Kotzebue, August von: Der Rehbock oder die Schuldlosen Schuldbewußten. Leipzig, 1815.
neue Bücher aus der Stadt. (sie blättert)
Nichts als französisch. Der Bücherverleiher hat wohl gedacht: weil ich eine deutsche Gräfin bin, so dürfe er mir nichts deut- sches schicken. Aber die Zeiten sind vorbei, wo der deutsche Adel sich seiner Mutterspra- che schämte. Auch diese Fesseln - vielleicht die gefährlichsten - sind zerbrochen. - (Auf den Titel einer Brochüre blickend) Charaden und Räthsel. Das ist nichts für mich. Bin ich mir doch selbst ein großes Räthsel und weiß es nicht zu lösen. Wie lange hab' ich den Wunsch genährt, meinen Gatten aus dem Gewühl der Stadt in die ländliche Ein- samkeit zu führen, wo ich seine Treue siche- rer hüten könnte - weil doch nun einmal Männertreue stets gehütet werden muß! - Nun ist mein Wunsch erfüllt, ich bin ruhi- ger - allein fürwahr es thäte Noth, ich bewachte nun mich selbst, trotz meines Stol- zes und meiner strengen Grundsätze.
neue Buͤcher aus der Stadt. (sie blaͤttert)
Nichts als franzoͤsisch. Der Buͤcherverleiher hat wohl gedacht: weil ich eine deutsche Graͤfin bin, so duͤrfe er mir nichts deut- sches schicken. Aber die Zeiten sind vorbei, wo der deutsche Adel sich seiner Mutterspra- che schaͤmte. Auch diese Fesseln – vielleicht die gefaͤhrlichsten – sind zerbrochen. – (Auf den Titel einer Brochuͤre blickend) Charaden und Raͤthsel. Das ist nichts fuͤr mich. Bin ich mir doch selbst ein großes Raͤthsel und weiß es nicht zu loͤsen. Wie lange hab' ich den Wunsch genaͤhrt, meinen Gatten aus dem Gewuͤhl der Stadt in die laͤndliche Ein- samkeit zu fuͤhren, wo ich seine Treue siche- rer huͤten koͤnnte – weil doch nun einmal Maͤnnertreue stets gehuͤtet werden muß! – Nun ist mein Wunsch erfuͤllt, ich bin ruhi- ger – allein fuͤrwahr es thaͤte Noth, ich bewachte nun mich selbst, trotz meines Stol- zes und meiner strengen Grundsaͤtze. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#GRAFI"> <p><pb facs="#f0056" n="50"/> neue Buͤcher aus der Stadt. <stage>(sie blaͤttert)</stage><lb/> Nichts als franzoͤsisch. Der Buͤcherverleiher<lb/> hat wohl gedacht: weil ich eine <hi rendition="#g">deutsche<lb/> Graͤfin</hi> bin, so duͤrfe er mir nichts deut-<lb/> sches schicken. Aber die Zeiten sind vorbei,<lb/> wo der deutsche Adel sich seiner Mutterspra-<lb/> che schaͤmte. Auch diese Fesseln – vielleicht<lb/> die gefaͤhrlichsten – sind zerbrochen. – <stage>(Auf<lb/> den Titel einer Brochuͤre blickend)</stage> <hi rendition="#g">Charaden<lb/> und Raͤthsel</hi>. Das ist nichts fuͤr mich.<lb/> Bin ich mir doch selbst ein großes Raͤthsel<lb/> und weiß es nicht zu loͤsen. Wie lange hab'<lb/> ich den Wunsch genaͤhrt, meinen Gatten aus<lb/> dem Gewuͤhl der Stadt in die laͤndliche Ein-<lb/> samkeit zu fuͤhren, wo ich seine Treue siche-<lb/> rer huͤten koͤnnte – weil doch nun einmal<lb/> Maͤnnertreue stets gehuͤtet werden muß! –<lb/> Nun ist mein Wunsch erfuͤllt, ich bin ruhi-<lb/> ger – allein fuͤrwahr es thaͤte Noth, ich<lb/> bewachte nun mich selbst, trotz meines Stol-<lb/> zes und meiner strengen Grundsaͤtze.</p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0056]
neue Buͤcher aus der Stadt. (sie blaͤttert)
Nichts als franzoͤsisch. Der Buͤcherverleiher
hat wohl gedacht: weil ich eine deutsche
Graͤfin bin, so duͤrfe er mir nichts deut-
sches schicken. Aber die Zeiten sind vorbei,
wo der deutsche Adel sich seiner Mutterspra-
che schaͤmte. Auch diese Fesseln – vielleicht
die gefaͤhrlichsten – sind zerbrochen. – (Auf
den Titel einer Brochuͤre blickend) Charaden
und Raͤthsel. Das ist nichts fuͤr mich.
Bin ich mir doch selbst ein großes Raͤthsel
und weiß es nicht zu loͤsen. Wie lange hab'
ich den Wunsch genaͤhrt, meinen Gatten aus
dem Gewuͤhl der Stadt in die laͤndliche Ein-
samkeit zu fuͤhren, wo ich seine Treue siche-
rer huͤten koͤnnte – weil doch nun einmal
Maͤnnertreue stets gehuͤtet werden muß! –
Nun ist mein Wunsch erfuͤllt, ich bin ruhi-
ger – allein fuͤrwahr es thaͤte Noth, ich
bewachte nun mich selbst, trotz meines Stol-
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