötzlich
dominirend gewordene Ebers-Mode muß zu den geistigen Seuchen
gerechnet werden. "Es ist wie ein Sturmwind, welcher durch die
Köpfe und Herzen hinfährt, sie verwirrt und betäubt, zu jeglicher
Ueberlegung unfähig und jeder Ueberredung unzugänglich macht"
sagt Vilmar "Zur neuesten Kulturgeschichte Deutschlands",
Band 3, in einem "Beitrag zur Geschichte der geistigen Seuchen"
überschriebenen Aufsatz.

Jeder Epidemie folgt ein Nachlassen der Krankheit. So ist
auch auf die Hochfluth des Ebers-Enthusiasmus bereits --
wenigstens in literarischen Kreisen -- eine augenscheinliche Ebbe
gefolgt. Wer den neuesten Roman "Ein Wort" von Georg
Ebers gelesen hat, wird diese Ebbe nur zu begreiflich finden.
Gegen "Ein Wort" gehalten ist "die Frau Bürgermeisterin" eine
vorzügliche Dichtung, so kläglich mißlungen ist der neueste Roman.
Ulrich, der Sohn eines schwäbischen Schmiedes, geht mit dem
Töchterchen eines jüdischen Lehrers Dr. Costa (Nathan der Weise)
in den Wald. "Ein Wort, nur ein Wort!" ruft auf einmal
Ulrich, wird aber von seiner Begleiterin belehrt: ein Wort sei
nichts Kleines; Gott habe die Welt aus einem einzigen Wort ge-
macht. Daraus zieht Ulrich den richtigen Schluß, daß es sich in
seiner Unterhaltung mit der kleinen Jüdin um ein wirkungs-
volles
Wort, um ein Zauber wort handeln müsse. Bei diesem
richtigen Gedanken läßt aber Ebers den jungen Schwarzwälder
nicht. Nach dem bekannten "doch ein Begriff muß bei dem Worte
sein" läßt er seinen jugendlichen Helden erst zum Maler, dann
zum Landsknecht sich entwickeln, und während dieser in Spanien,
Jtalien, Griechenland und in den Niederlanden vor sich gehenden
Entwicklung immer wieder auf den Kultus eines "Wortes"

des Verlegers, noch der (erſt ſpäter berühmte) Name des Ver-
faſſers, noch der innere Werth des Romans löſen das Räthſel.
Es gibt, wie es ſcheint, auch auf geiſtigem Gebiet
eine Art der Communication, die nicht an das Wort
gebunden iſt
.‟ — Damit hat Ernſt Eckſtein zweifellos das
Richtige getroffen. Es gibt dann und wann ein geiſtiges Con-
tagium, das ſich auf völlig geheimnißvolle Weiſe in kürzeſter
Friſt ausbreitet. Auch die aus unbekannten Urſachen plötzlich
dominirend gewordene Ebers-Mode muß zu den geiſtigen Seuchen
gerechnet werden. „Es iſt wie ein Sturmwind, welcher durch die
Köpfe und Herzen hinfährt, ſie verwirrt und betäubt, zu jeglicher
Ueberlegung unfähig und jeder Ueberredung unzugänglich macht‟
ſagt Vilmar „Zur neueſten Kulturgeſchichte Deutſchlands‟,
Band 3, in einem „Beitrag zur Geſchichte der geiſtigen Seuchen‟
überſchriebenen Aufſatz.

