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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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werden mußte. Durch den Alibibeweis wird jedoch jener Verdacht
entkräftet. Paulus, welcher Zeuge der Verhandlung war, gibt
bei dem Senator den Kirchenschlüssel zurück und sagt mit einem
Blick auf seinen durchlöcherten Rock: "Wir gehen sonst nicht ohne
das Schaffell unter die Leute, aber meines ging mir verloren."
Damit hat Paulus jedem, der auch nur ein klein wenig crimi-
nalistischen Verstand hat, seine völlige Unschuld dargethan. Der
Centurio lenkt aber nun seinen Verdacht gerade auf den alten
Mann, holt das aufgefundene Fell des Hermas und "der Grau-
bart" Paulus lügt zum zweitenmale, indem er das Fell für das
seinige erklärt. Das Erste, was diese äußerst sonderbare Selbst-
verleugnung, richtiger diese falsche und schimpfliche Selbstanklage
dem alten Manne einträgt, ist eine Tracht Prügel. Die Frau
des Senators kann zwar an des Paulus Schuld nicht glauben,
das hält aber ihren Mann nicht ab, die ganze Geschichte vor
den Bischof zu bringen. Der Bischof hat hierauf den Paulus "zu
sich berufen und ihn, als er auf seine Anschuldigung nichts ent-
gegnete, aus seiner Heerde, zu der auch die Anachoreten gehörten,
ausgestoßen, ihm den Besuch der Kirche an den Wochentagen
untersagt und erklärt, daß dieses sein Urtheil öffentlich vor der
versammelten Gemeinde verkündet werden sollte." Schöne Justiz
das! Es heißt zwar: qui tacet consentire videtur, aber im
Strafverfahren das Schweigen zum überführenden Beweismittel
zu machen und mit den schwersten Kirchenstrafen gegen einen alten
frommen Mann vorzugehen -- --, um das wahrscheinlich zu
machen, hätte Ebers doch etwas mehr von dem Bischof erzählen
müssen, als daß er früher Soldat gewesen sei. Wie nimmt aber
Paulus sein Loos hin? Er lächelt vergnügt vor sich hin und denkt
bei sich: "Wie haben sie dich bespieen, mein Jesus, und wer bin ich,
und wie glimpflich sind sie mit mir verfahren, als ich auch einmal
für die anderen den Rücken hinhielt. Kein Tropfen Blut ist ge-
flossen! Jch wollte nur, der dürre Alte hätte fester geschlagen!"
Sollte dabei der Autor auch an sein homo sum gedacht haben?
Er hätte es können, denn eine größere Thorheit und Verkehrtheit,
ein ärgerer Lug und Trug läßt sich von einem Büßer schwerlich
erwarten. -- Daß das freiwillige Leiden für ihn nur durch einen

werden mußte. Durch den Alibibeweis wird jedoch jener Verdacht
entkräftet. Paulus, welcher Zeuge der Verhandlung war, gibt
bei dem Senator den Kirchenſchlüſſel zurück und ſagt mit einem
Blick auf ſeinen durchlöcherten Rock: „Wir gehen ſonſt nicht ohne
das Schaffell unter die Leute, aber meines ging mir verloren.‟
Damit hat Paulus jedem, der auch nur ein klein wenig crimi-
naliſtiſchen Verſtand hat, ſeine völlige Unſchuld dargethan. Der
Centurio lenkt aber nun ſeinen Verdacht gerade auf den alten
Mann, holt das aufgefundene Fell des Hermas und „der Grau-
bart‟ Paulus lügt zum zweitenmale, indem er das Fell für das
ſeinige erklärt. Das Erſte, was dieſe äußerſt ſonderbare Selbſt-
verleugnung, richtiger dieſe falſche und ſchimpfliche Selbſtanklage
dem alten Manne einträgt, iſt eine Tracht Prügel. Die Frau
des Senators kann zwar an des Paulus Schuld nicht glauben,
das hält aber ihren Mann nicht ab, die ganze Geſchichte vor
den Biſchof zu bringen. Der Biſchof hat hierauf den Paulus „zu
ſich berufen und ihn, als er auf ſeine Anſchuldigung nichts ent-
gegnete, aus ſeiner Heerde, zu der auch die Anachoreten gehörten,
ausgeſtoßen, ihm den Beſuch der Kirche an den Wochentagen
unterſagt und erklärt, daß dieſes ſein Urtheil öffentlich vor der
verſammelten Gemeinde verkündet werden ſollte.‟ Schöne Juſtiz
das! Es heißt zwar: qui tacet consentire videtur, aber im
Strafverfahren das Schweigen zum überführenden Beweismittel
zu machen und mit den ſchwerſten Kirchenſtrafen gegen einen alten
frommen Mann vorzugehen — —, um das wahrſcheinlich zu
machen, hätte Ebers doch etwas mehr von dem Biſchof erzählen
müſſen, als daß er früher Soldat geweſen ſei. Wie nimmt aber
Paulus ſein Loos hin? Er lächelt vergnügt vor ſich hin und denkt
bei ſich: „Wie haben ſie dich beſpieen, mein Jeſus, und wer bin ich,
und wie glimpflich ſind ſie mit mir verfahren, als ich auch einmal
für die anderen den Rücken hinhielt. Kein Tropfen Blut iſt ge-
floſſen! Jch wollte nur, der dürre Alte hätte feſter geſchlagen!‟
Sollte dabei der Autor auch an ſein homo sum gedacht haben?
