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Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

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nung zu begehren. Mein Obrister starb; es gab
eine Menge Obristlieutenants, die weit längere
Zeit gedient hatten, als ich. Ich erwartete einen
von diesen befördert zu sehen, und das ließ ich mir
gern gefallen. Aber siehe da, der Fürst hatte eine
Mätresse, und diese hatte einen Vetter, einen al-
bernen eingebildeten Laffen, der seit sechs Monaten
die Uniform trug; der wurde mein Obrister. Es
versteht sich, daß ich den Abschied foderte und er-
hielt. -- Einige Spöttereyen über den Einfluß der
Dame machten mich zum Gefangenen auf der
Festung. Da saß ich ein halbes Jahr und kauete
an den Nägeln. Man gab mir meine Freyheit. Ich
raffte mein Vermögen zusammen und ging aus dem
Lande. Mit Menschenkenntniß gewaffnet -- so
bildete ich mir ein -- sollte es mir nun leicht wer-
den, mit und unter den Menschen fortzukommen.
Ich wählte Cassel zu meinem Aufenthalte. Alles
ging vortreflich. Ich fand Freunde, die mir lieb-
koseten, mich verhätschelten, mir mein Geld ab-
borgten und meinen Wein austranken. Endlich
fand ich auch ein Weib, ein schuldloses, herrliches
Geschöpf, von kaum funfzehn Jahren. O wie liebt
ich sie! ja, damals war ich glücklich! Sie gebahr
nung zu begehren. Mein Obriſter ſtarb; es gab
eine Menge Obriſtlieutenants, die weit laͤngere
Zeit gedient hatten, als ich. Ich erwartete einen
von dieſen befoͤrdert zu ſehen, und das ließ ich mir
gern gefallen. Aber ſiehe da, der Fuͤrſt hatte eine
Maͤtreſſe, und dieſe hatte einen Vetter, einen al-
bernen eingebildeten Laffen, der ſeit ſechs Monaten
die Uniform trug; der wurde mein Obriſter. Es
verſteht ſich, daß ich den Abſchied foderte und er-
hielt. — Einige Spoͤttereyen uͤber den Einfluß der
Dame machten mich zum Gefangenen auf der
Feſtung. Da ſaß ich ein halbes Jahr und kauete
an den Naͤgeln. Man gab mir meine Freyheit. Ich
raffte mein Vermoͤgen zuſammen und ging aus dem
Lande. Mit Menſchenkenntniß gewaffnet — ſo
bildete ich mir ein — ſollte es mir nun leicht wer-
den, mit und unter den Menſchen fortzukommen.
Ich waͤhlte Caſſel zu meinem Aufenthalte. Alles
ging vortreflich. Ich fand Freunde, die mir lieb-
koſeten, mich verhaͤtſchelten, mir mein Geld ab-
borgten und meinen Wein austranken. Endlich
fand ich auch ein Weib, ein ſchuldloſes, herrliches
Geſchoͤpf, von kaum funfzehn Jahren. O wie liebt
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[114/0122] nung zu begehren. Mein Obriſter ſtarb; es gab eine Menge Obriſtlieutenants, die weit laͤngere Zeit gedient hatten, als ich. Ich erwartete einen von dieſen befoͤrdert zu ſehen, und das ließ ich mir gern gefallen. Aber ſiehe da, der Fuͤrſt hatte eine Maͤtreſſe, und dieſe hatte einen Vetter, einen al- bernen eingebildeten Laffen, der ſeit ſechs Monaten die Uniform trug; der wurde mein Obriſter. Es verſteht ſich, daß ich den Abſchied foderte und er- hielt. — Einige Spoͤttereyen uͤber den Einfluß der Dame machten mich zum Gefangenen auf der Feſtung. Da ſaß ich ein halbes Jahr und kauete an den Naͤgeln. Man gab mir meine Freyheit. Ich raffte mein Vermoͤgen zuſammen und ging aus dem Lande. Mit Menſchenkenntniß gewaffnet — ſo bildete ich mir ein — ſollte es mir nun leicht wer- den, mit und unter den Menſchen fortzukommen. Ich waͤhlte Caſſel zu meinem Aufenthalte. Alles ging vortreflich. Ich fand Freunde, die mir lieb- koſeten, mich verhaͤtſchelten, mir mein Geld ab- borgten und meinen Wein austranken. Endlich fand ich auch ein Weib, ein ſchuldloſes, herrliches Geſchoͤpf, von kaum funfzehn Jahren. O wie liebt ich ſie! ja, damals war ich gluͤcklich! Sie gebahr

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/122>, abgerufen am 08.05.2024.