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Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

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Weib; Gott segnete meine Wirthschaft reichlich,
und mein Ehebette mit fünf Kindern. Das dauerte
so neun Jahr oder zehn. Ein paar von meinen
Kindern starben; ich verschmerzte das; es kam die
große Hungersnoth; mein Weib half sie mir ehr-
lich tragen. Aber vier Jahre darauf nahm Gott
sie zu sich, und auch von meinen fünf Kindern
blieb mir bald nachher nur ein einziger Sohn. Das
war Schlag auf Schlag. Ich konnte mich lange
nicht erhohlen. Zeit und Gottesfurcht thaten end-
lich das Ihrige. Ich gewann das Leben wieder
lieb. Mein Sohn wuchs heran und half mir ar-
beiten. Nun hat mir der Fürst auch diesen einzi-
gen Sohn weggenommen und ihm eine Muskete
zu tragen gegeben. Das ist freylich hart. Arbei-
ten kann ich nicht mehr; ich bin alt und schwach.
Wäre Madam Müller nicht gewesen, ich hätte
verhungern müssen.
Franz. Und doch hat das Leben noch Reiz
für dich?
Greis. Warum nicht? So lange noch etwas
in der Welt ist, das an meinem Herzen hängt.
Hab' ich denn nicht einen Sohn?
B 2
Weib; Gott ſegnete meine Wirthſchaft reichlich,
und mein Ehebette mit fuͤnf Kindern. Das dauerte
ſo neun Jahr oder zehn. Ein paar von meinen
Kindern ſtarben; ich verſchmerzte das; es kam die
große Hungersnoth; mein Weib half ſie mir ehr-
lich tragen. Aber vier Jahre darauf nahm Gott
ſie zu ſich, und auch von meinen fuͤnf Kindern
blieb mir bald nachher nur ein einziger Sohn. Das
war Schlag auf Schlag. Ich konnte mich lange
nicht erhohlen. Zeit und Gottesfurcht thaten end-
lich das Ihrige. Ich gewann das Leben wieder
lieb. Mein Sohn wuchs heran und half mir ar-
beiten. Nun hat mir der Fuͤrſt auch dieſen einzi-
gen Sohn weggenommen und ihm eine Muskete
zu tragen gegeben. Das iſt freylich hart. Arbei-
ten kann ich nicht mehr; ich bin alt und ſchwach.
Waͤre Madam Muͤller nicht geweſen, ich haͤtte
verhungern muͤſſen.
Franz. Und doch hat das Leben noch Reiz
fuͤr dich?
Greis. Warum nicht? So lange noch etwas
in der Welt iſt, das an meinem Herzen haͤngt.
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[19/0027] Weib; Gott ſegnete meine Wirthſchaft reichlich, und mein Ehebette mit fuͤnf Kindern. Das dauerte ſo neun Jahr oder zehn. Ein paar von meinen Kindern ſtarben; ich verſchmerzte das; es kam die große Hungersnoth; mein Weib half ſie mir ehr- lich tragen. Aber vier Jahre darauf nahm Gott ſie zu ſich, und auch von meinen fuͤnf Kindern blieb mir bald nachher nur ein einziger Sohn. Das war Schlag auf Schlag. Ich konnte mich lange nicht erhohlen. Zeit und Gottesfurcht thaten end- lich das Ihrige. Ich gewann das Leben wieder lieb. Mein Sohn wuchs heran und half mir ar- beiten. Nun hat mir der Fuͤrſt auch dieſen einzi- gen Sohn weggenommen und ihm eine Muskete zu tragen gegeben. Das iſt freylich hart. Arbei- ten kann ich nicht mehr; ich bin alt und ſchwach. Waͤre Madam Muͤller nicht geweſen, ich haͤtte verhungern muͤſſen. Franz. Und doch hat das Leben noch Reiz fuͤr dich? Greis. Warum nicht? So lange noch etwas in der Welt iſt, das an meinem Herzen haͤngt. Hab’ ich denn nicht einen Sohn? B 2

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/27>, abgerufen am 22.11.2024.