Er hätte es können, denn eine größere Thorheit und Verkehrtheit,
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[21 213/0021] werden mußte. Durch den Alibibeweis wird jedoch jener Verdacht entkräftet. Paulus, welcher Zeuge der Verhandlung war, gibt bei dem Senator den Kirchenſchlüſſel zurück und ſagt mit einem Blick auf ſeinen durchlöcherten Rock: „Wir gehen ſonſt nicht ohne das Schaffell unter die Leute, aber meines ging mir verloren.‟ Damit hat Paulus jedem, der auch nur ein klein wenig crimi- naliſtiſchen Verſtand hat, ſeine völlige Unſchuld dargethan. Der Centurio lenkt aber nun ſeinen Verdacht gerade auf den alten Mann, holt das aufgefundene Fell des Hermas und „der Grau- bart‟ Paulus lügt zum zweitenmale, indem er das Fell für das ſeinige erklärt. Das Erſte, was dieſe äußerſt ſonderbare Selbſt- verleugnung, richtiger dieſe falſche und ſchimpfliche Selbſtanklage dem alten Manne einträgt, iſt eine Tracht Prügel. Die Frau des Senators kann zwar an des Paulus Schuld nicht glauben, das hält aber ihren Mann nicht ab, die ganze Geſchichte vor den Biſchof zu bringen. Der Biſchof hat hierauf den Paulus „zu ſich berufen und ihn, als er auf ſeine Anſchuldigung nichts ent- gegnete, aus ſeiner Heerde, zu der auch die Anachoreten gehörten, ausgeſtoßen, ihm den Beſuch der Kirche an den Wochentagen unterſagt und erklärt, daß dieſes ſein Urtheil öffentlich vor der verſammelten Gemeinde verkündet werden ſollte.‟ Schöne Juſtiz das! Es heißt zwar: qui tacet consentire videtur, aber im Strafverfahren das Schweigen zum überführenden Beweismittel zu machen und mit den ſchwerſten Kirchenſtrafen gegen einen alten frommen Mann vorzugehen — —, um das wahrſcheinlich zu machen, hätte Ebers doch etwas mehr von dem Biſchof erzählen müſſen, als daß er früher Soldat geweſen ſei. Wie nimmt aber Paulus ſein Loos hin? Er lächelt vergnügt vor ſich hin und denkt bei ſich: „Wie haben ſie dich beſpieen, mein Jeſus, und wer bin ich, und wie glimpflich ſind ſie mit mir verfahren, als ich auch einmal für die anderen den Rücken hinhielt. Kein Tropfen Blut iſt ge- floſſen! Jch wollte nur, der dürre Alte hätte feſter geſchlagen!‟ Sollte dabei der Autor auch an ſein homo sum gedacht haben? Er hätte es können, denn eine größere Thorheit und Verkehrtheit, ein ärgerer Lug und Trug läßt ſich von einem Büßer ſchwerlich erwarten. — Daß das freiwillige Leiden für ihn nur durch einen

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 21 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/21>, abgerufen am 21.11.2024.