Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt. Zweites Kapitel.
selbst tragen lernt, welche zu der erwünschten all-
mälig hinleitet. Es wird indess keine Uebung statt-
finden, wenn der Reiter den Kopf und Hals auf der
eigenen Faust trägt
, weil dann dem Thiere die übende Mus-
kelthätigkeit fehlt. Es kommt nicht nur darauf an, dass das Pferd
den Kopf und Hals erhebt, es kommt vor allem darauf an, dass
diese Erhebung die Folge der eigenen Muskelthä-
tigkeit ist
.

Behutsames Vorgeben der Hände, ohne den Sitz noch die
Wirkung des Schenkels zu verändern, giebt Gelegenheit die Arbeit,
oder besser gesagt, die Haltung zu erproben. Geht der Kopf vor,
fällt das Pferd sofort auseinander etc., so lag das Pferd nothwendig
auf der Hand. Dessenungeachtet ist es für den Reitlehrer, der
eine Abtheilung reiten lässt, häufig sehr schwer, zu sehen, ob der
Dressirende den Hals des Thieres durch Heraufziehen und Tragen
des Kopfes auf der Faust aufrichtet, oder das Pferd durch leb-
haftes Vortreiben mit dem Schenkel und leichte Einwirkung des
Zügels bewegt, durch die eigene Kraft den Hals zu erheben, und
so dessen Muskeln stärkt, bis es endlich die dauernde Kraft, den
Hals zu tragen, gewinnt.

Es haben sehr viele Remontereiter der Cavallerie eine unge-
meine Fertigkeit zu täuschen
, und geben selbst dem erfah-
renen Beobachter durch ihre und des Pferdes Haltung, wie durch
die genaue Ausführung der Lectionen lange Zeit die Ueberzeugung,
dass der Mann seine Sache gut mache, und das Pferd bestens aus-
gebildet werde. Plötzlich tritt bei einer neuen Lection, welche sich
bei richtiger Aneignung des Vorhergegangenen ohne Weiteres erge-
ben müsste, eine überraschende Opposition oder eine völlige Hal-
tungslosigkeit hervor. Man thut dies und das erfolglos. Endlich
besteigt der erstaunte Lehrer das Thier und wird nun plötzlich
gewahr, dass jenes leicht und biegsam scheinende Pferd
ein völlig gefühlloser Stock ist
, den der Reiter auf der
Faust herumträgt, dem Aufrichten -- ein Emporziehen,
Kopfstellung
-- ein Herumziehen war.

Die Lectionen ging das Thier durch die Macht der Ge-
wohnheit
. Es trabt eher auf das Commando: Trab! als auf
den Schenkel an. Hätte der Offizier das Thier eher be-
stiegen, so wäre nicht so viel Zeit unbenutzt vorüber

III. Abschnitt. Zweites Kapitel.
selbst tragen lernt, welche zu der erwünschten all-
mälig hinleitet. Es wird indess keine Uebung statt-
finden, wenn der Reiter den Kopf und Hals auf der
eigenen Faust trägt
, weil dann dem Thiere die übende Mus-
kelthätigkeit fehlt. Es kommt nicht nur darauf an, dass das Pferd
den Kopf und Hals erhebt, es kommt vor allem darauf an, dass
diese Erhebung die Folge der eigenen Muskelthä-
tigkeit ist
.

Behutsames Vorgeben der Hände, ohne den Sitz noch die
Wirkung des Schenkels zu verändern, giebt Gelegenheit die Arbeit,
oder besser gesagt, die Haltung zu erproben. Geht der Kopf vor,
fällt das Pferd sofort auseinander etc., so lag das Pferd nothwendig
auf der Hand. Dessenungeachtet ist es für den Reitlehrer, der
eine Abtheilung reiten lässt, häufig sehr schwer, zu sehen, ob der
Dressirende den Hals des Thieres durch Heraufziehen und Tragen
des Kopfes auf der Faust aufrichtet, oder das Pferd durch leb-
haftes Vortreiben mit dem Schenkel und leichte Einwirkung des
Zügels bewegt, durch die eigene Kraft den Hals zu erheben, und
so dessen Muskeln stärkt, bis es endlich die dauernde Kraft, den
Hals zu tragen, gewinnt.

