kein guter Mensch, der alle unsere Genüsse gleichsam iso- liren und auf den gegenwärtigen Augenblick beschränken will.
So räsonniren heut zu Tage die nämlichen Franzo- sen, die noch vor wenigen Jahren augenblicklich zum La- ternenpfahl mit Demjenigen gewandert seyn würden, der sich unterstanden hätte, Dergleichen laut werden zu lassen.
Gesellschaften und Vergnügungen.
Gesellschaften giebt es freilich wohl noch, aber ohne Ge- selligkeit. Eine fremde Dame, welche schon seit meh- reren Jahren in Paris ein großes Haus macht, klagte mir einst: die Leute vom nouveau regime seyen nie uneini- ger unter sich selbst, als wenn sie mit denen vom an- cien regime zusammen kämen. Die Letztern wären dann auch wieder gespalten, weil ein Theil der Altadelichen mit den neuen Menschen Umgang hält, ein anderer hingegen zu stolz oder zu arm dazu ist. Hierzu kommt noch, daß man die liebenswürdigsten Altadelichen nur sehr selten bei sich sehen kann, weil sie entlegen wohnen, nicht Soviel übrig behalten haben, um einen Fiakre bezah- len zu können, und man doch nicht wagt, ihnen einen Wagen zu schicken.
Jst es nun aber endlich gelungen, drei Menschen zu versammeln, so herrschen auch gewiß drei verschiedene Meinungen in dieser kleinen Gesellschaft. Das Mis- trauen gegen einander steht lesbar in ihren Zügen, daher
kein guter Mensch, der alle unsere Genuͤsse gleichsam iso- liren und auf den gegenwaͤrtigen Augenblick beschraͤnken will.
So raͤsonniren heut zu Tage die naͤmlichen Franzo- sen, die noch vor wenigen Jahren augenblicklich zum La- ternenpfahl mit Demjenigen gewandert seyn wuͤrden, der sich unterstanden haͤtte, Dergleichen laut werden zu lassen.
Gesellschaften und Vergnuͤgungen.
Gesellschaften giebt es freilich wohl noch, aber ohne Ge- selligkeit. Eine fremde Dame, welche schon seit meh- reren Jahren in Paris ein großes Haus macht, klagte mir einst: die Leute vom nouveau regime seyen nie uneini- ger unter sich selbst, als wenn sie mit denen vom an- cien regime zusammen kaͤmen. Die Letztern waͤren dann auch wieder gespalten, weil ein Theil der Altadelichen mit den neuen Menschen Umgang haͤlt, ein anderer hingegen zu stolz oder zu arm dazu ist. Hierzu kommt noch, daß man die liebenswuͤrdigsten Altadelichen nur sehr selten bei sich sehen kann, weil sie entlegen wohnen, nicht Soviel uͤbrig behalten haben, um einen Fiakre bezah- len zu koͤnnen, und man doch nicht wagt, ihnen einen Wagen zu schicken.
Jst es nun aber endlich gelungen, drei Menschen zu versammeln, so herrschen auch gewiß drei verschiedene Meinungen in dieser kleinen Gesellschaft. Das Mis- trauen gegen einander steht lesbar in ihren Zuͤgen, daher
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kein guter Mensch, der alle unsere Genuͤsse gleichsam iso-
liren und auf den gegenwaͤrtigen Augenblick beschraͤnken
will.
So raͤsonniren heut zu Tage die naͤmlichen Franzo-
sen, die noch vor wenigen Jahren augenblicklich zum La-
ternenpfahl mit Demjenigen gewandert seyn wuͤrden, der
sich unterstanden haͤtte, Dergleichen laut werden zu lassen.
Gesellschaften und Vergnuͤgungen.
Gesellschaften giebt es freilich wohl noch, aber ohne Ge-
selligkeit. Eine fremde Dame, welche schon seit meh-
reren Jahren in Paris ein großes Haus macht, klagte mir
einst: die Leute vom nouveau regime seyen nie uneini-
ger unter sich selbst, als wenn sie mit denen vom an-
cien regime zusammen kaͤmen. Die Letztern waͤren dann
auch wieder gespalten, weil ein Theil der Altadelichen
mit den neuen Menschen Umgang haͤlt, ein anderer
hingegen zu stolz oder zu arm dazu ist. Hierzu kommt
noch, daß man die liebenswuͤrdigsten Altadelichen nur
sehr selten bei sich sehen kann, weil sie entlegen wohnen,
nicht Soviel uͤbrig behalten haben, um einen Fiakre bezah-
len zu koͤnnen, und man doch nicht wagt, ihnen einen
Wagen zu schicken.
Jst es nun aber endlich gelungen, drei Menschen zu
versammeln, so herrschen auch gewiß drei verschiedene
Meinungen in dieser kleinen Gesellschaft. Das Mis-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/36>, abgerufen am 31.07.2024.
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