gläubigkeit des Volks zu vierjähriger Gefängniß- strafe im Zuchthause zu Ostende kondemnirt. Sowohl Hervagault, als auch der Fiskal des Gouvernements, appellirten beide von diesem Urtheil.
Die Sache sollte nun zu Rheims verhandelt wer- den. Plötzlich tritt ein neuer und sehr wichtiger Schau- spieler in dieser Tragi- Komödie auf. Der alte Prälat L. v. S. Bischof v. V. ein wegen seiner Redlichkeit, stren- gen Sitten, und Gelehrsamkeit allgemein geachteter Greis, hält sich überzeugt, daß Hervagault wirklich der ächte und rechte Dauphin sey. Er hat sogar mit den Mund- ärzten gesprochen, die den vermeinten Leichnam des Dau- phin im Tempel geöffnet, und ihn versichert haben, es sey nicht der des Dauphin gewesen. Er beschließt, sei- nen jungen Monarchen zu befreien, leiht große Summen, verläßt sein Amt, kommt nach Rheims, korrespondirt durch den Kerkermeister mit dem Gefangnen, und glaubt endlich seiner Sache gewiß zu seyn. Der Tod des Dau- phin ist ihm eine politische Lüge des Nationalkonvents. Er glaubt sich auch berufen, dem vernachläßigten Prin- zen eine Erziehung zu geben, seine Absichten sind rein und vortrefflich; er schickt ihm Bücher, unter andern einst le Genie du Christianisme von Chateaubriant, und das Trauerspiel Athalie, worauf er zu seiner Verwunderung die Antwort erhielt: " Spotten sie meiner? Alles Das weis ich auswendig. "
Was der alte Prälat am meisten für seinen Schützling fürchtet, ist Deportation. Er biethet, um dieß zu verhin- dern, alle Kräfte, selbst seine Freunden in Paris auf; er entwirft eine Liste der Personen, denen er des Dauphins Schicksal anvertrauen will, man findet darauf unter andern die Namen Brissac, Necker, Madame de Stael, Mon-
glaͤubigkeit des Volks zu vierjaͤhriger Gefaͤngniß- strafe im Zuchthause zu Ostende kondemnirt. Sowohl Hervagault, als auch der Fiskal des Gouvernements, appellirten beide von diesem Urtheil.
Die Sache sollte nun zu Rheims verhandelt wer- den. Ploͤtzlich tritt ein neuer und sehr wichtiger Schau- spieler in dieser Tragi- Komoͤdie auf. Der alte Praͤlat L. v. S. Bischof v. V. ein wegen seiner Redlichkeit, stren- gen Sitten, und Gelehrsamkeit allgemein geachteter Greis, haͤlt sich uͤberzeugt, daß Hervagault wirklich der aͤchte und rechte Dauphin sey. Er hat sogar mit den Mund- aͤrzten gesprochen, die den vermeinten Leichnam des Dau- phin im Tempel geoͤffnet, und ihn versichert haben, es sey nicht der des Dauphin gewesen. Er beschließt, sei- nen jungen Monarchen zu befreien, leiht große Summen, verlaͤßt sein Amt, kommt nach Rheims, korrespondirt durch den Kerkermeister mit dem Gefangnen, und glaubt endlich seiner Sache gewiß zu seyn. Der Tod des Dau- phin ist ihm eine politische Luͤge des Nationalkonvents. Er glaubt sich auch berufen, dem vernachlaͤßigten Prin- zen eine Erziehung zu geben, seine Absichten sind rein und vortrefflich; er schickt ihm Buͤcher, unter andern einst le Genie du Christianisme von Chateaubriant, und das Trauerspiel Athalie, worauf er zu seiner Verwunderung die Antwort erhielt: „ Spotten sie meiner? Alles Das weis ich auswendig. “
Was der alte Praͤlat am meisten fuͤr seinen Schuͤtzling fuͤrchtet, ist Deportation. Er biethet, um dieß zu verhin- dern, alle Kraͤfte, selbst seine Freunden in Paris auf; er entwirft eine Liste der Personen, denen er des Dauphins Schicksal anvertrauen will, man findet darauf unter andern die Namen Brissac, Necker, Madame de Stael, Mon-
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glaͤubigkeit des Volks zu vierjaͤhriger Gefaͤngniß-
strafe im Zuchthause zu Ostende kondemnirt. Sowohl
Hervagault, als auch der Fiskal des Gouvernements,
appellirten beide von diesem Urtheil.
Die Sache sollte nun zu Rheims verhandelt wer-
den. Ploͤtzlich tritt ein neuer und sehr wichtiger Schau-
spieler in dieser Tragi- Komoͤdie auf. Der alte Praͤlat
L. v. S. Bischof v. V. ein wegen seiner Redlichkeit, stren-
gen Sitten, und Gelehrsamkeit allgemein geachteter Greis,
haͤlt sich uͤberzeugt, daß Hervagault wirklich der aͤchte
und rechte Dauphin sey. Er hat sogar mit den Mund-
aͤrzten gesprochen, die den vermeinten Leichnam des Dau-
phin im Tempel geoͤffnet, und ihn versichert haben, es
sey nicht der des Dauphin gewesen. Er beschließt, sei-
nen jungen Monarchen zu befreien, leiht große Summen,
verlaͤßt sein Amt, kommt nach Rheims, korrespondirt
durch den Kerkermeister mit dem Gefangnen, und glaubt
endlich seiner Sache gewiß zu seyn. Der Tod des Dau-
phin ist ihm eine politische Luͤge des Nationalkonvents.
Er glaubt sich auch berufen, dem vernachlaͤßigten Prin-
zen eine Erziehung zu geben, seine Absichten sind rein und
vortrefflich; er schickt ihm Buͤcher, unter andern einst
le Genie du Christianisme von Chateaubriant, und das
Trauerspiel Athalie, worauf er zu seiner Verwunderung
die Antwort erhielt: „ Spotten sie meiner? Alles Das
weis ich auswendig. “
Was der alte Praͤlat am meisten fuͤr seinen Schuͤtzling
fuͤrchtet, ist Deportation. Er biethet, um dieß zu verhin-
dern, alle Kraͤfte, selbst seine Freunden in Paris auf; er
entwirft eine Liste der Personen, denen er des Dauphins
Schicksal anvertrauen will, man findet darauf unter andern
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/98>, abgerufen am 08.07.2024.
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