Ein zweiter, nicht alltäglicher Zeitvertreib in den ersten Häusern von Paris ist die Gesellschaft irgend ei- nes vorzüglichen Schauspielers, besonders Talma oder Lafond. Diese sind so gefällig, aus allen Trauer- spielen ihres Repertoirs die schönsten Szenen oder Mono- loge mit allem Aufwand ihrer Kunst zu deklamiren, auch wohl andere lyrische Gedichte darunter zu mischen; und das gewährt allerdings zuweilen Stundenlang einen herr- lichen Genuß. Von Talma, dem Einzigen, werde ich noch bei einer andern Gelegenheit sprechen. Lafond zeich- net sich besonders durch ein äußerst angenehmes Organ und eine einnehmende jugendliche Gestalt aus, im übri- gen ist er als Schauspieler ganz Franzose. Doch ist sein Spiel im Zimmer weit gemäßigter, und ich werde seinen Orosmann, (besonders die Worte: Zaire vous pleu- rez?) wie auch den Traum aus Athalia, nie verges- sen. -- Wie leicht ließe dieses treffliche Unterhaltungs- mittel sich auch in teutschen Gesellschaften einführen; wie angenehm wäre es nicht, Bruchstücke von Schil- ler oder Göthe gut deklamiren zu hören, ohne durch ein lärmendes Parterre um die Hälfte gebracht zu wer- den; wie manchen gebildeten und wohlerzogenen Mann giebt es nicht auch unter unseren Schauspielern, der eine aus den ersten Ständen zusammengesetzte Gesell- schaft nicht verunzieren würde; aber -- da stoße ich plötz- lich auf ein unüberwindliches Hinderniß! Unsere Schauspieler sind herzlich froh, wenn sie auf der Bühne ihre Rolle mit Hilfe des Souffleurs hergestottert haben, unsere Schauspieler wissen Nichts auswendig, können den Souffleur nicht eine Minute entbehren; dem Franzosen hingegen fehlt nie ein Wort, er spricht, als ob ihm die Rede nur so eben aus dem
Ein zweiter, nicht alltaͤglicher Zeitvertreib in den ersten Haͤusern von Paris ist die Gesellschaft irgend ei- nes vorzuͤglichen Schauspielers, besonders Talma oder Lafond. Diese sind so gefaͤllig, aus allen Trauer- spielen ihres Repertoirs die schoͤnsten Szenen oder Mono- loge mit allem Aufwand ihrer Kunst zu deklamiren, auch wohl andere lyrische Gedichte darunter zu mischen; und das gewaͤhrt allerdings zuweilen Stundenlang einen herr- lichen Genuß. Von Talma, dem Einzigen, werde ich noch bei einer andern Gelegenheit sprechen. Lafond zeich- net sich besonders durch ein aͤußerst angenehmes Organ und eine einnehmende jugendliche Gestalt aus, im uͤbri- gen ist er als Schauspieler ganz Franzose. Doch ist sein Spiel im Zimmer weit gemaͤßigter, und ich werde seinen Orosmann, (besonders die Worte: Zaire vous pleu- rez?) wie auch den Traum aus Athalia, nie verges- sen. — Wie leicht ließe dieses treffliche Unterhaltungs- mittel sich auch in teutschen Gesellschaften einfuͤhren; wie angenehm waͤre es nicht, Bruchstuͤcke von Schil- ler oder Goͤthe gut deklamiren zu hoͤren, ohne durch ein laͤrmendes Parterre um die Haͤlfte gebracht zu wer- den; wie manchen gebildeten und wohlerzogenen Mann giebt es nicht auch unter unseren Schauspielern, der eine aus den ersten Staͤnden zusammengesetzte Gesell- schaft nicht verunzieren wuͤrde; aber — da stoße ich ploͤtz- lich auf ein unuͤberwindliches Hinderniß! Unsere Schauspieler sind herzlich froh, wenn sie auf der Buͤhne ihre Rolle mit Hilfe des Souffleurs hergestottert haben, unsere Schauspieler wissen Nichts auswendig, koͤnnen den Souffleur nicht eine Minute entbehren; dem Franzosen hingegen fehlt nie ein Wort, er spricht, als ob ihm die Rede nur so eben aus dem
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Ein zweiter, nicht alltaͤglicher Zeitvertreib in den
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nes vorzuͤglichen Schauspielers, besonders Talma
oder Lafond. Diese sind so gefaͤllig, aus allen Trauer-
spielen ihres Repertoirs die schoͤnsten Szenen oder Mono-
loge mit allem Aufwand ihrer Kunst zu deklamiren, auch
wohl andere lyrische Gedichte darunter zu mischen; und
das gewaͤhrt allerdings zuweilen Stundenlang einen herr-
lichen Genuß. Von Talma, dem Einzigen, werde ich
noch bei einer andern Gelegenheit sprechen. Lafond zeich-
net sich besonders durch ein aͤußerst angenehmes Organ
und eine einnehmende jugendliche Gestalt aus, im uͤbri-
gen ist er als Schauspieler ganz Franzose. Doch ist sein
Spiel im Zimmer weit gemaͤßigter, und ich werde seinen
Orosmann, (besonders die Worte: Zaire vous pleu-
rez?) wie auch den Traum aus Athalia, nie verges-
sen. — Wie leicht ließe dieses treffliche Unterhaltungs-
mittel sich auch in teutschen Gesellschaften einfuͤhren;
wie angenehm waͤre es nicht, Bruchstuͤcke von Schil-
ler oder Goͤthe gut deklamiren zu hoͤren, ohne durch
ein laͤrmendes Parterre um die Haͤlfte gebracht zu wer-
den; wie manchen gebildeten und wohlerzogenen Mann
giebt es nicht auch unter unseren Schauspielern, der
eine aus den ersten Staͤnden zusammengesetzte Gesell-
schaft nicht verunzieren wuͤrde; aber — da stoße ich ploͤtz-
lich auf ein unuͤberwindliches Hinderniß! Unsere
Schauspieler sind herzlich froh, wenn sie auf der
Buͤhne ihre Rolle mit Hilfe des Souffleurs
hergestottert haben, unsere Schauspieler wissen Nichts
auswendig, koͤnnen den Souffleur nicht eine Minute
entbehren; dem Franzosen hingegen fehlt nie ein Wort,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/39>, abgerufen am 08.07.2024.
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