Es haben sehr viele Remontereiter der Cavallerie eine unge-
meine Fertigkeit zu täuschen
, und geben selbst dem erfah-
renen Beobachter durch ihre und des Pferdes Haltung, wie durch
die genaue Ausführung der Lectionen lange Zeit die Ueberzeugung,
dass der Mann seine Sache gut mache, und das Pferd bestens aus-
gebildet werde. Plötzlich tritt bei einer neuen Lection, welche sich
bei richtiger Aneignung des Vorhergegangenen ohne Weiteres erge-
ben müsste, eine überraschende Opposition oder eine völlige Hal-
tungslosigkeit hervor. Man thut dies und das erfolglos. Endlich
besteigt der erstaunte Lehrer das Thier und wird nun plötzlich
gewahr, dass jenes leicht und biegsam scheinende Pferd
ein völlig gefühlloser Stock ist
, den der Reiter auf der
Faust herumträgt, dem Aufrichten — ein Emporziehen,
Kopfstellung
— ein Herumziehen war.

Die Lectionen ging das Thier durch die Macht der Ge-
wohnheit
. Es trabt eher auf das Commando: Trab! als auf
den Schenkel an. Hätte der Offizier das Thier eher be-
stiegen, so wäre nicht so viel Zeit unbenutzt vorüber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0144" n="122"/><fw place="top" type="header">III. Abschnitt. Zweites Kapitel.</fw><lb/><hi rendition="#g">selbst tragen lernt, welche zu der erwünschten all-<lb/>
mälig hinleitet. Es wird indess keine Uebung statt-<lb/>
finden, wenn der Reiter den Kopf und Hals auf der<lb/>
eigenen Faust trägt</hi>, weil dann dem Thiere die übende Mus-<lb/>
kelthätigkeit fehlt. Es kommt nicht nur darauf an, dass das Pferd<lb/>
den Kopf und Hals erhebt, es kommt vor allem darauf an, <hi rendition="#g">dass<lb/>
diese Erhebung die Folge der eigenen Muskelthä-<lb/>
tigkeit ist</hi>.</p><lb/>
            <p>Behutsames Vorgeben der Hände, ohne den Sitz noch die<lb/>
Wirkung des Schenkels zu verändern, giebt Gelegenheit die Arbeit,<lb/>
oder besser gesagt, die Haltung zu erproben. Geht der Kopf vor,<lb/>
fällt das Pferd sofort auseinander etc., so lag das Pferd nothwendig<lb/>
auf der Hand. Dessenungeachtet ist es für den <hi rendition="#g">Reitlehrer</hi>, der<lb/>
eine Abtheilung reiten lässt, häufig sehr schwer, zu sehen, ob der<lb/>
Dressirende den Hals des Thieres durch Heraufziehen und Tragen<lb/>
des Kopfes auf der Faust aufrichtet, oder das Pferd durch leb-<lb/>
haftes Vortreiben mit dem Schenkel und leichte Einwirkung des<lb/>
Zügels bewegt, durch die eigene Kraft den Hals zu erheben, und<lb/>
so dessen Muskeln stärkt, bis es endlich die dauernde Kraft, den<lb/>
Hals zu tragen, gewinnt.</p><lb/>
            <p>Es haben sehr viele Remontereiter der Cavallerie <hi rendition="#g">eine unge-<lb/>
meine Fertigkeit zu täuschen</hi>, und geben selbst dem erfah-<lb/>
renen Beobachter durch ihre und des Pferdes Haltung, wie durch<lb/>
die genaue Ausführung der Lectionen lange Zeit die Ueberzeugung,<lb/>
dass der Mann seine Sache gut mache, und das Pferd bestens aus-<lb/>
gebildet werde. Plötzlich tritt bei einer neuen Lection, welche sich<lb/>
bei richtiger Aneignung des Vorhergegangenen ohne Weiteres erge-<lb/>
ben müsste, eine überraschende Opposition oder eine völlige Hal-<lb/>
tungslosigkeit hervor. Man thut dies und das erfolglos. <hi rendition="#g">Endlich</hi><lb/>
