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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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Mann) berührte und doch durfte ich nicht schreien, wenn er es
that." Aber für den Sohn des Senators ließe sie sich ohne zu
klagen an das Kreuz nageln. Wäre sie nur eine Stunde mit
diesem Manne zusammen! -- Der Schluß des Gebetes lautet:
"Du guter, guter Hirte, nimm mich auf in deine Heerde und
führe du mich!" -- Es fehlen uns die Worte, um den Ekel aus-
zudrücken, welchen wir beim Lesen dieses von Ebers fabricirten
"Gebetes" empfunden haben. Nur mit völliger Gedankenlosigkeit,
um keinen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen, können Christen über
jenes "Gebet" weglesen. --

Durch den Kampf mit dem Sohne des Senators war der
erste unreine Gedanke in das Herz des Anachoreten gekommen.
Homo sum -- nach Ebers. "So oft er an der Höhle vorbei-
ging und den aus ihrem Gemache (!) dringenden Lichtschimmer
gewahrte, trieb und drängte es ihn, sich zu ihr zu schleichen und
sie noch einmal anzuschauen. An Gebet und Geiselung, seine
alten Mittel gegen sündliche Gedanken, dachte er nicht; wohl aber
sann er auf einen Grund, der es vor ihm selbst entschuldbar er-
scheinen ließ, wenn er doch zu ihr einträte." Weil es kühl ist,
will er ein Fell über die Schlafende decken. Er schleicht sich an
ihr Lager, schon will er den Mund der Schlafenden küssen, da
erblickt er an Sironas Finger einen Ring, der genau so aus-
sieht, wie der, den er von der Mutter des Hermas geschenkt er-
halten hat. Sirona hat den Ring von ihrem Manne erhalten,
woraus sich ergibt, daß der Centurio die Gattin des Stephanus
verführt hat. Voll Verzweiflung schlug Paulus an seine Stirne
und stöhnte: "Alles, alles vergebens." Zuletzt wird der Anachoret
durch Hermas von dem fälschlich übernommenen Ehebruch bei
dem Senator befreit. Der alte Stephanus ist gestorben, der
Centurio im Kampf gefallen, Sirona im Hause der künftigen
Schwiegereltern wohlgeborgen, Paulus weilt krank in den Bergen.
"Aus der Welt bin ich auf diesen Berg geflohen, und die Welt
ist mir nachgezogen und hat mir ihre Schlingen um die Füße
geworfen. Jch muß eine einsame Wüste aufsuchen, in der ich
allein bin mit meinem Gott und mir. Da find' ich vielleicht den
Weg, den ich suche, wenn nicht der Umstand, daß mir der, den

Mann) berührte und doch durfte ich nicht ſchreien, wenn er es
that.‟ Aber für den Sohn des Senators ließe ſie ſich ohne zu
klagen an das Kreuz nageln. Wäre ſie nur eine Stunde mit
dieſem Manne zuſammen! — Der Schluß des Gebetes lautet:
„Du guter, guter Hirte, nimm mich auf in deine Heerde und
führe du mich!‟ — Es fehlen uns die Worte, um den Ekel aus-
zudrücken, welchen wir beim Leſen dieſes von Ebers fabricirten
„Gebetes‟ empfunden haben. Nur mit völliger Gedankenloſigkeit,
um keinen ſtärkeren Ausdruck zu gebrauchen, können Chriſten über
jenes „Gebet‟ wegleſen. —

