eine zerhackte Unterhaltung, Peinlichkeit des Wirths, und folglich keine Geselligkeit.
Die Mittagsgesellschaften sind noch erträglich, weil die Tafelfreuden sie würzen, aber die abendlichen Zusam- menkünfte, wo man kommt, geht, im halben Zirkel sitzt, wo kein Gespräch allgemein wird, und Jeder sich ängstlich nach Einem umsieht, dem er sagen könne, was heute für Wetter ist; wo die Frau vom Hause, mit nicht im- mer glücklich verhölter Verlegenheit, bald Diesen, bald Jenen zu unterhalten strebt, indessen der Herr Gemahl bloß dadurch als Herr vom Hause kenntlich wird, daß er sich nicht die geringste Mühe giebt seine Langeweile zu verbergen, und sich höchst nachläßig auf alle Sofas streckt -- ja, solche Assembleen, denen ich auch ein paar- mal beizuwohnen das Glück gehabt, bestättigen leider auf- fallend die Bemerkungen jener geistreichen fremden Dame.
Eine geschmackvolle Wirthinn sucht natürlich Alles hervor, um ihren nicht Karten spielenden Gästen einen angenehmen Zeitvertreib zu verschaffen, und man bedient sich dazu vorzüglich dreier Mittel, die allerdings vor- trefflich, nur aber meistentheils schwer zu erlangen sind. Das erste ist der Abbe Delille, der berühmte Dich- ter, der die Gefälligkeit hat, in Häusern, wo er bekannt ist, seine Verse herzusagen, (nicht herzulesen, denn er ist fast ganz blind,) der Genuß des Zuhörers beschränkt sich dabei nicht bloß auf die mancherlei Gedichte selbst, die sein erstaunenswürdiges Gedächtniß alle auswendig weis, und die größten Theils aus schön versifizirten neuen Wendungen alter Gedanken bestehn; sondern man erfreut sich auch vorzüglich der unbefangenen Kindlichkeit des alten Mannes, die man überall, und besonders in Paris, so selten trifft. Sehr gern erinnere ich mich ei-
eine zerhackte Unterhaltung, Peinlichkeit des Wirths, und folglich keine Geselligkeit.
Die Mittagsgesellschaften sind noch ertraͤglich, weil die Tafelfreuden sie wuͤrzen, aber die abendlichen Zusam- menkuͤnfte, wo man kommt, geht, im halben Zirkel sitzt, wo kein Gespraͤch allgemein wird, und Jeder sich aͤngstlich nach Einem umsieht, dem er sagen koͤnne, was heute fuͤr Wetter ist; wo die Frau vom Hause, mit nicht im- mer gluͤcklich verhoͤlter Verlegenheit, bald Diesen, bald Jenen zu unterhalten strebt, indessen der Herr Gemahl bloß dadurch als Herr vom Hause kenntlich wird, daß er sich nicht die geringste Muͤhe giebt seine Langeweile zu verbergen, und sich hoͤchst nachlaͤßig auf alle Sofas streckt — ja, solche Assembleen, denen ich auch ein paar- mal beizuwohnen das Gluͤck gehabt, bestaͤttigen leider auf- fallend die Bemerkungen jener geistreichen fremden Dame.
Eine geschmackvolle Wirthinn sucht natuͤrlich Alles hervor, um ihren nicht Karten spielenden Gaͤsten einen angenehmen Zeitvertreib zu verschaffen, und man bedient sich dazu vorzuͤglich dreier Mittel, die allerdings vor- trefflich, nur aber meistentheils schwer zu erlangen sind. Das erste ist der Abbe Delille, der beruͤhmte Dich- ter, der die Gefaͤlligkeit hat, in Haͤusern, wo er bekannt ist, seine Verse herzusagen, (nicht herzulesen, denn er ist fast ganz blind,) der Genuß des Zuhoͤrers beschraͤnkt sich dabei nicht bloß auf die mancherlei Gedichte selbst, die sein erstaunenswuͤrdiges Gedaͤchtniß alle auswendig weis, und die groͤßten Theils aus schoͤn versifizirten neuen Wendungen alter Gedanken bestehn; sondern man erfreut sich auch vorzuͤglich der unbefangenen Kindlichkeit des alten Mannes, die man uͤberall, und besonders in Paris, so selten trifft. Sehr gern erinnere ich mich ei-
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eine zerhackte Unterhaltung, Peinlichkeit des Wirths,
und folglich keine Geselligkeit.
Die Mittagsgesellschaften sind noch ertraͤglich, weil
die Tafelfreuden sie wuͤrzen, aber die abendlichen Zusam-
menkuͤnfte, wo man kommt, geht, im halben Zirkel sitzt,
wo kein Gespraͤch allgemein wird, und Jeder sich aͤngstlich
nach Einem umsieht, dem er sagen koͤnne, was heute
fuͤr Wetter ist; wo die Frau vom Hause, mit nicht im-
mer gluͤcklich verhoͤlter Verlegenheit, bald Diesen, bald
Jenen zu unterhalten strebt, indessen der Herr Gemahl
bloß dadurch als Herr vom Hause kenntlich wird, daß
er sich nicht die geringste Muͤhe giebt seine Langeweile
zu verbergen, und sich hoͤchst nachlaͤßig auf alle Sofas
streckt — ja, solche Assembleen, denen ich auch ein paar-
mal beizuwohnen das Gluͤck gehabt, bestaͤttigen leider auf-
fallend die Bemerkungen jener geistreichen fremden Dame.
Eine geschmackvolle Wirthinn sucht natuͤrlich Alles
hervor, um ihren nicht Karten spielenden Gaͤsten einen
angenehmen Zeitvertreib zu verschaffen, und man bedient
sich dazu vorzuͤglich dreier Mittel, die allerdings vor-
trefflich, nur aber meistentheils schwer zu erlangen sind.
Das erste ist der Abbe Delille, der beruͤhmte Dich-
ter, der die Gefaͤlligkeit hat, in Haͤusern, wo er bekannt
ist, seine Verse herzusagen, (nicht herzulesen, denn er
ist fast ganz blind,) der Genuß des Zuhoͤrers beschraͤnkt
sich dabei nicht bloß auf die mancherlei Gedichte selbst,
die sein erstaunenswuͤrdiges Gedaͤchtniß alle auswendig
weis, und die groͤßten Theils aus schoͤn versifizirten neuen
Wendungen alter Gedanken bestehn; sondern man erfreut
sich auch vorzuͤglich der unbefangenen Kindlichkeit
des alten Mannes, die man uͤberall, und besonders in
Paris, so selten trifft. Sehr gern erinnere ich mich ei-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/37>, abgerufen am 31.07.2024.
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