derschön, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem Zögling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt, die nämliche heilige Familie unter dem Namen Raphael auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht irre) fast noch vorzüglicher. Welches ist nun das ächte Bild? -- Gleichviel, sie sind beide ächt.
Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der französische Raphael genannt wird, obgleich er nie Welschlands schönen Himmel sah. Hier hängt weiter Nichts von ihm, als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern ausgeführt. Er malte sie auf Holz für die Kartheuser- Mönche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu- ben oder infame Neider beschädigten und zerkratzten die Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genöthiget waren, Thüren darüber machen zu lassen. Jetzt sind sie sämmt- lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden. Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spüre, und über- haupt glaube, diese auf Befehl einer Königinn gemalte, sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte Bilder können nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen Marmorgruppe eines lebendigen Künstlers, Amor und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch glaube, um so berühmt zu werden, als manches griechi- sche oder römische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter Nichts, als der Tod ihres Schöpfers, und ein Alter von ein paar hundert Jahren.
derschoͤn, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem Zoͤgling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt, die naͤmliche heilige Familie unter dem Namen Raphael auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht irre) fast noch vorzuͤglicher. Welches ist nun das aͤchte Bild? — Gleichviel, sie sind beide aͤcht.
Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der franzoͤsische Raphael genannt wird, obgleich er nie Welschlands schoͤnen Himmel sah. Hier haͤngt weiter Nichts von ihm, als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern ausgefuͤhrt. Er malte sie auf Holz fuͤr die Kartheuser- Moͤnche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu- ben oder infame Neider beschaͤdigten und zerkratzten die Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genoͤthiget waren, Thuͤren daruͤber machen zu lassen. Jetzt sind sie saͤmmt- lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden. Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spuͤre, und uͤber- haupt glaube, diese auf Befehl einer Koͤniginn gemalte, sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte Bilder koͤnnen nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen Marmorgruppe eines lebendigen Kuͤnstlers, Amor und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch glaube, um so beruͤhmt zu werden, als manches griechi- sche oder roͤmische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter Nichts, als der Tod ihres Schoͤpfers, und ein Alter von ein paar hundert Jahren.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0077"n="77"/>
derschoͤn, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder<lb/>
nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem<lb/>
Zoͤgling <hirendition="#g">Andreas del Sarto.</hi> Sehr zweifelhaft ist<lb/>
die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt,<lb/>
die naͤmliche heilige Familie unter dem Namen Raphael<lb/>
auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht<lb/>
irre) fast noch vorzuͤglicher. Welches ist nun das <hirendition="#g">aͤchte</hi><lb/>
Bild? — Gleichviel, sie sind beide aͤcht.</p><lb/><p>Aus der Gallerie des <hirendition="#g">Rubens</hi> tritt man in die<lb/>
Gallerie des <hirendition="#g">Le Sueur,</hi> der zuweilen der <hirendition="#g">franzoͤsische<lb/>
Raphael</hi> genannt wird, obgleich er nie Welschlands<lb/>
schoͤnen Himmel sah. Hier haͤngt weiter Nichts von ihm,<lb/>
als die Geschichte des heiligen <hirendition="#g">Bruno,</hi> in 24 Bildern<lb/>
ausgefuͤhrt. Er malte sie auf Holz fuͤr die Kartheuser-<lb/>
Moͤnche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu-<lb/>
ben oder infame Neider beschaͤdigten und zerkratzten die<lb/>
Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genoͤthiget waren,<lb/>
Thuͤren daruͤber machen zu lassen. Jetzt sind sie saͤmmt-<lb/>
lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen<lb/>
worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's<lb/>
Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden.<lb/>
Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spuͤre, und uͤber-<lb/>
haupt glaube, diese auf Befehl einer Koͤniginn gemalte,<lb/>
sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz<lb/>
auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte<lb/>
Bilder koͤnnen nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs<lb/>
Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen<lb/>
Marmorgruppe eines <hirendition="#g">lebendigen</hi> Kuͤnstlers, <hirendition="#g">Amor</hi><lb/>
und <hirendition="#g">Psyche,</hi> von <hirendition="#g">Delaistre</hi> zu Rom verfertigt. Jch<lb/>
glaube, um so beruͤhmt zu werden, als manches griechi-<lb/>
sche oder roͤmische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter<lb/>
Nichts, als der Tod ihres Schoͤpfers, und ein Alter von<lb/>
ein paar hundert Jahren.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[77/0077]
derschoͤn, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder
nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem
Zoͤgling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist
die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt,
die naͤmliche heilige Familie unter dem Namen Raphael
auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht
irre) fast noch vorzuͤglicher. Welches ist nun das aͤchte
Bild? — Gleichviel, sie sind beide aͤcht.
Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die
Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der franzoͤsische
Raphael genannt wird, obgleich er nie Welschlands
schoͤnen Himmel sah. Hier haͤngt weiter Nichts von ihm,
als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern
ausgefuͤhrt. Er malte sie auf Holz fuͤr die Kartheuser-
Moͤnche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu-
ben oder infame Neider beschaͤdigten und zerkratzten die
Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genoͤthiget waren,
Thuͤren daruͤber machen zu lassen. Jetzt sind sie saͤmmt-
lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen
worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's
Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden.
Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spuͤre, und uͤber-
haupt glaube, diese auf Befehl einer Koͤniginn gemalte,
sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz
auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte
Bilder koͤnnen nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs
Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen
Marmorgruppe eines lebendigen Kuͤnstlers, Amor
und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch
glaube, um so beruͤhmt zu werden, als manches griechi-
sche oder roͤmische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter
Nichts, als der Tod ihres Schoͤpfers, und ein Alter von
ein paar hundert Jahren.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/77>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.