Durch den Kampf mit dem Sohne des Senators war der
erſte unreine Gedanke in das Herz des Anachoreten gekommen.
Homo sum — nach Ebers. „So oft er an der Höhle vorbei-
ging und den aus ihrem Gemache (!) dringenden Lichtſchimmer
gewahrte, trieb und drängte es ihn, ſich zu ihr zu ſchleichen und
ſie noch einmal anzuſchauen. An Gebet und Geiſelung, ſeine
alten Mittel gegen ſündliche Gedanken, dachte er nicht; wohl aber
ſann er auf einen Grund, der es vor ihm ſelbſt entſchuldbar er-
ſcheinen ließ, wenn er doch zu ihr einträte.‟ Weil es kühl iſt,
will er ein Fell über die Schlafende decken. Er ſchleicht ſich an
ihr Lager, ſchon will er den Mund der Schlafenden küſſen, da
erblickt er an Sironas Finger einen Ring, der genau ſo aus-
ſieht, wie der, den er von der Mutter des Hermas geſchenkt er-
halten hat. Sirona hat den Ring von ihrem Manne erhalten,
woraus ſich ergibt, daß der Centurio die Gattin des Stephanus
verführt hat. Voll Verzweiflung ſchlug Paulus an ſeine Stirne
und ſtöhnte: „Alles, alles vergebens.‟ Zuletzt wird der Anachoret
durch Hermas von dem fälſchlich übernommenen Ehebruch bei
dem Senator befreit. Der alte Stephanus iſt geſtorben, der
Centurio im Kampf gefallen, Sirona im Hauſe der künftigen
Schwiegereltern wohlgeborgen, Paulus weilt krank in den Bergen.
„Aus der Welt bin ich auf dieſen Berg geflohen, und die Welt
iſt mir nachgezogen und hat mir ihre Schlingen um die Füße
geworfen. Jch muß eine einſame Wüſte aufſuchen, in der ich
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[24 216/0024] Mann) berührte und doch durfte ich nicht ſchreien, wenn er es that.‟ Aber für den Sohn des Senators ließe ſie ſich ohne zu klagen an das Kreuz nageln. Wäre ſie nur eine Stunde mit dieſem Manne zuſammen! — Der Schluß des Gebetes lautet: „Du guter, guter Hirte, nimm mich auf in deine Heerde und führe du mich!‟ — Es fehlen uns die Worte, um den Ekel aus- zudrücken, welchen wir beim Leſen dieſes von Ebers fabricirten „Gebetes‟ empfunden haben. Nur mit völliger Gedankenloſigkeit, um keinen ſtärkeren Ausdruck zu gebrauchen, können Chriſten über jenes „Gebet‟ wegleſen. — Durch den Kampf mit dem Sohne des Senators war der erſte unreine Gedanke in das Herz des Anachoreten gekommen. Homo sum — nach Ebers. „So oft er an der Höhle vorbei- ging und den aus ihrem Gemache (!) dringenden Lichtſchimmer gewahrte, trieb und drängte es ihn, ſich zu ihr zu ſchleichen und ſie noch einmal anzuſchauen. An Gebet und Geiſelung, ſeine alten Mittel gegen ſündliche Gedanken, dachte er nicht; wohl aber ſann er auf einen Grund, der es vor ihm ſelbſt entſchuldbar er- ſcheinen ließ, wenn er doch zu ihr einträte.‟ Weil es kühl iſt, will er ein Fell über die Schlafende decken. Er ſchleicht ſich an ihr Lager, ſchon will er den Mund der Schlafenden küſſen, da erblickt er an Sironas Finger einen Ring, der genau ſo aus- ſieht, wie der, den er von der Mutter des Hermas geſchenkt er- halten hat. Sirona hat den Ring von ihrem Manne erhalten, woraus ſich ergibt, daß der Centurio die Gattin des Stephanus verführt hat. Voll Verzweiflung ſchlug Paulus an ſeine Stirne und ſtöhnte: „Alles, alles vergebens.‟ Zuletzt wird der Anachoret durch Hermas von dem fälſchlich übernommenen Ehebruch bei dem Senator befreit. Der alte Stephanus iſt geſtorben, der Centurio im Kampf gefallen, Sirona im Hauſe der künftigen Schwiegereltern wohlgeborgen, Paulus weilt krank in den Bergen. „Aus der Welt bin ich auf dieſen Berg geflohen, und die Welt iſt mir nachgezogen und hat mir ihre Schlingen um die Füße geworfen. Jch muß eine einſame Wüſte aufſuchen, in der ich allein bin mit meinem Gott und mir. Da find’ ich vielleicht den Weg, den ich ſuche, wenn nicht der Umſtand, daß mir der, den

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 24 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/24>, abgerufen am 19.04.2024.