besteigt der erstaunte Lehrer das Thier und wird nun plötzlich<lb/>
gewahr, <hi rendition="#g">dass jenes leicht und biegsam scheinende Pferd<lb/>
ein völlig gefühlloser Stock ist</hi>, den der Reiter auf der<lb/>
Faust herumträgt, dem <hi rendition="#g">Aufrichten</hi> &#x2014; ein <hi rendition="#g">Emporziehen,<lb/>
Kopfstellung</hi> &#x2014; ein <hi rendition="#g">Herumziehen</hi> war.</p><lb/>
            <p>Die Lectionen ging das Thier durch die <hi rendition="#g">Macht der Ge-<lb/>
wohnheit</hi>. Es trabt eher auf das <hi rendition="#g">Commando:</hi> Trab! als auf<lb/>
den Schenkel an. <hi rendition="#g">Hätte der Offizier das Thier eher be-<lb/>
stiegen, so wäre nicht so viel Zeit unbenutzt vorüber</hi><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0144] III. Abschnitt. Zweites Kapitel. selbst tragen lernt, welche zu der erwünschten all- mälig hinleitet. Es wird indess keine Uebung statt- finden, wenn der Reiter den Kopf und Hals auf der eigenen Faust trägt, weil dann dem Thiere die übende Mus- kelthätigkeit fehlt. Es kommt nicht nur darauf an, dass das Pferd den Kopf und Hals erhebt, es kommt vor allem darauf an, dass diese Erhebung die Folge der eigenen Muskelthä- tigkeit ist. Behutsames Vorgeben der Hände, ohne den Sitz noch die Wirkung des Schenkels zu verändern, giebt Gelegenheit die Arbeit, oder besser gesagt, die Haltung zu erproben. Geht der Kopf vor, fällt das Pferd sofort auseinander etc., so lag das Pferd nothwendig auf der Hand. Dessenungeachtet ist es für den Reitlehrer, der eine Abtheilung reiten lässt, häufig sehr schwer, zu sehen, ob der Dressirende den Hals des Thieres durch Heraufziehen und Tragen des Kopfes auf der Faust aufrichtet, oder das Pferd durch leb- haftes Vortreiben mit dem Schenkel und leichte Einwirkung des Zügels bewegt, durch die eigene Kraft den Hals zu erheben, und so dessen Muskeln stärkt, bis es endlich die dauernde Kraft, den Hals zu tragen, gewinnt. Es haben sehr viele Remontereiter der Cavallerie eine unge- meine Fertigkeit zu täuschen, und geben selbst dem erfah- renen Beobachter durch ihre und des Pferdes Haltung, wie durch die genaue Ausführung der Lectionen lange Zeit die Ueberzeugung, dass der Mann seine Sache gut mache, und das Pferd bestens aus- gebildet werde. Plötzlich tritt bei einer neuen Lection, welche sich bei richtiger Aneignung des Vorhergegangenen ohne Weiteres erge- ben müsste, eine überraschende Opposition oder eine völlige Hal- tungslosigkeit hervor. Man thut dies und das erfolglos. Endlich besteigt der erstaunte Lehrer das Thier und wird nun plötzlich gewahr, dass jenes leicht und biegsam scheinende Pferd ein völlig gefühlloser Stock ist, den der Reiter auf der Faust herumträgt, dem Aufrichten — ein Emporziehen, Kopfstellung — ein Herumziehen war. Die Lectionen ging das Thier durch die Macht der Ge- wohnheit. Es trabt eher auf das Commando: Trab! als auf den Schenkel an. Hätte der Offizier das Thier eher be- stiegen, so wäre nicht so viel Zeit unbenutzt vorüber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/144
Zitationshilfe: Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/144>, abgerufen am 28.04.2024.