nie einen andern Titel annehmen wollte, als den: Mei- ster Töpfer.
Die chirurgische Schule.
Ein prächtiges Gebäude. Das Jnnere entspricht dem Aeußern. Die mit Wachs ausgespritzten Präparate sind erstaunenswürdig; doch hab' ich bey dem Geheimen- rath Loder in Halle sie eben so gut gesehen. -- Eine Menge in Wachs sehr täuschend nachgeahmter Krankhei- ten, unter andern ein vom Krebs zur Hälfte weggefres- sener Kopf, das Original liegt dabei, gräßlich zu betrach- ten, und der Mensch hat dennoch gelebt, und hat immer noch leben wollen. Alles Essen wurde ihm, Gott weis wie, in die Gurgel geflößt, denn Mund, Nase, Backen, Zähne, Alles war weg; und dennoch hat er immer noch leben wollen. Welch eine Zauberei liegt dann im Daseyn! da selbst Der es nicht fahren lassen will, der ihm täg- lich fluchen muß. -- Skelette, Köpfe und Gebeine giebt es hier bei Hunderten, Misgeburten aller Art, zusam- mengewachsene Kinder, auch Eins mit einem Kröten- kopfe. Wenn ich ein solches elendes Geschöpf sehe, höre ich auch immer den Jammer der armen Mutter, die mit Schmerzen gebahr, und nun, da sie den Lohn überstan- dener Leiden an den vollen Mutterbusen drücken will, sich plötzlich von einem Krötenkopfe angrinsen sieht.
Allerlei Kuriositäten sind auch zu schauen: die Kopf- haut des berüchtigten Cartusch; der Zwerg des Königs von Polen, Bebe, in Wachs geformt, mit seinen eig- nen Kleidern angethan; das Skelett des vor einem Jahre verstorbenen Mannes, der weder Arme noch Beine, sondern nur Hände und Füße hatte, die gleich oben am Ellenbogen und unten am Leibe angewachsen wa-
nie einen andern Titel annehmen wollte, als den: Mei- ster Toͤpfer.
Die chirurgische Schule.
Ein praͤchtiges Gebaͤude. Das Jnnere entspricht dem Aeußern. Die mit Wachs ausgespritzten Praͤparate sind erstaunenswuͤrdig; doch hab' ich bey dem Geheimen- rath Loder in Halle sie eben so gut gesehen. — Eine Menge in Wachs sehr taͤuschend nachgeahmter Krankhei- ten, unter andern ein vom Krebs zur Haͤlfte weggefres- sener Kopf, das Original liegt dabei, graͤßlich zu betrach- ten, und der Mensch hat dennoch gelebt, und hat immer noch leben wollen. Alles Essen wurde ihm, Gott weis wie, in die Gurgel gefloͤßt, denn Mund, Nase, Backen, Zaͤhne, Alles war weg; und dennoch hat er immer noch leben wollen. Welch eine Zauberei liegt dann im Daseyn! da selbst Der es nicht fahren lassen will, der ihm taͤg- lich fluchen muß. — Skelette, Koͤpfe und Gebeine giebt es hier bei Hunderten, Misgeburten aller Art, zusam- mengewachsene Kinder, auch Eins mit einem Kroͤten- kopfe. Wenn ich ein solches elendes Geschoͤpf sehe, hoͤre ich auch immer den Jammer der armen Mutter, die mit Schmerzen gebahr, und nun, da sie den Lohn uͤberstan- dener Leiden an den vollen Mutterbusen druͤcken will, sich ploͤtzlich von einem Kroͤtenkopfe angrinsen sieht.
Allerlei Kuriositaͤten sind auch zu schauen: die Kopf- haut des beruͤchtigten Cartusch; der Zwerg des Koͤnigs von Polen, Bebe, in Wachs geformt, mit seinen eig- nen Kleidern angethan; das Skelett des vor einem Jahre verstorbenen Mannes, der weder Arme noch Beine, sondern nur Haͤnde und Fuͤße hatte, die gleich oben am Ellenbogen und unten am Leibe angewachsen wa-
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nie einen andern Titel annehmen wollte, als den: Mei-
ster Toͤpfer.
Die chirurgische Schule.
Ein praͤchtiges Gebaͤude. Das Jnnere entspricht
dem Aeußern. Die mit Wachs ausgespritzten Praͤparate
sind erstaunenswuͤrdig; doch hab' ich bey dem Geheimen-
rath Loder in Halle sie eben so gut gesehen. — Eine
Menge in Wachs sehr taͤuschend nachgeahmter Krankhei-
ten, unter andern ein vom Krebs zur Haͤlfte weggefres-
sener Kopf, das Original liegt dabei, graͤßlich zu betrach-
ten, und der Mensch hat dennoch gelebt, und hat immer
noch leben wollen. Alles Essen wurde ihm, Gott weis
wie, in die Gurgel gefloͤßt, denn Mund, Nase, Backen,
Zaͤhne, Alles war weg; und dennoch hat er immer noch
leben wollen. Welch eine Zauberei liegt dann im Daseyn!
da selbst Der es nicht fahren lassen will, der ihm taͤg-
lich fluchen muß. — Skelette, Koͤpfe und Gebeine giebt
es hier bei Hunderten, Misgeburten aller Art, zusam-
mengewachsene Kinder, auch Eins mit einem Kroͤten-
kopfe. Wenn ich ein solches elendes Geschoͤpf sehe, hoͤre
ich auch immer den Jammer der armen Mutter, die mit
Schmerzen gebahr, und nun, da sie den Lohn uͤberstan-
dener Leiden an den vollen Mutterbusen druͤcken will, sich
ploͤtzlich von einem Kroͤtenkopfe angrinsen sieht.
Allerlei Kuriositaͤten sind auch zu schauen: die Kopf-
haut des beruͤchtigten Cartusch; der Zwerg des Koͤnigs
von Polen, Bebe, in Wachs geformt, mit seinen eig-
nen Kleidern angethan; das Skelett des vor einem Jahre
verstorbenen Mannes, der weder Arme noch Beine,
sondern nur Haͤnde und Fuͤße hatte, die gleich oben
am Ellenbogen und unten am Leibe angewachsen wa-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/59>, abgerufen am 31.07.2024.
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