Jeder Epidemie folgt ein Nachlaſſen der Krankheit. So iſt
auch auf die Hochfluth des Ebers-Enthuſiasmus bereits —
wenigſtens in literariſchen Kreiſen — eine augenſcheinliche Ebbe
gefolgt. Wer den neueſten Roman „Ein Wort‟ von Georg
Ebers geleſen hat, wird dieſe Ebbe nur zu begreiflich finden.
Gegen „Ein Wort‟ gehalten iſt „die Frau Bürgermeiſterin‟ eine
vorzügliche Dichtung, ſo kläglich mißlungen iſt der neueſte Roman.
Ulrich, der Sohn eines ſchwäbiſchen Schmiedes, geht mit dem
Töchterchen eines jüdiſchen Lehrers Dr. Coſta (Nathan der Weiſe)
in den Wald. „Ein Wort, nur ein Wort!‟ ruft auf einmal
Ulrich, wird aber von ſeiner Begleiterin belehrt: ein Wort ſei
nichts Kleines; Gott habe die Welt aus einem einzigen Wort ge-
macht. Daraus zieht Ulrich den richtigen Schluß, daß es ſich in
ſeiner Unterhaltung mit der kleinen Jüdin um ein wirkungs-
volles
Wort, um ein Zauber wort handeln müſſe. Bei dieſem
richtigen Gedanken läßt aber Ebers den jungen Schwarzwälder
nicht. Nach dem bekannten „doch ein Begriff muß bei dem Worte
ſein‟ läßt er ſeinen jugendlichen Helden erſt zum Maler, dann
zum Landsknecht ſich entwickeln, und während dieſer in Spanien,
Jtalien, Griechenland und in den Niederlanden vor ſich gehenden
Entwicklung immer wieder auf den Kultus eines „Wortes‟

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[40 232/0040] des Verlegers, noch der (erſt ſpäter berühmte) Name des Ver- faſſers, noch der innere Werth des Romans löſen das Räthſel. „Es gibt, wie es ſcheint, auch auf geiſtigem Gebiet eine Art der Communication, die nicht an das Wort gebunden iſt.‟ — Damit hat Ernſt Eckſtein zweifellos das Richtige getroffen. Es gibt dann und wann ein geiſtiges Con- tagium, das ſich auf völlig geheimnißvolle Weiſe in kürzeſter Friſt ausbreitet. Auch die aus unbekannten Urſachen plötzlich dominirend gewordene Ebers-Mode muß zu den geiſtigen Seuchen gerechnet werden. „Es iſt wie ein Sturmwind, welcher durch die Köpfe und Herzen hinfährt, ſie verwirrt und betäubt, zu jeglicher Ueberlegung unfähig und jeder Ueberredung unzugänglich macht‟ ſagt Vilmar „Zur neueſten Kulturgeſchichte Deutſchlands‟, Band 3, in einem „Beitrag zur Geſchichte der geiſtigen Seuchen‟ überſchriebenen Aufſatz. Jeder Epidemie folgt ein Nachlaſſen der Krankheit. So iſt auch auf die Hochfluth des Ebers-Enthuſiasmus bereits — wenigſtens in literariſchen Kreiſen — eine augenſcheinliche Ebbe gefolgt. Wer den neueſten Roman „Ein Wort‟ von Georg Ebers geleſen hat, wird dieſe Ebbe nur zu begreiflich finden. Gegen „Ein Wort‟ gehalten iſt „die Frau Bürgermeiſterin‟ eine vorzügliche Dichtung, ſo kläglich mißlungen iſt der neueſte Roman. Ulrich, der Sohn eines ſchwäbiſchen Schmiedes, geht mit dem Töchterchen eines jüdiſchen Lehrers Dr. Coſta (Nathan der Weiſe) in den Wald. „Ein Wort, nur ein Wort!‟ ruft auf einmal Ulrich, wird aber von ſeiner Begleiterin belehrt: ein Wort ſei nichts Kleines; Gott habe die Welt aus einem einzigen Wort ge- macht. Daraus zieht Ulrich den richtigen Schluß, daß es ſich in ſeiner Unterhaltung mit der kleinen Jüdin um ein wirkungs- volles Wort, um ein Zauber wort handeln müſſe. Bei dieſem richtigen Gedanken läßt aber Ebers den jungen Schwarzwälder nicht. Nach dem bekannten „doch ein Begriff muß bei dem Worte ſein‟ läßt er ſeinen jugendlichen Helden erſt zum Maler, dann zum Landsknecht ſich entwickeln, und während dieſer in Spanien, Jtalien, Griechenland und in den Niederlanden vor ſich gehenden Entwicklung immer wieder auf den Kultus eines „Wortes‟

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 40 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/40>, abgerufen am 19.04.2024.